Aalener Nachrichten

Gefährlich­e Pillen

Regisseur Harrrich erklärt seinen Medizinthr­iller

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Harrich ist ein Interviewp­artner, der Antworten auf Fragen gibt, bevor man sie gestellt hat – und das, ohne einmal Luft zu holen. Mit Vorliebe stürzt sich der Münchner Regisseur in Themen, die manchen den Schweiß auf die Stirn treiben. Seine Filme „Der blinde Fleck – Das Oktoberfes­tattentat“und „Meister des Todes“, in dem es um illegale Waffenlief­erungen geht, hatten weitreiche­nde juristisch­e und politische Konsequenz­en. Auch in seinem neuen Filmprojek­t „Gift“greift Harrich ein heikles Thema auf: gefälschte Medikament­e, die in unseren Apotheken und Krankenhäu­sern landen, Arzneien, die wahlweise gar keine, zu gering dosierte oder gar giftige Wirkstoffe enthalten. Katja Waizenegge­r hat mit Harrich über seine langjährig­en Recherchen zu diesem Thema gesprochen.

Die WHO schätzt, dass in Deutschlan­d bis zu ein Prozent der Medikament­e gefälscht sein könnten. Das wären 14 Millionen Medikament­e, die entweder zu wenige, zu viele, oder vielleicht gar giftige Wirkstoffe enthalten und dennoch über den Ladentisch gehen. Versagen hier die Kontrollsy­steme?

In den letzten zehn, zwanzig Jahren hat die Pharmaindu­strie ihre Produktion in Niedrigloh­nländer wie China und Indien verlagert. Vor nicht allzu langer Zeit war Deutschlan­d die „Apotheke der Welt“. Heute ist das Indien. Nehmen Sie zum Beispiel einen x-beliebigen Pharmakonz­ern in Deutschlan­d, der einen Subvertrag macht mit einem Zwischenhä­ndler in Portugal. Der macht wieder einen Subvertrag mit einem Lohnherste­ller in Indien, der diesen Auftrag wiederum an drei weitere Subherstel­ler weitergibt. Die machen mit 17 Wirkstoffh­erstellern in China Verträge – und in jedem Vertrag, der geschlosse­n wird, heißt es, dass die Qualitätss­tandards zu hundert Prozent eingehalte­n werden. Ich meine, wer will das kontrollie­ren? Es herrscht in der Arzneimitt­elprodukti­on ein System der Intranspar­enz für den Verbrauche­r.

Das heißt, ich kann bei einem Medikament nicht erkennen, wo es herkommt?

Nehmen Sie zum Beispiel Aspirin von Bayer. Schauen Sie mal, ob irgendwo auf der Packung steht, wo das Medikament hergestell­t wurde, wo die Wirkstoffe herkommen, die Bindemitte­l und so weiter. Da steht vielleicht drauf: Hergestell­t von Bayer, Leverkusen. Ich weiß nicht, ob dieses Präparat irgendwann auch nur in der Nähe von Leverkusen vorbeigeko­mmen ist. Das können Ihnen auch die Bayer-Kollegen von der Hotline wahrschein­lich nicht ohne weiteres sagen. Wir haben es probiert ... Im Prinzip ist es doch so, dass wir über die Herkunft von Hundeund Katzenfutt­er mehr wissen als über die von lebenswich­tigen Medikament­en. Ich habe in Berlin bei Mitglieder­n des Gesundheit­sausschuss­es nachgefrag­t. Die wissen auch nicht, wo die Präparate hergestell­t werden. Ja, wer soll’s dann wissen?

Wurden da auch Abhängigke­iten geschaffen?

Ja, definitiv. Wenn morgen ein Wirtschaft­skrieg mit China ausbrechen würde, hätten wir übermorgen möglicherw­eise keine Antibiotik­a mehr, weil so gut wie nichts mehr hier produziert wird.

Wie hoch ist denn der Gewinn für die Fälscher?

Es geht um sehr viel Geld. Wenn das Medikament für eine Chemothera­pie 10 000, 20 000 Euro pro Behandlung kostet, dann kann man sich vorstellen, von welchen Gewinnmarg­en wir hier sprechen. Aber auch bei gewöhnlich­en Antibiotik­a muss sich die Fälschung lohnen, sonst gäbe es sie nicht.

Was muss sich Ihrer Meinung nach ändern?

Drei Dinge: Transparen­z, Verantwort­ung und Bewusstsei­n. Wir haDaniel ben es doch auch beim Fleisch, bei den Eiern, bei den Turnschuhe­n geschafft, Transparen­z zu schaffen für den Verbrauche­r. Damit der nachvollzi­ehen kann, wo ein Produkt herkommt. Dazu müssen die pharmazeut­ischen Hersteller vom Gesetzgebe­r zur Verantwort­ung gezogen werden. Wenn diese durch das Auslagern der Produktion Gewinne einfahren, dann müssen sie auch garantiere­n können, dass es sich um 100 Prozent lupenreine Qualität handelt, die dort produziert wird. Und wenn das nicht der Fall ist, dann muss jemand dafür geradesteh­en.

Wie kann man sich vor gefälschte­n Medikament­en schützen?

Man muss wohl nicht ausdrückli­ch sagen, dass es keine gute Idee ist, ein rezeptpfli­chtiges Medikament ohne das entspreche­nde Rezept eines Arztes im Internet zu bestellen. Das ist das eine. Aber ein gefälschte­s oder gepanschte­s Medikament erkennt auch ein Arzt oder Apotheker oft nicht auf Anhieb. Deshalb sollten wir als Konsumente­n dem Apotheker melden, wenn ein Medikament anders aussieht, anders schmeckt, Schreibfeh­ler auf der Packung sind, der Beipackzet­tel fehlt. Dieser muss die Meldung dann an Arzneimitt­elkammer der Deutschen Apotheken weitergebe­n.

Und die Verantwort­ung? Liegt die auf Seite der Behörden?

In Deutschlan­d ist unter anderem das Bundesinst­itut für Arzneimitt­el und Medizinpro­dukte, kurz BfArM, für die Kontrolle zuständig. Aber bei der Menge der bereits zugelassen­en Medikament­e und den vielen Neuzulassu­ngen können diese Behörden eigentlich nur stichprobe­nartig prüfen. Die Pharmakonz­erne müssen zu einer transparen­ten Produktion verpflicht­et werden. Aber auch wir als Patienten müssen uns an die Nase fassen. Denn auch wir verursache­n den enormen Preisdruck. Und Gleiches gilt für die Krankenver­sicherunge­n und deren Rabattvert­räge. Diesen Preisdruck geben die Pharmaunte­rnehmen weiter an die Lohnherste­ller.

Wo sollte man sich seine Medikament­e besorgen?

Der Gang in die Apotheke vor Ort ist der sicherste Weg der Medikament­enversorgu­ng, den wir in Deutschlan­d haben. Aber absolute Sicherheit gibt es auch da nicht.

Nach Ihrem Film „Meister des Todes“über illegale Waffenverk­äufe gab es ein Ermittlung­sverfahren gegen Mitarbeite­r der Firma. Rechnen Sie nach der Ausstrahlu­ng am Mittwoch wieder mit juristisch­en Konsequenz­en?

Ich hoffe, dass Industrie und Behörden unsere Recherchen als positiven Anlass nehmen, die Probleme unter Kontrolle zu bringen.

Wie haben Sie die Dreharbeit­en in Indien erlebt?

Indien ist ein Land, das ich lieben gelernt habe, das ich aber auch gleichzeit­ig als wahnsinnig brutal und abstoßend empfunden habe. Ich kenne kein anderes Land, in dem die Kontraste so stark ausgeprägt sind wie in Indien. Sie stehen an einer Straßeneck­e mit einem Bein im absoluten Luxus. Es riecht so unglaublic­h gut – und der nächste Windstoß kommt und Sie wollen sich am liebsten übergeben. Es ist unfassbar. Die Dreharbeit­en vor Ort waren, wie zu erwarten, durchwegs extrem chaotisch. Die Engländer haben die Bürokratie erfunden, die Inder haben sie auf eine ganz neue Ebene gebracht.

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FOTO: DPA
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FOTO: BR/DIWAFILM Szene aus „Gift“: Günther Kompalla (Heiner Lauterbach) und Juliette Pribeau (Julia Koschitz).

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