Abgeschoben und auseinandergerissen
Frau und Kinder werden mitten in der Nacht abgeführt – Vater will sie zurückholen
AALEN - Alaa Alwawi ist wütend, aber auch verzweifelt. Seit vier Tagen fehlt ihm schmerzlich seine Familie. Vergangenen Freitag – es war kurz nach Mitternacht – kamen zwölf Polizisten in seine Wohnung in Oberalfingen und nahmen Frau und Kinder mit. Die 30-jährige Denora Kapaj und ihre drei Kinder hatten nur eine halbe Stunde Zeit, um ihre Habseligkeiten zu packen. Dann wurden sie abgeführt, zum Flughafen gefahren und nach Albanien geflogen, dem Heimatland der Mutter. Seitdem kämpft Vater Alwawi darum, seine Familie zurückzubekommen. Der 36-Jährige darf in Deutschland bleiben, er ist Syrer und hat deshalb einen Aufenthaltstitel. Weil er aber nicht mit Kapaj verheiratet ist, hat sie kein Recht auf Bleibe. Bei seinem Kampf stehen ihm Rina Pantou und Pfarrer Bernhard Richter zur Seite.
Noch wenige Tage zuvor hatte die Familie an der Einjahrfeier des „Café International“im Haus Kastanie teilgenommen. Der zwölfjährige Mohammed sprach Dankesworte, die achtjährige Fatima sang im Chor zu den Feierlichkeiten mit, auch die dreijährige Melek war dabei. „Da haben wir gespürt, wie gut integriert viele unserer Flüchtlinge durch das Café sind“, erinnert sich Pfarrer Richter, der die evangelische Kirchengemeinde als Träger vertritt. „Die Vier gehören einfach dazu.“
„Ich bin aufgewacht und plötzlich standen die Polizisten vor mir“, sagt Alaa Alwawi über die Nacht, als seine Familie aus der eigenen Wohnung abgeführt und abgeschoben wurde.
Mitarbeiter in Schockstarre
Mutter Kapaj half regelmäßig im Café mit, das vom Kreisdiakonieverband betrieben wird. Genau wie dessen Leiterin Rina Pantou will er die Rechtmäßigkeit der Abschiebung nicht infrage stellen. Dennoch sagt Richter: „Es ist eine menschliche Tragödie.“Wie viele Mitarbeiter sei auch er geschockt gewesen über die Nachricht. Der Aalener Stadtpfarrer spricht gar von einer „Schockstarre“. Er frage sich: „Wie lange machen wir das Café noch, wenn wir Menschen integrieren und sie dann wegmüssen?“
Als die Nacht vom Donnerstag auf Freitag kam, war Alwawi auf dem Sofa im Wohnzimmer eingeschlafen. Seine Partnerin wollte ihn nicht wecken und war nach oben ins Schlafzimmer gegangen. „Dann habe ich Stimmen gehört, bin aufgewacht und plötzlich standen die Polizisten vor mir“, erin„Wo nert er sich. Da war es etwa halb ein Uhr nachts. Alwawi spricht auf Griechisch, Pantou übersetzt, denn in Griechenland hat er viele Jahre gelebt. Auf Kreta traf er 2007 Kapaj, sie wurden ein Paar. Sie bekam aber kein Asyl, also versuchten sie es weiter in Schweden, dann in Deutschland. Schließlich kam die Familie nach Aalen, wo sie seit September 2016 im Café International aktiv ist.
Kein Wasser bekommen
Nur eine halbe Stunde hätte seine Partnerin gehabt, um für sich und die Kinder zu zu packen, sagt der Familienvater. Immer wieder hätten die Polizisten sie angetrieben, schneller zu machen. Er spielt eine Sprachaufnahme auf dem Handy ab, auf der der zwölfjährige Mohammed zu hören ist, wie er auf Deutsch von dieser traumatischen Nacht erzählt: Etwa anderthalb Stunden hätten die Vier im Abschiebegefängnis gesessen, um 4.14 Uhr seien sie mit dem Bus zum Flughafen nach Baden-Baden gefahren worden. „Ich wollte Wasser, aber niemand hat zugehört“, sagt er. „Sie haben immer gesagt: nachher, am Flughafen.“Seine dreijährige Schwester Melek habe in die Hose gemacht, aber ihre Mutter habe die Windel erst drei Stunden später wechseln dürfen.
In Tirana, Albaniens Hauptstadt, angekommen, habe man der Familie gesagt: „Jetzt könnt ihr nach Hause gehen.“Die Mutter habe dann gefragt: nach Hause?“Sie hatte Albanien vor 17 Jahren verlassen. Ein Sozialarbeiter brachte sie dann doch zu einer Freundin von Kapaj, wo sie nun leben.
Vater Alwawi beteuert, dass diese Nacht- und Nebelaktion für ihn völlig überraschend kam. Allerdings: Kapajs Asylantrag war bereits abgelehnt worden. Dagegen klagte sie – ohne Erfolg. Vor etwa einem Monat bekam die Mutter von drei Kindern dann ein Schreiben vom Gericht, das sie darüber aufklärte, dass ihre Klage abgewiesen worden war. Die Abschiebung wurde am 15. April rechtskräftig.
Familie schöpft neuen Mut
Nun schöpfen die Beteiligten aber neuen Mut. Erst am Montagnachmittag teilt die Anwältin der Familie mit: „Es gibt Mittel und Wege.“Die eine Möglichkeit bestehe in einer Familienzusammenführung, was aber frühestens im März 2018 möglich ist. Die andere ist laut Pantou, die Einreisesperre aufzuheben, was 1000 Euro koste. Inklusive Deutschkurs in Albanien und den Reisekosten brauche sie 1500 Euro. „Das ist der schnellste Weg, damit die Familie zurückkommt.“Dieses Geld will sie nun über Spenden sammeln. Wichtig sei auch, dass Alwawi einen festen Vollzeitjob findet und Kapaj einen Ausbildungsplatz. Sie strebt eine Ausbildung zur Altenpflegehelferin an.
„Ich möchte, dass nicht die Herkunft, sondern der Schutz der Familie ausschlaggebend ist“, fasst Pantou abschließend ihren Wunsch zusammen. Es müsse stets eine Einzelfallprüfung geben, um Familien nicht auseinanderzureißen. „Die Familie hat in Oberalfingen, in Aalen eine Heimat gefunden“, betont Pfarrer Richter. Dass man sie dann einfach weggeholt habe, entspreche zwar geltendem Recht, aber rechtens sei es dennoch nicht. Er verspricht: „Ich kümmere mich um den Ausbildungsplatz, und wenn es sein muss, schalte ich auch die politische Ebene ein.“