„Unserdeutsch ist kommunikativ wertlos geworden“
Weltweit einzige auf dem Deutschen basierende Kreolsprache droht auszusterben – Wissenschaftler an der Uni Augsburg haben sich an ihre Erforschung gemacht
AUGSBURG (KNA) - Es ist ein Zufall, der zur Sensation führt. Australien 1979: Der Linguistikstudent und Deutschlehrer Craig Volker trifft eine Schülerin, die sonderbares Deutsch spricht. Sie stammt aus Papua-Neuguinea. Volker reist hin – und findet die einzige deutschbasierte Kreolsprache: Unserdeutsch. Erst seit 2014 wird es intensiv erforscht, von Peter Maitz von der Uni Augsburg. Hilfe erhält er von Volker, der inzwischen selbst in Papua-Neuguinea lebt und zurzeit Gastdozent in Augsburg ist. Im Interview mit Christopher Beschnitt erzählen beide, was Unserdeutsch ausmacht und wieso es vom Aussterben bedroht, aber vielleicht zu retten ist.
Grüß Gott, Herr Volker, hallo, Herr Maitz – wie hätte das ein Unserdeutsch-Sprecher gesagt?
Maitz: „Gutän Ta!“An dieser Verkürzung von „Guten Tag“erkennt man gleich ein typisches Merkmal der Sprache: Konsonanten am Silbenende fallen weg. Dies ist ein Einfluss von Tok Pisin, der Hauptverkehrssprache Papua-Neuguineas, der Basis der Unserdeutsch-Grammatik. Der Unserdeutsch-Wortschatz hingegen beruht auf dem Deutschen. Aus einer lokalen und einer europäischen Sprache ist also eine neue, vereinfachte Mischsprache entstanden und zur Muttersprache einer Gemeinschaft geworden. Das Ergebnis nennt man Kreol. Volker: Auf der Welt gibt es Hunderte solcher Kreolsprachen. Unserdeutsch ist die einzige deutschbasierte.
Wie ist sie entstanden?
Volker: Das heutige Papua-Neuguinea gehörte von 1884 bis zum Ersten Weltkrieg zum damaligen Deutschen Reich. Auf der Insel Neupommern bauten seinerzeit katholische Herz-Jesu-Missionare ein Waisenhaus samt Schule. Sie adoptierten Kinder, holten manche auch unter Zwang her, andere wurden ihnen von den Eltern freiwillig gegeben. Denn die Missionare versprachen neben einer christlichen Erziehung auch Bildung. Maitz: Die Kinder waren alle Mischlinge mit europäischen oder asiatischen Vätern und einheimischen Müttern. Die Mission wollte aus ihnen eine neue, christliche Generation erziehen. In sozialer Isolation lebend, haben sie eine eigene Sprache geschaffen. Obwohl sie auch Hochdeutsch und Tok Pisin beherrschten. Doch Unserdeutsch stiftete ihnen eine Identität in Abgrenzung zu den Eingeborenen und Deutschen.
Wie hat sich Unserdeutsch über Jahrzehnte gehalten? Die Deutschen-Zeit ging ja mit dem Ersten Weltkrieg zu Ende.
Volker: Richtig. Unserdeutsch aber wurde da bereits von den einstigen Kindern an deren Nachwuchs weitergegeben. Das ging mehr oder minder bis 1975 so. Dann wurde PapuaNeuguinea unabhängig und die „mixed-race“-Familien mussten zwischen der australischen und der papua-neuguineischen Staatsangehörigkeit wählen. Die große Mehrheit nutzte die Gelegenheit, nach Australien auszuwandern. Maitz: Dadurch wurden die einst dicht zusammen lebenden Unserdeutsch-Sprecher zerstreut, in ihrer neuen englischsprachigen Heimat sprachen sie daher so gut wie ausschließlich Englisch. Unserdeutsch ist somit kommunikativ wertlos geworden. Heute gibt es noch etwa 100 Sprecher, die meisten sind älter als 65.
Droht Unserdeutsch also auszusterben?
Maitz: In spätestens 25, 30 Jahren dürfte es so weit sein, wenn keine erfolgreiche Revitalisierung stattfindet. Erste positive Zeichen sind aber bereits erkennbar. So haben uns einige Unserdeutsch-Sprecher erzählt, dass sie die Sprache nun mit ihren Enkeln sprechen. Das große internationale Interesse an der Sprache in Wissenschaft und Öffentlichkeit hat zu einer Aufwertung von Unserdeutsch innerhalb der Sprachgemeinschaft geführt. Das war lange anders, was sich auch in Eigenbezeichnungen wie „Falsche“oder „Kaputtene Deutsch“ausdrückt.
Woher rühren diese Abwertungen?
Maitz: Sie sind Folge einer kolonialen Sprachideologie, wonach Pidginund Kreolsprachen die verdorbenen Formen der Sprache der Kolonialherren seien. In Wirklichkeit handelt es sich um neue Kontaktsprachen, die ihre eigenständige Sprachstruktur entwickelt haben, auch, um eine Distanz zu den Kolonialherren herzustellen.
Entstehen aktuell noch neue Kreolsprachen?
Maitz: Fast wäre es in Deutschland in den 1970er Jahren so weit gekommen, unter den Gastarbeitern. Doch deren „Gastarbeiterdeutsch“hat sich nicht konventionalisiert und ist nicht zur Muttersprache geworden. Wohl, weil viele in ihre Heimatländer zurückgekehrt sind und die Kinder der Gebliebenen bereits Hochdeutsch gelernt und gesprochen haben.