Betteln mit Instrumenten
Städte bekämpfen verstärkt organisierte Bettelbanden – Darunter leiden aber auch etablierte Straßenmusiker und Bedürftige
RAVENSBURG - Alex steht mit seiner Gitarre in der Ravensburger Fußgängerzone, trägt einen knallbunten Stoffanzug und singt „Knocking on heaven’s door“. Passanten bleiben stehen, summen mit und werfen Münzen in seinen Gitarrenkoffer. Die Sonne scheint, die Laune ist gut, die Atmosphäre entspannt. Doch der Künstler hat es schon anders erlebt: „Manchmal tauchen größere Gruppen mit Instrumenten auf, stellen sich ein paar Meter entfernt auf und beginnen, sehr laut Musik zu machen“, erzählt er. „Dann kann ich einpacken.“Wobei es sich mal mehr, mal weniger wirklich um Musik handelt. Was Alex stört, ist nicht die Tatsache, dass es noch andere Straßenmusiker gibt, sondern das rücksichtslose Verhalten solcher Gruppen. Für ihn sei es selbstverständlich, dass man Rücksicht auf andere Musiker nimmt und sich einen Platz außer Hörweite sucht.
Der 31-Jährige, der unter dem Künstlernamen „Rainbow“auftritt, ist nicht der Einzige, der dieses Phänomen beobachtet. Auch Rasmus Schumacher aus Köln, der mit Straßenmusik einen Teil seines Lebensunterhalts verdient und regelmäßig im Südwesten auf Tour ist, berichtet Ähnliches: „Es kommt in den vergangenen Jahren immer öfter vor, dass Musiker, die keine sind, in den Fußgängerzonen Krach machen.“Da dies Anwohner und Ladenbesitzer störe, seien in vielen Städten die Auflagen für Straßenmusiker strenger geworden, so der 34-Jährige. Darunter leide aber auch sein Schaffen als Straßenkünstler.
Aggressiv gegen Passanten
Nicht nur die Musiker bemerken diesen Wandel in den Fußgängerzonen. Ein Mittfünfziger, der in einer oberschwäbischen Stadt samstags Passanten um Geld bittet, hat seine ganz eigenen Erfahrungen gemacht: „Da kommen Leute und sagen mir, in einer halben Stunde musst du hier weg sein, dann wollen wir diesen Platz haben“, berichtet der Mann, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Er beobachtet, dass jene Männer und Frauen, die ihm seinen Stammplatz streitig machen, bisweilen aggressiv auf die Passanten zugehen, um zu betteln. „Manchmal bedrängen sie die Menschen richtig, das würde ich nie machen. Ich sitze hier, und wer möchte, kann mir etwas in meinen Hut werfen.“
Genau das tun die Leute. Immer wieder wird der am Boden sitzende Mann gegrüßt oder jemand bleibt stehen, um ein paar Worte mit ihm zu wechseln. Er sei nicht obdachlos, berichtet er, wohne in einem kleinen Zimmer und beziehe Hartz IV. „Ich nehme keine Drogen und bin kein Trinker. Aber ich mag Kaffee und rauche gerne. Das kann ich mir von meinem Geld nicht leisten, deshalb bitte ich um Unterstützung.“
Der Mittfünziger gehört, wenn man so will, zu den „guten“Bettlern. „Das sind Leute, die die Bürger kennen“, sagt Marlies Gildehaus, Sprecherin der Stadt Ulm. Menschen, die schon immer das Stadtbild mitgeprägt haben, die geduldet und unterstützt werden. Wie eine Frau in Ulm, die sich mit selbst gehäkelten Topflappen ein paar Euro verdient und sonst lautlos um eine Spende bittet. In Ulm wie in anderen Städten ist aber auch das Phänomen der Bettlerbanden bekannt, die den Angestammten die Plätze streitig machen. Die den Menschen mit ausgestreckter Hand und wimmernd auf die Pelle rücken. Oder die zusammengekauert eine Behinderung oder fehlende Gliedmaßen vortäuschen, um Mitleid heischend nach Geld zu verlangen. Hinter ihnen stecken oft organisierte Gruppen, und sie kommen nicht selten aus Osteuropa.
„Das Problem mit den Bettlerbanden hat deutlich zugenommen“, bestätigt Markus Sauter, Sprecher des Polizeipräsidiums Konstanz. Auch wenn er keine genauen Zahlen nennen kann, weil bei entsprechenden Ordnungswidrigkeiten die Verfügungsgewalt unter anderem bei den Kommunen liegt.
So teilen sich immer mehr Straßenmusiker und immer mehr Bettler den öffentlichen Raum. Aber nicht nur das, sind die Rollen doch nicht immer eindeutig. „Da gibt es welche, die sind heute Straßenmusiker, morgen Straßenkünstler und übermorgen Bettler“, sagt Jürgen Widmer, Sprecher der Stadt Lindau. Die Lindauer Insel ist im Sommer ein besonders beliebter Treffpunkt von Straßenmusikern, auch jenen, die ihr Instrument bestenfalls im Ansatz beherrschen. Die Rede ist von akustischem Wildwuchs, verbunden mit Beschwerden von Ladeninhabern, Bürgern und Gästen.
Auch andere Städte klagen über das „Betteln mit Instrumenten“, das locker unter die Kategorie Lärmbelästigung fällt und vielfach ebenfalls kriminell organisiert ist. Die Städte wehren sich gegen die Katzenmusik mit strengen Auflagen und ebenso strengen Kontrollen. In Frankfurt, das berichtet die „Welt“, gehen Mitarbeiter des Ordnungsamtes mit Geräten zur Lärmmessung auf Patrouille. Wer 60 Dezibel überschreitet, muss sein Instrument wieder einpacken. Als Vorreiter der Lärmbekämpfung gilt München – dort müssen Straßenmusiker in einer Art Casting vorspielen, bevor sie in Fußgängerzonen und auf Plätzen aufschlagen dürfen.
Umfangreicher Regelkatalog
Ein Vorspielen behält sich in Ausnahmefällen auch die Stadt Lindau vor, die in diesem Sommer strenger denn je kontrollieren will, um aggressive Bettelei und ausuferndes Musizieren zu unterbinden. So sind laute Instrumente wie Trommeln und Trompeten genauso verboten wie elektronische Instrumente und Verstärkeranlagen. Überdies dürfen die Musiker nicht länger als eine halbe Stunde am gleichen Ort spielen. Auch ist das Musizieren auf dem Marktplatz und in der Fußgängerzone nur zu bestimmten Zeiten und in bestimmten Zonen für maximal 30 Minuten gestattet. Hat sich ein Musiker bei der Stadt nicht angemeldet, ist sein Konzert sowieso vorbei.
Die Vorgaben klingen streng. Doch beinahe jede Kommune hat inzwischen solche oder ähnliche Regeln, um Krach und Kriminalität Herr zu werden. Wobei Lindaus Stadtsprecher Widmer betont: „Es gibt viele sehr gute, seriöse und freundliche Straßenmusiker. Denen bieten wir auch künftig ein Forum.“Alle anderen will die Stadt in die Schranken weisen.
Wenn sich denn die einen von den anderen immer unterscheiden lassen. Vielmehr lässt sich feststellen, so seltsam es klingen mag, dass sogar der althergebrachte Straßenmusiker und der seit jeher geduldete Bettler unter der Globalisierung leiden, unter immer strengeren Regeln und einem mit harten Bandagen geführten Verdrängungswettbewerb.
Für den Kölner Rasmus Schumacher, der so gerne im Südwesten tourt, hat das möglicherweise Konsequenzen: „Wenn das so weitergeht, muss ich mich mehr auf Auftritte in Kneipen verlegen.“Und das, obwohl sein Herz seit vielen Jahren an der Straßenmusik hängt. Was der Kölner Straßenmusiker Rasmus Schumacher auf seiner Tour durch den Süden erlebt, sehen Sie in einem Storytelling unter www.schwaebische.de/ strassenmusiker