Die seltsamen Blüten der Fankultur
Von der Wiege bis zur Bahre: Wer möchte, kann ein ganzes Leben und sein Begräbnis in den Farben seines Lieblingsfußballvereins gestalten
HAMBURG/DRESDEN (dpa) - „Möglich ist alles“, sagt Bestattermeister Michael Carbuhn. Auf dem Hamburger Friedhof Altona kann der HSVFan standesgemäß zur letzten Ruhe gebettet werden: im blau-weißen Sarg, mit der HSV-Raute ausgeschlagen, in blau-weißer Kapelle mit passender Ausstattung und Hymne. Gebeine oder Asche kommen in ein dem Stadion nachempfundenes Grabfeld – mit Beton-Fußballtor, Tribünenhalbkreis und Originalrasen.
Blau-Weiß bis ins Grab ist auch für den Schalker möglich – im „Schalke FanFeld“auf einem Gelsenkirchener Friedhof. In der Arenakapelle auf Schalke wird seit 2001 getauft und getraut. Der Weg zu dem neutral gehaltenen Sakralraum führt durch den Spielertunnel, direkt an den Kickerkabinen vorbei ins Stadionherz. „Die direkte Sichtlinie endet unter dem Anstoßpunkt.“Pro Jahr geben sich zwischen 20 und 30 Paare auf Schalke das Jawort, und etwa 90 Kinder werden getauft. Neugeborene in Frankfurt bekommen schon in der Entbindungsstation einen Body mit Eintracht-Logo. Rund 12 000 der begehrten „Eintracht-Strampler“pro Jahr werden verteilt.
In vielen Krankenhäusern der Republik können Fans ihren Nachwuchs im Ambiente ihres Lieblingsclubs zur Welt bringen, oft verbunden mit einer kostenlosen Mitgliedschaft. Das Klinikum Chemnitz hat seit wenigen Wochen einen Kreißsaal in Himmelblau mit Logo des Drittligisten Chemnitzer FC gestaltet. „Es gibt jetzt einen Ort, wo man als CFC-Fan geboren werden kann“, sagte Lutz Kaltofen, Chefarzt der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, bei der Einweihung.
Zu den Vorreitern gehörte das Klinikum Osnabrück, wo die Welt beim ersten Schrei auf Wunsch lila-weiß ist und das Logo des VfL Osnabrück blitzt. Der Verein hat sogar eine Kindertribüne – und die neuen Erdenbürger bekommen eine kostenlose Mitgliedschaft im KidsKlub.
Im Agaplesion Diakonieklinikum in Hamburg-Eimsbüttel können Patienten zwischen OP-Saal FC St. Pauli und HSV wählen – entsprechend dem Vereinslogo an den Glastüren. Viele berichteten hinterher, ob sie im „richtigen“oder „falschen“OP waren, sagte Geschäftsführer Jörn Wessel. Es gebe vereinzelt Anfragen, im Saal seines Lieblingsvereins operiert zu werden. „Wir versuchen, das zu ermöglichen.“
Simone Saloßnick lebt die „Leidenschaft“für Dynamo Dresden im Job. Sie betreibt die „Dynamo-Tankstelle“, wo Fans und Spieler regelmäßig tanken. Zapfsäulen, Vorfahrt, Anzeige, Uniform – alles Schwarz-Gelb.