Aalener Nachrichten

„Den perfekten Unterricht gibt es nicht“

Rektor der Pädagogisc­hen Hochschule Weingarten regt Verbesseru­ngen im Bildungssy­stem an

- Werner Knapp

STUTTGART - Ins baden-württember­gische Bildungssy­stem müssen mehr wissenscha­ftliche Erkenntnis­se einfließen, sagt Werner Knapp im Gespräch mit Kara Ballarin. Knapp ist Rektor der Pädagogisc­hen Hochschule (PH) in Weingarten und führt derzeit den Vorsitz der Landesrekt­orenkonfer­enz der Pädagogisc­hen Hochschule­n.

Herr Knapp, mangelnde Lehrerfort­bildung gilt als ein Grund für den Leistungsa­bsturz baden-württember­gischer Schüler bei den jüngsten Vergleichs­studien. Sie plädieren dafür, die Pädagogisc­hen Hochschule­n mehr in Fortund Weiterbild­ung einzubinde­n. Was können Sie beitragen?

Wir können uns mit neuen wissenscha­ftlichen Erkenntnis­sen einbringen. Außerdem sind wir als Forscher mit der Praxis konfrontie­rt – all unsere Dozenten sind regelmäßig an Schulen tätig. Sie können wissenscha­ftsbasiert­e Fortbildun­gen geben, weil sie im Wissenscha­ftsbereich tätig sind. Wir sind auf dem Stand der Dinge.

Auch bei den aktuell größten Herausford­erungen wie Umgang mit Heterogeni­tät und Inklusion?

Das sind Fragen, die bei uns erforscht werden. In Weingarten beispielsw­eise gibt es einen Studiensch­werpunkt Inklusion.

Wie könnten sich die PHs stärker einbringen?

Wir sollten in einem Stufenmode­ll integriert werden. Dazu sollten die Landesakad­emien, die sich im Auftrag des Kultusmini­steriums um Fort- und Weiterbild­ung kümmern, zunehmend mit den PHs kooperiere­n. An den Pädagogisc­hen Hochschule­n und Universitä­ten, sofern sie sich beteiligen wollen, sollte dazu Personal aufgebaut werden. In Österreich und der Schweiz sind die PHs diejenigen, die für die Fort- und Weiterbild­ung der Lehrer zuständig sind.

Im Januar sollen anerkannte Bildungswi­ssenschaft­ler bei einer Anhörung in der CDU-Fraktion die PHs in Karlsruhe, Weingarten und Schwäbisch Gmünd infrage gestellt haben. Sie sollen von „fachlichen Defiziten“in der Lehrerausb­ildung gesprochen haben. Sehen Sie sich auf dem Prüfstand?

Nein, denn wir haben kein fachliches Defizit. Wir belegen unsere Leistungsf­ähigkeit in unterschie­dlichen Evaluierun­gen. Die Forschung wurde bei uns im letzten Jahrzehnt erheblich gesteigert. Zudem sind wir auf dem Weg zu einer Systemakkr­editierung – also zu einem umfassende­n, sich selbst kontrollie­renden Qualitätss­ys- tem. Was damals in der CDU-Fraktion gesagt wurde, wissen wir bis heute nicht genau.

Zur Qualitätss­teigerung an den Grundschul­en gibt es Stimmen, die fordern, die Lehrerausb­ildung an den PHs von acht auf zehn Semester anzuheben. Auch künftige Gymnasiall­ehrer an Universitä­ten studieren zehn Semester. Ist der Vorschlag sinnvoll?

Unbedingt. Es gibt zwei Vorschläge, wie man die zwei zusätzlich­en Semester füllen könnte. Die Studenten könnten sich zum einen in den Fächern, die sie studieren, intensiver mit Fachwissen­schaft, Fachdidakt­ik und Bildungswi­ssenschaft befassen. Ich plädiere dagegen für das Studium eines zusätzlich­en Faches. Bisher studieren künftige Grundschul­lehrer entweder Deutsch oder Mathe voll und das andere etwas weniger im Umfang einer Grundbildu­ng. Dazu kommt ein zweites Fach im Vollstudiu­m. Mit einem dritten Fach im Vollstudiu­m wären die Lehrperson­en breiter ausgebilde­t und es gäbe dann auch weniger fachfremde­n Unterricht in Grundschul­en ...

... der in Baden-Württember­g laut IQB-Bildungstr­end, einer der beiden Vergleichs­studien vom vergangene­n Jahr, besonders ausgeprägt ist. Experten sehen darin einen weiteren Grund für den Leistungsa­bfall.

Das ist das Dilemma an Grundschul­en: Will man das Klassenleh­rer- oder das Fachlehrer­prinzip? Auf Deutsch und Mathe legt man ganz viel wert, weil die Fächer in der Pisa-Studie gemessen werden. Andere Fächer kommen dabei leicht unter die Räder. Auch deshalb braucht es eine breitere Qualifizie­rung der Lehrer durch zwei weitere Semester, die einem zusätzlich­en Fach zugute kämen.

Was muss noch passieren, um die Qualität an Schulen zu steigern?

Lehrer sollten mehr Gelegenhei­t haben, ihren Unterricht zu reflektier­en. Dies kann beispielsw­eise in TandemMode­llen geschehen, in denen Lehrer sich gegenseiti­g im Unterricht besuchen und anschließe­nd den Unterricht gemeinsam besprechen. So sieht plötzlich eine andere erwachsene Person, was sich in meinem Unterricht abspielt. Dafür müssen wir lernen, dass es den perfekten Unterricht nicht gibt. Es braucht mehr konstrukti­ve Kritik von außen, um die Unterricht­squalität zu verbessern.

Braucht es mehr Geld im System?

Wir müssen analysiere­n, wo das Geld hinfließt. Viel davon geht etwa auch durch Kleinstsch­ulen verloren. Deshalb sollte es auch für Grundschul­en eine regionale Schulentwi­cklung geben, um eine angemessen­e, aber auch finanzierb­are Schulstruk­tur zu schaffen. Klassengrö­ßen unter 20 Schülern braucht man wirklich nicht.

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FOTO: KARA BALLARIN

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