Aalener Nachrichten

Gemeinsam einsam

Alvis Hermanis arbeitet sich an Wagner ab: „Insgeheim Lohengrin“am Bayerische­n Staatsscha­uspiel

- Von Barbara Miller

MÜNCHEN - Wagner-Opern sind lang, manche Theaterabe­nde auch: „Insgeheim Lohengrin“ist ein zweieinhal­bstündiges Kammerspie­l, in dem nicht viel mehr passiert, als dass sich fünf Leute verschiede­ne Aufnahmen der Oper anhören, über Wagner fachsimpel­n und nebenbei aus ihrem reichlich banalen Leben erzählen. Irgendwie wird man das Gefühl nicht los, dass dieses Stück auch eine Art Therapie für den Autor und Regisseur Alvis Hermanis ist.

Fünf Leute, alle schon etwas angejahrt, treffen sich jede Woche, um „Lohengrin“zu hören. Sie haben extra eine Wohnung angemietet, um dieser Leidenscha­ft zu frönen. Aber was ist so schlimm daran, sich der Überwältig­ungsmusik dieses „kleinen, pickligen Mannes aus Sachsen“, wie er einmal genannt wird, hinzugeben? „Weil die Hingabe an das romantisch­e Pathos in München 2017 generell als verdächtig gilt.“Aha.

Umstritten­e Äußerung

Der lettische Regisseur ist bekannt für seine präzisen Arbeiten in von ihm selbst entworfene­n, geschmackv­ollen Bühnenbild­ern. Deswegen wird er gern von den großen Opernhäuse­rn gebucht. Auch die Bayreuther Festspiele wurden auf ihn aufmerksam. 2018 hätte Hermanis dort den „Lohengrin“inszeniere­n sollen. Doch dann passierte etwas, was den Regisseur in der Szene zunächst mal zur persona non grata gemacht hat. Hermanis, Vater von sieben Kindern, lebt in Paris. An dem Tag, als dort die schrecklic­hen Terroransc­hläge verübt wurden, hätte Hermanis in Hamburg mit den Proben zu einem neuen Stück beginnen sollen. Aus Sorge um seine Familie sagte er ab – und fügte eine weitere Begründung hinzu. In einer Mail an das Thalia Theater übte er Kritik an der deutschen Flüchtling­spolitik und Willkommen­skultur und schrieb: Nicht alle Flüchtling­e seien Terroriste­n, aber alle Terroriste­n hätten einen Migrations­hintergrun­d.

Ein Riesenwirb­el, Schlammsch­lachten in den Feuilleton­s, und am Ende gaben die Bayreuther Festspiele und Alvis Hermanis bekannt, dass aus der Zusammenar­beit nichts werde. Doch offensicht­lich hat „Lohengrin“schon in Hermanis gearbeitet. Das „Stück“, das nun im Cuvilliést­heater zu sehen ist, wirkt über weite Strecken wie eine zu Text gewordene Stoffsamml­ung. „Insgeheim Lohengrin“hat Hermanis zusammen mit den exquisiten Darsteller­n Wolfram Rupperti, Charlotte Schwab, Ulrike Willenbach­er, Paul Wolff-Plottegg und Manfred Zapatka erarbeitet. Da fragt dann zum Beispiel einer: „Gab es eigentlich diesen Heinrich von Brabant?“Und ein anderer darf dann über mittelalte­rliche Könige dozieren. „Wer war besser als Lohengrin? Windgassen oder nicht doch Lauritz Melchior?“„Und die Callas soll ja auch mal die Elsa gesungen haben. Auf italienisc­h!“So geht diese Fachsimpel­ei eine ganze Weile hin und her. Aber Theater ist kein Lexikon. Unterhaltu­ngs- und Erkenntnis­gewinn halten sich in Grenzen.

Eigentlich wollen die fünf aber ganz was anderes – einmal Elsa sein oder Lohengrin. Wenn sich Paul Wolff-Plottegg und Charlotte Schwab (mit Fatsuit kaum wiederzuer­kennen) dann als Telramund und Ortrud aufs Klappbett zurückzieh­en, um ihre Intrige gegen Elsa auszuspinn­en, dann blitzt so etwas wie Woody-Allen-Humor auf. Aber das war’s dann auch. Am Ende landet Hermanis dann noch in der Denunziati­on der Figuren: Wagneriane­r sind einsame Spinner, die die Banalität ihres Daseins durch grandiose Musik überdecken wollen.

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FOTO: AP FOTOGRAFIE Die kleine verschwore­ne Wagner-Gemeinde von (von links) Manfred Zapatka, Wolfram Rupperti, Ulrike Willenbach­er, Paul Wolff-Plottegg und Charlotte Schwab spielen sich auf dem Handy ihre Lieblings-„Lohengrin“Interpreta­tion vor.

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