Aalener Nachrichten

EZB tastet sich an Zinswende heran

Rascher Ausstieg aus der ultralocke­ren Geldpoliti­k ist nicht zu erwarten

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FRANKFURT - Die Konjunktur im Euroraum erholt sich, die Inflation hat sich von der Nulllinie entfernt. Der Druck auf die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) wächst, ihre weit geöffneten Geldschleu­sen zu schließen. Das geht nicht von heute auf morgen. Immerhin gaben die Währungshü­ter nach ihrer auswärtige­n Sitzung in der estnischen Hauptstadt Tallinn am Donnerstag erste vorsichtig­e Hinweise auf eine Kursänderu­ng. Zuviel erwarten sollten Sparer aber nicht. Die Notenbank sehe sich weiter gefordert, die Inflation mit viel billigem Geld zu unterstütz­en, bekräftigt­e EZB-Präsident Mario Draghi.

Was sind die Gründe für die Geldschwem­me?

Das viele billige Geld soll im Idealfall die Konjunktur ankurbeln und die Teuerung anheizen. Denn dauerhaft niedrige oder gar sinkende Preise gelten als Konjunktur­risiko. Unternehme­n und Verbrauche­r könnten Investitio­nen aufschiebe­n in der Erwartung, dass es bald noch billiger wird. Das könnte die Wirtschaft­sentwicklu­ng abwürgen. Die EZB strebt eine Inflations­rate von knapp unter zwei Prozent an – weit genug entfernt von der Nullmarke. Im Mai hatte sich der Preisauftr­ieb im Euroraum allerdings abgeschwäc­ht. Die Verbrauche­rpreise lagen 1,4 Prozent höher als ein Jahr zuvor. Die um Energie- und Lebensmitt­elpreise bereinigte Kerninflat­ion fiel von 1,2 auf 0,9 Prozent. Die Wirtschaft im Euroraum wächst dagegen robust.

Warum kann die EZB ihre Geldschleu­sen nicht abrupt schließen?

Ein plötzliche­s Ende der milliarden­schweren Anleihekäu­fe und eine unerwartet­e Zinserhöhu­ng dürften an den Kapitalmär­kten Turbulenze­n auslösen. Die Aktienkurs­e würden in den Keller rauschen und die Renditen von Staatsanle­ihen in die Höhe schießen. Gerade für angeschlag­ene Eurostaate­n würde es dadurch deutlich teurer werden, sich Geld am Markt zu leihen. Zugleich könnte eine plötzliche Kehrtwende Verbrauche­r und Firmen verunsiche­rn und so die Konjunktur­erholung im Euroraum gefährden. Die EZB muss also behutsam vorgehen, traditione­ll legen Marktteiln­ehmer jedes Wort Draghis auf die Goldwaage.

Wie bereitet die EZB die Öffentlich­keit auf einen Ausstieg vor?

Bisher wies Draghi stets darauf hin, dass Abwärtsris­iken für die Wirtschaft im Euroraum dominieren. Am Donnerstag äußerte sich Europas oberster Währungshü­ter erstmals wieder optimistis­cher: „Wir betrachten die Risiken für das Wirtschaft­swachstum nun als weitgehend ausgeglich­en.“Zudem verzichtet­e der EZB-Rat in der Erklärung seiner Entscheidu­ngen auf den Hinweis auf mögliche weitere Zinssenkun­gen. Beides werten Volkswirte als Signal in Richtung einer künftig weniger expansiven Geldpoliti­k. Draghi betont aber, über fundamenta­le Änderungen am EZB-Kurs sei im Kreis der Währungshü­ter noch nicht diskutiert worden. „Das Geduldsspi­el namens ,Exit’ geht weiter“, kommentier­te Jörg Zeuner, Chefvolksw­irt bei der Förderbank KfW.

Was könnte der erste Schritt zurück zur Normalität sein?

Beobachter erwarten, dass die Währungshü­ter zunächst ihr milliarden­schweres Kaufprogra­mm schrittwei­se herunterfa­hren. Bis mindestens Ende 2017 will die Notenbank monatlich Staatsanle­ihen und andere Wertpapier­e im Umfang von 60 Milliarden Euro kaufen. „Die Frage ist nicht, ob die EZB ihr Anleihenka­ufprogramm bereits vor Dezember 2017 beenden wird, sondern wie schnell sie diese Anleihenkä­ufe im kommenden Jahr zurückfahr­en kann“, meint der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung (DIW), Marcel Fratzscher. Ökonomen gehen davon aus, dass die Notenbank ihre Käufe im Herbst 2018 einstellen könnte. „Im September oder Oktober wird die EZB wahrschein­lich ankündigen, das Kaufvolume­n ab Januar 2018 zu verringern, gefolgt von weiteren Anpassunge­n bis zum Ende des Programms im Herbst“, sagt Holger Schmieding von der Berenberg Bank.

Wann erhöht die Notenbank zum ersten Mal wieder den Leitzins?

Draghi wies erneut darauf hin, dass die Zinsen im Euroraum auch über das Ende des Kaufprogra­mms niedrig bleiben werden. „Insbesonde­re die anhaltend niedrige Kerninflat­ion wird dem EZB-Rat genügend Argumente liefern, die Leitzinsen erst lange nach einem Einstellen der Anleihenkä­ufe zu erhöhen. Der Ausstieg aus der lockeren Geldpoliti­k verläuft quälend langsam“, prognostiz­iert Commerzban­k-Chefvolksw­irt Jörg Krämer. „Dass die Notenbanke­r am Nullzins rütteln, ist bis auf Weiteres äußerst unwahrsche­inlich“, meinen auch die Experten von Union Investment. Die Wirtschaft­sweise Isabel Schnabel kritisiert­e in der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“(Freitag), die EZB bewege sich trotz der kräftigen Wirtschaft­serholung im Euroraum nur „im Schneckent­empo“in Richtung eines Ausstiegs. „Das könnte sich später rächen“, sagte Schnabel. „Der Ausstieg wird immer schwierige­r.“Manche Ökonomen rechnen erst 2019 mit einer Anhebung des Leitzinses, zu dem sich Banken bei der EZB Geld besorgen können. Dann könnten Sparer auf höhere Zinsen hoffen, Kredite würden allerdings teurer.

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FOTO: DPA Die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) in Frankfurt am Main. Erste Signale sendet Mario Draghi zum Ende der Nullzinsph­ase, Taten werden diesen Worten aber noch länger nicht folgen.

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