Der Kapitän, der Bäcker werden wollte
Philipp Lahm will seinen Abschied vom Fußball genießen – und wird noch einmal Vater
Telefonieren am Spieltag? Niemals, nur im Notfall. Aber schreiben. Kurz und knapp. „Alles Gute!“, tippt Daniela Lahm. Ihr Philipp antwortet: „Merci!“Ein Mutter-Sohn-Ritual. Immer mit gleichem Wortlauf. Am Samstag zum letzten Mal. Time to say „Servus!“
Nach 22 Jahren und mehr als 500 Spielen im Trikot des FC Bayern beendet der 33-Jährige mit dem Heimspiel gegen den SC Freiburg (15.30/ Sky) seine Karriere. Der Kapitän geht mit der achten Meisterschaft und ein bisschen Bammel. „Ich freue mich sehr auf Samstag“, sagt er, „es wird ein sehr, sehr schöner, aber auch schwieriger Abschied.“Sein letztes Spiel, für das er zahlreiche Karten für Familie und Freunde geordert hat, will Lahm ebenso wie die Meisterfeier auf dem Rathausbalkon „möglichst genießen“.
Er hat alles gewonnen, ist Weltmeister, Champions-League-Sieger und erkennt wohl sämtliche nationalen und fast alle internationalen Trophäen am Geruch. Dabei wollte der gebürtige Münchner eigentlich Bäcker werden. „Weil man da nachmittags schon wieder Feierabend hat“, verriet Lahms Mutter Daniela einmal. „Philipp hat nie gesagt, dass er Profifußballer werden will.“Und doch musste die Mama ins Tor, wenn der Sohnemann im Korridor hin zum Innenhof des Mehrfamilienhauses im Münchner Stadtteil Gern stundenlang kickte.
Schwester Melanie ist Polizistin
Gleich nach dem Kindergarten ging's los. Unkompliziert sei er als Kind gewesen. Schon früh hasste der kleine Philipp eins: Verlieren. Die Mutter meldete ihren Sohn bei der Freien Turnerschaft Gern an, als er gerade einmal fünf Jahre alt war. Dort hat Mama Lahm schon immer mitgeholfen, ist seit knapp 20 Jahren Jugendleiterin. Früher arbeitete sie halbtags noch in einem Zeitschriftenladen. Von Vater Roland, einem Fernmeldetechniker, hat Philipp das Talent – auch wenn es für den Papa bei der FT Gern nur zum Bezirksligaspieler reichte. Die Großeltern wohnten ein Stockwerk tiefer.
Das Kinderzimmer teilte sich Philipp mit seiner zwei Jahre älteren Schwester Melanie – buchstäblich. Weil es mit Beginn der Pubertät immer wieder Streit gab zogen die Eltern eine Wand durchs Zimmer: zwölf Quadratmeter für jeden. In seinem Reich hängte Philipp ein Michael-Jordan-Poster an die Wand.
Der FC Bayern entdeckte Lahm in der F-Jugend, wollten ihn verpflichten. Die Eltern lehnten ab – zu jung. Als er dann elf war, klopfte Bayern erneut an. „Man hat mich damit gelockt, dass ich Balljunge im Olympiastadion sein durfte“, erinnert sich Lahm. Das Olympia-Gelände war nur einen Katzensprung von Gern entfernt. Also gut. Ab sofort fuhren ihn die Eltern zum Training an die Säbener Straße. Weil er im Trainingsanzug erscheinen musste, weigerte sich Lahm, mit der U-Bahn zu fahren, trotz direkter Verbindung mit der U1 zum Wettersteinplatz. Das sei ihm „peinlich“, das würden „nur Angeber machen“. Beim Champions-League-Finale 1997 warf Lahm den Stars von der Tartanbahn aus die Bälle zu. Zinedine Zidane von Juventus oder den siegreichen Dortmundern um Matthias Sammer, bei deren Ehrenrunde er sich einfach anschloss. 2013 drehte er in Wembley selbst eine Ehrenrunde mit dem Henkelpott, als Kapitän der Bayern. Er, der Stolz von Gern.
„Ich hab’ allen Leuten gesagt, sie sollen mich Triplesieger-Mama nennen“, erinnert sich Mutter Lahm an den größten Triumph in Lahms Bayernkarriere und lacht, „das hat aber nur zwei Tage geklappt.“Als ihr Sohn bei der WM 2010 NationalelfKapitän wurde, ließ sie sich scherzhaft „Mama Capitano“rufen. Papa Roland gab seinem Sprössling einst den Rat, sich bei der Nationalhymne „nicht zwischen die langen Kerle zu stellen“, weil die Kamera dann so weit herunterschwenken müsse. Groß sind sie eben alle nicht bei den Lahms. Eigentlich sprechen die Lahms wenig über Fußball, wenn Philipp zu Hause ist. Dann geht es um die Familie, um Schwester Melanie, die bei der Polizei arbeitet, als zuständige Jugendbeamtin für den Bezirk Neuhausen, unweit von Gern.
Im August 2012 brachte Lahms Ehefrau Claudia Sohn Julian zur Welt. Wie das glückliche Paar am Mittwoch bestätigte, ist genau passend zum Karriereende Kind Nummer zwei unterwegs. Ein Mädchen. In Sachen Erziehung gibt sich Lahm ähnlich wie als Kapitän auf dem Platz: „Mit unserem Sohnemann muss man nicht so streng sein, wenn, kann ich das auch, aber ich bin eher der nette Papa.“Der vierjährige Julian entdeckt derzeit den Fußball, ganz spielerisch. Mit dem Papa als Trainer? „Könnte sein, das war bei meinem Vater und mir auch so“, sagt Lahm und ergänzt lachend: „Ich weiß aber nicht, ob das die Ideallösung ist.“