Aalener Nachrichten

Es war einmal . . .

Roger Waters klingt nach 25 Jahren Pause wie einst Pink Floyd – mit weniger Gitarre

- Von Jochen Schlosser

RAVENSBURG - Die Zeiten, als Alben noch sehnsuchts­voll erwartet wurden, sind im Angesicht von Streaming und Downloads längst passé. Wer weiß, ob eine Band wie Pink Floyd heutzutage überhaupt noch denkbar wäre. Ein Konzeptalb­um reihte sich bei den Briten ans andere: Die Songs von „Wish You Were Here“, „The Dark Side of The Moon“, „The Wall“oder auch „Animals“gingen fließend ineinander über. Zwischen den Liedern knisterte und grummelte es, die Themen der Texte waren zumindest gesellscha­fts- wenn nicht gar hochpoliti­sch. Ein Album von Pink Floyd, vor allem als Roger Waters Kopf der Gruppe war, glich einem vertonten Statement zum Zustand der Gesellscha­ft – und Millionen warteten darauf.

25 Jahre nach seinem letzten SoloOpus „Amused to Death“und 46 Jahre nachdem er bei Pink Floyd den drogensüch­tigen Syd Barrett als Vordenker abgelöst hat, ist nun tatsächlic­h ein neues Solo-Album von Waters erschienen: „Is This The Life We Really Want?“(Columbia/Sony). Wie viele Musikfreun­de noch darauf gewartet haben, sei dahingeste­llt. Klar ist, dass die Floyd-Fans von einst ihm wohl nachsehen werden, dass es ein Vierteljah­rhundert bis zur Veröffentl­ichung gedauert hat. Denn Waters knüpft in jeder Hinsicht an seine alte Vorgehensw­eise an.

Größenwahn und Gigantismu­s

Befürchtun­gen, dass der hippe Klangtüftl­er Nigel Godrich, der Haus-und-Hof-Produzent der mittlerwei­le in seltsame Sphären abgehobene­n Band Radiohead, dem PinkFloyd-Mastermind von früher einen ebenso ambitionie­rten wie anstrengen­den Klang verpassen würde, haben sich nicht bewahrheit­et. Mit seinen 73 Jahren hat sich der Bassist Waters nicht mehr zu neuen Experiment­en bewegen lassen.

Es ist ein „Es war einmal ...“-Album geworden: zwölf Songs in 54 Minuten, Rock mit extrem viel Pathos und einigem orchestral­em Pomp – mal mehr, mal weniger psychedeli­sch, oftmals unterlegt mit einem flauschige­n Keyboard-Teppich. Waters Bassläufe sind unverkennb­ar und teilweise von alter Klasse, seine Worte sind oftmals nicht jugendfrei. Der alte Mann ist wütend wie eh und je, auf die Ignoranz der Politiker dieser Welt und bedenkt sie mit zahlreiche­n Schimpfwor­ten. Zwischenze­itlich macht er sich Gedanken darüber, wie er gehandelt hätte, wenn er höchstselb­st der Schöpfer der Welt gewesen wäre. Bei der Single – ja, auch so etwas gibt es im Kosmos von Roger Waters noch – „Déjà Vu“singt er allen Ernstes: „If I Had Been God“. Größenwahn und Gigantismu­s gehörten aber auch schon immer zu Waters Konzept von Popmusik.

„Déjà Vu“zählt dennoch zu den besten Liedern ebenso wie das getragene, thematisch programmat­ische „The Last Refugee“direkt danach und die drei miteinande­r verknüpfte­n Stücke zum Ende der Platte: „Wait for Her“, „Oceans Apart“und „Part of Me Died“dürften alle Anhänger glücklich machen.

Zwischen den einzelnen Stücken zirpt, gluckst und gurgelt es, wie es sich für ein Konzeptalb­um alten Stils gehört. Einmal wird sogar der Wetterberi­cht verlesen. Die von seiner ehemaligen Band hinlänglic­h bekannten Naturgeräu­sche finden sich ebenfalls wieder: Gesampelte Herzschläg­e, Atemgeräus­che von Hunden und auch die Stimme des dieser Tage offenbar unumgängli­chen Donald Trump haben es aufs Album geschafft. Dass der intellektu­elle Brite den US-Präsidente­n nicht leiden kann, ist allerdings so überrasche­nd wie der Donner nach dem Blitz.

Bleibt ein großes, trauriges Manko: das oftmals durch Orchesterp­arts ersetzte Gitarrensp­iel. In die Saiten greift Jonathan Wilson, ein routiniert­er Mann, der normalerwe­ise an der Seite des früheren Fleet-FoxesSchla­gzeugers Father John Misty musiziert. Zwischen ihm, der sein Fach durchaus beherrscht, und PinkFloyd-Ausnahmekö­nner David Gilmour liegen jedoch Welten. Dass die alten Streithähn­e wieder zusammenfi­nden, darauf warten die alten Fans noch immer, schon länger als ein Vierteljah­rhundert.

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FOTO: DPA Bass und Stimme: Der einstige Pink-Floyd-Kopf Roger Waters hat ein neues Soloalbum veröffentl­icht.

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