„Deutschpop scheint den Leuten sehr viel zu geben“
Sänger Max Giesinger erklärt, warum gefühlvolle Songs ihre Berechtigung haben
Liedermacher Max Giesinger ist mit gefühlvollen Songs erfolgreich. Am 8. Juli tritt er beim Waldstadion Open Air in Neufra auf und am 20. Juli beim Hohentwielfestival in Singen. Lea Hüttenhofer hat mit dem Musiker über das Tourleben, Crowdfunding und die deutsche Popmusik gesprochen.
Max, dein Album „Der Junge, der rennt“sowie die Tour waren ein großer Erfolg. In diesem Jahr geht die Tour weiter – wie fühlt sich das alles an?
Immer noch surreal. Es war immer mein Traum, auf großen Festivalbühnen zu stehen, aber ich dachte, das wird noch eine Weile dauern. Dann denke ich manchmal an die Zeit vor anderthalb Jahren zurück, als ich noch kein Label hatte, nicht wusste, wie ich die Platte auf den Weg bringen sollte. Da hab ich sogar überlegt, ob ich das wieder mit Hilfe meiner Fans machen soll.
Wie kam es zu der Entscheidung „Laufen Lernen“über Crowdfunding zu finanzieren?
Die ganzen Musiklabels fanden mich damals noch nicht interessant genug. Ich bin dann auf diese Crowdfunding-Sache gestoßen. Ich konnte mir das gut vorstellen. Zu Fans zu fahren und Wohnzimmerkonzerte zu geben. Am Anfang hab ich noch etwas mit mir gehadert, weil ich Angst hatte das Geld nicht zusammen zu bekommen. Aber nach einem Tag war dann schon die benötigte Summe für die Albumproduktion zusammen. Da wusste ich, dass da draußen Menschen sind die wirklich Bock auf meine Musik haben.
Hast du das Gefühl man begibt sich damit in Abhängigkeit der Leute, die einen finanziell unterstützen?
Eine Abhängigkeit ist das nicht, da man den Leuten auch etwas zurückgibt. Man muss natürlich schauen, dass das alles Hand und Fuß hat, man die Konzerte einlöst oder den Leuten die Platten schickt. Das war ein ordentlicher Organisationsaufwand. Irgendwann hieß esm drei, vier Tage zu Hause sitzen, Platten unterschreiben und in Umschläge packen. Das hat man alles noch selbst gemacht damals. Eine super wichtige Erfahrung.
Du hast dich nie von der Musik abbringen lassen. Gab es jemals einen wirklichen Plan B?
Plan B gab es tatsächlich nie. Da war ich auch extrem dankbar dafür. Es gibt Leute, die haben richtig viele Talente und machen immer alles ein bisschen, aber nichts zu hundert Prozent. Bei mir war früh klar, dass Musik mein einzig großes Talent ist und ich habe dann alles auf das Pferd gesetzt.
Nach dem Abi warst du als Straßenmusiker auf Reisen. Was hat dich diese Erfahrung gelehrt?
Dass man immer irgendwie von der Musik leben kann und man als Musiker auch immer irgendwo unterkommt. Leute sagen, „Ich hab ’ne Couch, spielst heute Abend drei Songs für uns, dann passt das.“Und es hat mich gelehrt auf größeren Bühnen zu bestehen. Damals für je- den Zuhörer gekämpft zu haben, das war eine superwichtige Schule.
Sind Auftritte schon Routine oder bist du noch immer aufgeregt?
Ich bin immer noch aufgeregt. Das ist auch was Gutes, nur dadurch bekommst du diese 100 Prozent Anspannung. Früher hab ich bei Auftritten mit Gitarre und auf einem Hocker so dermaßen gezittert, dass ich Angst hatte herunterzufallen. Jetzt ist noch eine gewisse Grundaufregung übrig: Wie ist das Publikum drauf, springt der Funke über?
Deine Lieder sind meist sehr persönlich – schreibst du deine Songs komplett selbst?
Ich schreibe sehr viel mit Jens Schneider, der ist mein absoluter Writing-Seelenpartner und einer meiner besten Freunde. Ab und an kommt dann noch einer dazu, vereinzelt auch mal zu viert. Dadurch werden die Songs trotzdem nicht unpersönlicher. Man schreibt immer über Themen, die einen gerade fertig machen und beschäftigen. Somit kann man auch ganz gut mit Sachen abschließen.
Wie fühlt es sich an mit etwas so Persönlichem auf der Bühne zu stehen?
Auf jeden Fall besser, als wenn das irgendeine vorgetäuschte Scheiße wäre. Wenn du weißt, du hast jede Note mitgeschrieben und da ist nichts Fremdes dabei, stehst du mit einem ganz anderen Selbstbewusstsein auf der Bühne.
Von Jan Böhmermann wurdest du ziemlich hart kritisiert. Wie hast du darauf reagiert?
Ich hab's mit Humor genommen. Vor anderthalb Jahren hätte sich kein Satiriker überhaupt mit mir beschäftigt . Wenn sich Böhmermann so intensiv mit einem Musiker auseinandersetzt, hat man wohl etwas richtig gemacht.
Fandest du seine Kritik, auch gegenüber der deutschen Musikindustrie, berechtigt?
Es gab da schon ein paar Punkte, bei denen ich dachte, da ist was Wahres dabei. Diese Sache mit den Videogeschichten zum Beispiel.
Dass gezielt Markenprodukte in Musikvideos platziert werden, egal ob diese im Zusammenhang mit der Handlung stehen?
Genau. Kann man von halten, was man will. Das Musikbusiness ist nicht mehr so wie Anfang der 2000er. Als Künstler verkauft man ja heutzutage nur noch einen Bruchteil der Alben von damals. Wenn sich Bands nach neuen Einnahmequellen umschauen kann ich das schon verstehen.
Gab es andere Punkte, die du berechtigt fandest? Den Mangel an Themenvielfalt, dass Pop „Schlager unter falscher Flagge“sei?
Nein. Dann dürfte man auch keine englische Popmusik mehr hören. Da gibt es auch Schlagwörter, die oft benutzt werden. Und über die großen Gefühle haben damals auch schon die Beatles gesungen. Die Sache ist ja die, dass den Leuten Deutschpop sehr viel zu geben scheint. Ich lese viele Mails von Menschen, die mir schreiben „danke für das Lied, mich hat der Song über eine schwere Zeit gebracht“. Was soll daran verwerflich sein?
Es gibt nicht gerade wenig männliche, deutschsprachige Sänger, die gefühlvolle Popsongs machen. Was hebt dich von der Masse ab?
Die Stimme, die das ganze zusammenhält. Und die Storys. Bei mir sind es immer stringente Geschichten, die Bilder in den Kopf projizieren.
Wo siehst du dich in zehn Jahren?
Ich werde weiterhin versuchen schöne Popsongs zu schreiben, die eine große Melodie haben und einen tollen Text. Ich könnte mir vorstellen, dass es etwas rockiger wird und noch mehr Kante bekommt.