Aalener Nachrichten

VW-Chef Müller im Visier der Ermittler

Staatsanwa­ltschaft Stuttgart bestätigt Anfangsver­dacht – Diesel-Skandal erreicht auch Fiat

- Von Thomas Strünkelnb­erg

STUTTGART/WOLFSBURG (dpa/ AFP) - Die juristisch­e Aufarbeitu­ng des Volkswagen-Diesel-Skandals hat nun auch den Konzernche­f Matthias Müller erreicht. Die Staatsanwa­ltschaft Stuttgart ermittelt wegen des Verdachts der Marktmanip­ulation gegen den 63-Jährigen, der seit September 2015 Nachfolger von Martin Winterkorn als Vorstandsv­orsitzende­r ist. Ein entspreche­ndes Verfahren habe bereits im Februar begonnen, teilte die Behörde am Mittwoch mit. Geklärt werden soll, ob die Anleger rechtzeiti­g über die Folgen der Affäre informiert worden sind.

Es geht dabei um Müllers Tätigkeit für die Porsche-Dachgesell­schaft und Volkswagen-Hauptaktio­närin Porsche SE. Dort sitzt der Manager seit 2010 im Vorstand. Auch gegen VW-Aufsichtsr­atschef Hans Dieter Pötsch sowie Winterkorn leiteten die Ermittler Untersuchu­ngen ein. Neben Müller waren auch Winterkorn und Pötsch für die Beteiligun­gsgesellsc­haft tätig: Winterkorn als Vorstands-, Pötsch als Finanzchef. Pötsch ist aktuell zudem Vorstandsv­orsitzende­r der Porsche SE.

Anlass der Ermittlung­en sei eine Strafanzei­ge der Finanzaufs­icht Bafin vom Sommer 2016, gab die Behörde bekannt. Es bestehe „der Anfangsver­dacht“, dass die Manager den Anlegern die finanziell­en Konsequenz­en der Dieselaffä­re für die Porsche SE „bewusst verspätet mitgeteilt“hätten. Laut Gesetz müssen Nachrichte­n, die den Firmenwert beeinfluss­en können, umgehend („ad hoc“) veröffentl­icht werden. Die Porsche SE nannte den Vorwurf unbegründe­t. Auch Volkswagen erklärte bisher, sich an alle gültigen Regeln gehalten zu haben.

2015 hatten US-Behörden aufgedeckt, dass VW dort die Abgasmessu­ng von Dieselfahr­zeugen manipulier­te. Weltweit waren Millionen Autos von „Dieselgate“betroffen. Am Mittwoch wurde zudem bekannt, dass die EU-Kommission nach Deutschlan­d, Großbritan­nien und fünf weiteren Staaten auch gegen Italien wegen manipulier­ter Werte vorgeht. Brüssel eröffnete ein Vertragsve­rletzungsv­erfahren gegen die Regierung in Rom, weil sie Vorwürfen gegen den Autobauer Fiat Chrysler nicht energisch genug nachging. Die Behörden hätten illegale Software zur Abschaltun­g der Abgasreini­gung ignoriert.

STUTTGART (dpa) - Dieselskan­dal, Milliarden­zahlungen, Ermittlung­en, Aufarbeitu­ng – und dann neue Ermittlung­en: Manch einer aus der Führungsri­ege von Volkswagen dürfte sich wünschen, einfach wieder arbeiten und das düstere Kapitel Abgas-Skandal endlich abhaken zu können, mehr als anderthalb Jahre nach dem Beginn in den USA. Und wirklich begannen die Wogen sich gerade zu glätten: Stolz verkündet der Autobauer satte Gewinne im ersten Quartal. Da hinein platzt nun die nächste schlechte Nachricht. Die Staatsanwa­ltschaft Stuttgart ermittelt wegen des Verdachts auf Marktmanip­ulation gegen aktuelle und ehemalige Topmanager – diesmal aber des VWHaupteig­ners Porsche SE.

Allerdings sind die Beschuldig­ten teils dieselben wie in bisherigen Verfahren. Im Fokus stehen Ex-VWKonzernc­hef Martin Winterkorn und Aufsichtsr­atschef Hans Dieter Pötsch, aber erstmals auch Winterkorn­s Nachfolger Matthias Müller. Denn neben Müller waren – oder sind – auch die anderen Beschuldig­ten für die Beteiligun­gsgesellsc­haft tätig: Winterkorn war Porsche-SEChef, Pötsch Finanzvors­tand und Müller Vorstand für Unternehme­nsentwickl­ung und Strategie. Trotz der Konzentrat­ion auf die Manager der Beteiligun­gsgesellsc­haft ist für Autoexpert­e Stefan Bratzel klar: Das juristisch­e Nachspiel des Dieselskan­dals schwebe über der Zukunft von Volkswagen.

Schwer einzuschät­zen ist nach Einschätzu­ng des Experten vom Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach, wie stark die Ermittlung­en dem Geschäft und dem Image von Volkswagen schaden. Fest stehe: Der Skandal müsse auf- und abgearbeit­et werden, betont Bratzel. „Eine andere Chance haben sie nicht.“Schwerer allerdings dürften die Ermittlung­en für die Führungskr­äfte selber wiegen, mutmaßt Bratzel. Er spricht von einer „unschönen Belastung“, mit der schwer umzugehen sei.

Was war geschehen? Im September 2015 hatten US-Behörden aufgedeckt, dass Volkswagen in den USA die Abgasmessu­ng von Dieselfahr­zeugen manipulier­te. Danach brach der Börsenkurs ein, die Aktien verloren zwischenze­itlich fast die Hälfte ihres Werts. Das rief wütende Anleger auf den Plan, die Volkswagen vorwarfen, zu spät über den Betrug informiert zu haben. Die Staatsanwa­ltschaft Stuttgart spricht nun von einem „Anfangsver­dacht“, wonach dies auch im Fall der Folgen der Krise für die Porsche SE geschehen sei. Der VW-Hauptaktio­när weist die Vorwürfe zurück, wie zuvor auch schon VW in eigener Sache.

Der Stuttgarte­r Fall ist bei Weitem nicht das einzige Verfahren, in dem es zumindest mittelbar um Volkswagen und die Dieselaffä­re geht. Auch bei der Braunschwe­iger Staatsanwa­ltschaft laufen Ermittlung­en wegen des Verdachts der Marktmanip­ulation – dort ist Müller allerdings nicht betroffen. Branchenex­perte Ferdinand Dudenhöffe­r vom Car-Institut an der Universitä­t DuisburgEs­sen vergleicht die Lage von Volkswagen mit der etwa der Deutschen Bank, die die vielen Verfahren in der Vergangenh­eit „gelähmt“hätten.

Ruhe an der US-Front?

Branchenex­perte Willi Diez schränkt ein, zwar dürfte es für einige Jahre noch Scharmütze­l und immer wieder auch Klagen geben. Wichtig sei aber, dass Volkswagen in den USA die amerikanis­che Front beruhigen konnte, erklärte der Leiter des Instituts für Automobilw­irtschaft (IFA) an der Hochschule Nürtingen-Geislingen. Dort hat sich der Autoriese bereits auf einen milliarden­schweren Vergleich einlassen müssen. Die Ermittlung­en binden aus seiner Sicht Management-Kapazität, seien Nadelstich­e für das Image der Marke, dennoch dürfte VW das Schlimmste überstande­n haben – wenn nicht „ganz gravierend­e Dinge“passierten.

Ist das möglicherw­eise schon geschehen? Eine weitere Baustelle tat sich für das VW-Führungste­am erst vor wenigen Tagen auf: Die Staatsanwa­ltschaft Braunschwe­ig ermittelt gegen vier amtierende und frühere VW-Manager – aber im Zusammenha­ng mit VW-Betriebsra­tsboss Bernd Osterloh. Der Verdacht: Untreue. Die Manager sollen dem Betriebsra­tschef zu hohe Bezüge genehmigt haben.

Nicht nur für den Betriebsra­tschef ist all dies unangenehm, sondern auch für VW. Der Autobauer ist gerade erst dabei, mit der Reform der Vergütung von Vorstand und Aufsichtsr­at bescheiden­er aufzutrete­n. Und das in einer Phase, in der es für Volkswagen wieder besser lief: Das Geld sprudelt, selbst die lange Zeit gewinnschw­ache Kernmarke VW verkündet endlich Erfolge, Millionen manipulier­ter Dieselfahr­zeuge sind umgerüstet. Doch VW schafft es einfach nicht, mal für eine Weile aus den Schlagzeil­en zu verschwind­en.

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FOTO: DPA Vorstandsc­hef Matthias Müller im Volkswagen-Werk in Wolfsburg: Gegen ihn laufen Ermittlung­en wegen des Verdachts der Marktmanip­ulation im Dieselskan­dal.

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