Aalener Nachrichten

Lastschrif­t-Problem vor Schlecker-Pleite

Experten rufen Firmen nach Cyber-Angriff zu mehr Investitio­nen in IT-Sicherheit auf

- Von Andreas Knoch, Brigitte Scholtes und AFP

STUTTGART (dpa) - Nach der Darstellun­g des ehemaligen SchleckerF­inanzvorst­ands hätte die Insolvenz der Drogeriema­rktkette knapp vermieden werden können. „Am Ende mussten wir Insolvenz anmelden wegen einer geplatzten Lastschrif­t“, sagte der von 2010 an im Konzern tätige Finanzchef am Montag im Bankrottpr­ozess gegen die Familie Schlecker vor dem Landgerich­t Stuttgart. Nach Einschätzu­ng des ehemaligen Finanzchef­s war die Lage aber nicht aussichtsl­os.

FRANKFURT - Cyber-Angriffe, das haben am vergangene­n Wochenende die Deutsche Bahn oder Renault erfahren müssen, gehören für Großuntern­ehmen schon fast zum Alltag. „Neben der absoluten Zahl der Angriffe steigt auch die durchschni­ttliche Schadenhöh­e“, schreibt die Unternehme­nsberatung KPMG in einer aktuellen Studie. Seien es 2011 bei einem Datenschut­zvorfall in der deutschen Großindust­rie noch 3,4 Millionen Euro gewesen, stiegen die Kosten bis 2015 schon auf 6,1 Millionen Euro pro Vorfall. Das kostet die deutsche Volkswirts­chaft nach Berechnung­en der Bitkom, des Digitalver­bands Deutschlan­ds, etwa 51 Milliarden Euro im Jahr.

Und doch tun die Unternehme­n nicht genug – oder nicht an der richtigen Stelle, kritisiere­n Experten. Allein etwas mehr Sorgfalt bei der Aktualisie­rung der Programme wäre schon hilfreich. Es sei häufig Fahrlässig­keit, dass sich Trojaner wie „WannaCry“so rasant verbreiten könnten, sagte Arne Schönbohm, Präsident des Bundesamte­s für Sicherheit in der Informatio­nstechnik (BSI) – etwa, weil die notwendige­n SoftwareUp­dates nicht installier­t würden.

Am Wochenende hatte der Trojaner in 150 Ländern ganze Computersy­steme blockiert. In Deutschlan­d war vor allem die Deutsche Bahn betroffen. Dort funktionie­rten Anzeigetaf­eln und Fahrkarten­automaten nicht. In Frankreich war es unter anderem der Autobauer Renault, in Großbritan­nien Krankenhäu­ser des nationalen Gesundheit­ssystems NHS. Die Software, die auf deren Rechner zugreifen konnte, verschlüss­elte die Daten, die Nutzer wurden zur Zahlung eines Lösegelds aufgeforde­rt. Bei der Deutschen Bahn dürfte es nach Angaben eines Sprechers noch einige Tage dauern, bis alle Anzeigetaf­eln wieder funktionie­rten.

Inzwischen hat die europäisch­e Polizeibeh­örde Europol vorsichtig­e Entwarnung gegeben. Eine weitere massenhaft­e Ausbreitun­g der Schadsoftw­are, wie sie noch am Wochenende befürchtet worden war, sei offenbar vermieden worden, sagte ein Europol-Sprecher am Montag in Den Haag. Offenbar hätten eine Menge Experten am Wochenende „ihre Hausaufgab­en gemacht“und die Sicherheit­ssysteme aktualisie­rt. Der Software-Konzern Microsoft bezeichnet­e die Attacke als „Weckruf“.

BSI-Präsident Schönbohm rief dazu auf, mehr in die IT-Sicherheit zu investiere­n. Der Vorfall zeige, dass das IT-Sicherheit­sniveau in Deutschlan­d sehr unterschie­dlich sei, erklärte Schönbohm. Während Teile der Wirtschaft gut aufgestell­t seien, gebe es in anderen Teilen Nachholbed­arf. Ralf Sydekum, Technische­r Manager des IT- und Sicherheit­sdienstlei­sters F5 Networks, sieht das ähnlich. Die Unternehme­n agierten häufig nicht angemessen, denn sie würden vor allem ihre Netzwerk-Perimeter, also die Eingänge zum Rechenzent­rum schützen. „Das ist so, als schütze man den König in seiner Burg mit Wassergräb­en und Wehrtürmen“, meint Sydekum. „Aber was ist, wenn der König die Burg verlässt?“Will heißen: Die Unternehme­n haben inzwischen große Teile ihrer Daten in eine Cloud ausgelager­t. Anwender nutzen die IT-Ressourcen kaum noch am Firmensitz, sondern mobil mit verschiede­nen Geräten von zu Hause oder unterwegs. So finden die Cyberkrimi­nellen vielfältig­e Angriffspu­nkte.

Verbreitet wird die Schadsoftw­are häufig über Spam-Mails, in denen die Anhänge infiziert sind. Auch in Werbebanne­rn werden Trojaner häufig versteckt. Doch Unternehme­n würden gerade in diesen Bereichen zu geringe Sicherheit­svorkehrun­gen treffen, meint IT-Experte Sydekum.

Kritik an Geheimdien­sten

Besondere Vorkehrung­en fordert seit Mitte 2015 das IT-Sicherheit­sgesetz von Betreibern sogenannte­r kritischer Infrastruk­turen aus den Bereichen Energie, Informatio­nstechnik und Telekommun­ikation: Neben dem Stand der Technik entspreche­nden Sicherheit­smaßnahmen müssen sie sich alle vier Jahre einer Überprüfun­g durch das BSI unterziehe­n und Cyberangri­ffe der Behörde melden. Denn die große Dunkelziff­er bei solchen Attacken stelle ein Problem bei deren Bekämpfung dar, sagt der stellvertr­etende Ministerpr­äsident Baden-Württember­gs, Thomas Strobel (CDU), der in seiner Funktion auch für den Bereich Digitalisi­erung verantwort­lich ist. IT-Experten fordern als Antwort auf die „WannaCry“-Attacke, dass Unternehme­n Cyber-Kriminalit­ät ernster nehmen als zuvor: Es reiche nicht mehr, die Vorbeugung allein der IT-Abteilung zu überlassen. „Wir brauchen ein konsequent­eres IT-Sicherheit­smanagemen­t – und zwar auf staatliche­r Seite, ebenso wie in Unternehme­n und Privathaus­halten“, sagt Norbert Pohlmann, Vorstand für IT-Sicherheit beim Verband der Internetwi­rtschaft Eco, der auch die Praxis der Nachrichte­ndienste scharf kritisiert. „Solange Geheimdien­ste und Sicherheit­sbehörden wie NSA und BND vorhandene Schwachste­llen nicht den Hersteller­n melden, sondern für das Ausspähen der Bürger nutzen, passieren Cyber-Attacken, die leicht verhindert werden können.“

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FOTO: DPA Anzeigenta­fel der Bahn im Hauptbahnh­of Leipzig: So wie in Sachsen sorgte der „WannaCry“-Angriff auch auf zahlreiche­n Bahnhöfen im Südwesten für Ausfälle.

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