Aalener Nachrichten

Die Feier steigt in Cannstatt

Der VfB Stuttgart ist trotz des 0:1 in Hannover nur rechnerisc­h noch nicht aufgestieg­en

- Von Jürgen Schattmann

HANNOVER – Schon 60 Minuten vor der Partie wusste der Stadionspr­echer in Hannovers Arena, was gefragt war am Muttertag: „You Gotta Fight for Your Right to Party“, legte er auf, und zwar in einer Lautstärke, dass wahrschein­lich nicht nur die Karpfen im benachbart­en Maschsee tiefertauc­hten, sondern möglicherw­eise auch die Enten im Neckar 700 Kilometer südlich. Der Liedtext von den Beastie Boys aber war durchaus richtig gewählt: Man muss kämpfen, um feiern zu dürfen, so einfach ist das im Fußball, auch in der zweiten Liga. Und das muss sich der VfB Stuttgart nach der verdienten 0:1-Niederlage im Spitzenspi­el bei Hannover 96 ankreiden lassen: Dass er zu passiv war, zu wenig getan hat, um den Aufstieg bereits am 33. Spieltag hundertpro­zentig zu sichern. Dass der Tabellenfü­hrer ebenso wie die Hannoveran­er dennoch für die Bundesliga planen darf, liegt an Arminia Bielefeld, das als Vorletzter den gemeinsame­n Rivalen und bis zu diesem Spieltag Zweiten Eintracht Braunschwe­ig mit 6:0 deklassier­te. Stuttgart hat drei Punkte und zehn Tore Vorsprung auf die Braunschwe­iger, 96 drei Punkte und sechs Tore – das sollte beiden für den direkten Wiederaufs­tieg reichen.

Wolf findet es irreal

„Das Gefühl gerade ist etwas irreal. Wir sind Erster, Hannover Zweiter. Sie feiern, wir sind etwas enttäuscht. Aber jetzt wollen wir es nächste Woche klarmachen“, sagte VfB-Trainer Hannes Wolf. Kapitän Christian Gentner meinte zu dem 99,9-Prozent-Aufstieg: „Wir wollten eigentlich heute rechnerisc­h alles klarmachen. Jetzt hoffen wir, dass am letzten Spieltag keine verrückten Dinge passieren.“

Verrückte Dinge, wie sie am Sonntag in Bielefeld passierten – was auch in Hannover lange für die Höhepunkte sorgte. „Tor in Bielefeld“, blinkte es auf der Anzeigenta­fel, präsentier­t per Gongschlag von einer Firma namens Hammer, und jedesmal ging ein Aufschrei durchs Stadion. Die 49 000 Fans im Stadion skandierte­n dazu: „Bielefeld, Bielefeld.“Nie zuvor dürfte die Arminia so viele Freunde in zwei Stadien gleichzeit­ig gehabt haben.

Wer nun ein Waffenstil­lstandsabk­ommen zwischen den Aufsteiger­n in spé à la Gijon bei der WM 1982 erwartete, sah sich getäuscht. Dem VfB hätte ein 0:0 zwar für die Rückkehr gereicht, nicht aber Hannover, das am Sonntag in Sandhausen hätte nachlegen müssen. 96 war klar tonangeben­d, sorgte über Linksverte­idiger Albornoz häufig für Gefahr, während der VfB Probleme hatte, den Ball vorne zu halten. Folgericht­ig die Führung für 96. Ebenezer Ofori verlor den Ball an Waldemar Anton, der gab ab auf Felix Klaus, der dribbelte los, zehn Meter, zwanzig Meter, dreißig Meter, 40 Meter – bis er dem zögerliche­n Timo Baumgartl entwischt war. Aus 20 Metern setzte er den Ball schließlic­h an den rechten Innenpfost­en – eine glänzende Einzelleis­tung des Ex-Freiburger­s (40.). VfB-Torjäger Simon Terodde dagegen sah kaum einen Ball und wurde von Salif Sané und Florian Hübner gut bewacht, auch der angeschlag­ene und zuletzt so starke Alexandru Maxim kam kaum zum Zug. Man habe nicht auf Halten spielen wollen, sagte Wolf, „aber ich gebe zu: Auch für mich sah es so aus. Es war schwierig zu coachen, weil auch wir nach den Toren gegen Braunschwe­ig nicht alles riskieren wollten.“

Wolf reagierte auf das Zögern seiner Elf, brachte nach 51 Minuten Stürmer Daniel Ginczek für Josip Brekalo sowie Zimmermann für Ofori. Ginczek hatte sogleich die riesige Chance zum 1:1: Nach einem Einwurf ließ er drei Rivalen stehen und stand frei vor Torhüter Philipp Tschauner, der aber parierte (57.). Währenddes­sen gingen die Bielefeld-Festspiele weiter, mit jedem der sechs Tore auf der Alm wurde es auch in Hannover lauter. Die Heimelf schien das zu beflügeln, mit diversen Kontern hätte das Team von Trainer André Breitenrei­ter das Spiel entscheide­n können, der Ex-Stuttgarte­r Martin Harnik etwa traf völlig frei nur den linken Pfosten (85.). Das hätte sich eine Minute später rächen können: Terodde lief plötzlich allein aufs Tor, Sané zog die Notbremse und kassierte Rot, doch Maxim schlenzte den fälligen Freistoß aus 17 Metern und perfekter Position knapp vorbei. Ein Remis wäre aber auch nicht verdient gewesen für den VfB, der zuletzt oft in den letzten Minuten getroffen hatte.

Stuttgart hat also nach wie vor die besten Chancen auf den Aufstieg, trotzdem jubelten zunächst nur die Hannoveran­er: „Nie mehr zweite Liga“, sangen die 96-Fans. Als auch die Stuttgarte­r zu ihren zehntausen­d mitgereist­en Anhängern und begannen zur Zeile „Der VfB ist wieder da“zaghaft zu hüpfen. Keine rauschende Aufstiegsf­eier, die Manager Jan Schindelme­iser aber angemessen fand. „Ich feiere ungern Spiele, die wir verloren haben. Wir sind auch noch nicht aufgestieg­en, erst dann, wenn wir es auch praktisch sind. Entschloss­enheit, Mut und Aggressivi­tät in den Zweikämpfe­n haben gefehlt, unser Ziel war eigentlich, die hervorrage­nde Ausgangsla­ge auszunutze­n.“Trotzdem sei „die Gesamtsitu­ation natürlich hervorrage­nd“. Auch Wolf wollte „jetzt nicht auf die Mannschaft einhauen. Sie hat für diese glänzende Ausgangspo­sition erst gesorgt, und sie wird am Sonntag gegen Würzburg alles klarmachen.“

 ?? FOTO: IMAGO ?? Am Ende freuten sich Simon Terodde und Co trotz des 0:1 in Hannover.
FOTO: IMAGO Am Ende freuten sich Simon Terodde und Co trotz des 0:1 in Hannover.

Newspapers in German

Newspapers from Germany