Ein Kleinwalsertaler sucht den Krieg
Junger Mann geht zum Kämpfen in die Ukraine und den Orient – Nun sitzt er im Knast
BREGENZ - Ist das Leben zu langweilig, zieht man in den Krieg: So kurz und bündig lässt sich der Gedankengang eines Vorarlbergers zusammenfassen, dessen Schicksal gerade Österreich beschäftigt. Dies hat damit zu tun, dass ihn die Staatsanwaltschaft von Wiener Neustadt seit Kurzen wegen möglicher Kriegsverbrechen im ukrainischen Kampfgebiet zur Fahndung ausgeschrieben hatte. Ende April ist der junge Mann deshalb auf der Durchreise in Polen festgenommen worden. Offenbar wollte er erneut in der Ukraine kämpfen – in diesem Fall bereits das dritte Mal.
Der Mann heißt Benjamin F. Aufgewachsen ist er in einem Landstrich, den andere als traumhafte Ferienregion lieben: das Kleinwalsertal unweit von Oberstdorf. Sein Vater stammt nach den vorliegenden Informationen von dort. Die Mutter ist Tunesierin.
Benjamin wuchs offenbar so auf, wie es bei Burschen in diesen Gebirgstälern oft läuft: Volksschule, Mitglied in der Freiwilligen Feuerwehr, einer zentralen Dorfinstanz, dazu viel Skifahren. Er wollte Skilehrer werden, trainierte auch Skispringen. Eigentlich ein vorbestimmtes Leben. Dann kommt Benjamin F. zum österreichischen Bundesheer, landet bei einem Jägerbataillon in der Steiermark. Diese Truppenteile gelten beim Militär des Nachbarlandes als Elite.
Das Soldatendasein gewann für Benjamin F. offenbar stark an Attraktivität. Wobei er dieses Leben für sich nach heutigen mitteleuropäischen Maßstäben extrem definiert: Kämpfer sein, andere Werte zu haben als das Gros der zivilen Mitmenschen.
Ein Auslandseinsatz mit dem österreichischen Militär im Kosovo im Rahmen der dortigen Kfor-Mission verläuft aber nach seinen Angaben belanglos. In österreichischen Zeitungen hat er sich dazu in den vergangenen drei Jahren immer mal wieder geäußert.
Letztlich war es dieses Mitteilungsbedürfnis, das ihn nun zumindest vorläufig hinter Gitter gebracht hat. Anfang des Jahres gab er nach der Rückkehr aus seinem zweiten Ukraine-Aufenthalt dem Wiener „Kurier“ein Interview. Es hat nichts mit Heldentum zu tun, dafür umso mehr mit dem üblichen Sumpf des Krieges.
Benjamin F. hatte sich jedes Mal der ukrainischen Seite angedient. Verbände des dortigen rechtsextremen „Rechten Sektors“nehmen Ausländer auf. Benjamin F. erzählte dem „Kurier“, wie das alltägliche Saufen viele Soldaten komplett fertiggemacht habe. Bei täglichen Feuerwechseln mit den von Russland unterstützten Aufständischen des Donezk-Beckens habe jeweils jene Seite angefangen, der es „zuerst fad war oder die zuerst besoffen“gewesen sei. Soweit die Desillusionierung nach rund drei Jahren, nach ersten ukrainischen Fronterlebnissen 2014, nach Kriegserlebnissen auf kurdischer Seite in Syrien und im Irak im Kampf gegen den Islamischen Staat, nach der zweiten Ukraine-Tour, nach einer Verpflichtung als bewaffneter Schiffswachmann im Piratengebiet am Horn von Afrika.
Mögliche Kriegsverbrechen
Diese Einsätze alleine hätten ihm noch keine weiteren Probleme bereitet. Ähnlich wie in Deutschland verbietet das österreichische Gesetz die Verpflichtung in fremden Streitkräften nicht – sofern es keine Terrorgruppen wie der Islamische Staat sind. Sollte der Krieger jedoch eine weitere Staatsangehörigkeit besitzen oder annehmen, kann ihm die österreichische entzogen werden. Bei Benjamin F. ist dies aber nicht der Fall.
Im Zusammenhang mit dem „Kurier“-Interview tauchten jedoch Bilder auf, die den Mann mit übel zugerichteten Leichen gegnerischer Kämpfer zeigten. Die österreichische Justiz sah sich veranlasst, Ermittlungen wegen eines möglichen Kriegsverbrechens aufzunehmen. Der Vorwurf lautet, Benjamin F. habe womöglich Gefangene massakriert.
Eine rasche Festnahme gleich nach den Interviews war anscheinend nicht möglich. Benjamin F. war im Winter weiter in die Schweiz gezogen, um dort nach eigenen Worten als Hirte zu leben. Dies dürfte ihm jedoch zu öde geworden sein, weshalb er im April wieder Richtung Osten aufbrach, aber dieses Mal nur bis nach Polen kam. Sollte er wirklich an Kriegsverbrechen beteiligt sein, droht Benjamin F. lebenslänglich.
Indes will die österreichische Zeitschrift „Profil“einen Kameraden des Vorarlbergers ausfindig gemacht haben. Dieser sagt, Benjamin F. sei zuletzt als Sanitäter eingesetzt gewesen und habe nur geholfen, die Leichen zu bergen. Ähnliches hat „Profil“von einem Sprecher des ukrainischen „Rechten Sektors“erfahren. Er bezeichnete Benjamin F. sogar als Helden, weil er 30 Menschen gerettet habe, die unter Beschuss geraten seien.
Die zuständige Staatsanwaltschaft in Wiener Neustadt kommentiert diese Aussagen nicht. Sie wartet nun auf die Auslieferung von Benjamin F. aus polnischer Haft.