Neues Nero-Musical entsetzt die Römer
Seichte Unterhaltung statt lebendiger Geschichte – Vernichtende Kritiken zum Auftakt
ROM (dpa) - Der Ort könnte spektakulärer kaum sein. Auf dem PalatinHügel mit Blick auf das Kolosseum steht eine riesige Bühne. Oscargekrönte Choreographen, Komponisten und Bühnenbildner sowie altbekannte italienische Regisseure und Produzenten haben mehr als zwei Jahre an einem pompösen Musical über den berüchtigtsten aller römischen Kaiser gearbeitet: Nero. „Divo Nerone – Opera Rock“– angekündigt als das „sensationellste Spektakel“, das Rom je gesehen hat – soll im Sommer massenweise Touristen anziehen. Kritiker jedoch schlagen die Hände über dem Kopf zusammen.
„Unser Nero wird euch überraschen“, sagte der künstlerische Leiter Ernesto Migliacci. „Er ist sehr verschieden zu dem Nero, über den man in den Geschichtsbüchern liest. Er ist eine Art Nero 2.0. Er ist ein sehr zeitgenössischer Charakter.“Nero sei vom Volk verehrt, von anderen Politikern verachtet worden. Was genau er mit dem Nero 2.0 gemeint haben mag, blieb auch nach der ersten Aufführung unklar. Die Musik soll an Größen wie Queen und die Pet Shop Boys erinnern, bleibt aber weit hinter dem Anspruch zurück. Das Bühnenbild und die Kostüme sind wenig einfallsreich. Die Kritiken sind entsprechend vernichtend. Um Touristen aus aller Welt anzuziehen, wird das „brennendste Musical der Geschichte“fünfmal pro Woche in Englisch und einmal auf Italienisch aufgeführt. Schon im Vorfeld hatte das Musical Kontroversen ausgelöst. Moniert wurde die monströse Bühne inmitten der archäologischen Schätze Roms. „Die Kaiserforen als Bühne für Blockbuster-Shows? Authentische Archäologie als Hintergrund für ein Kitsch-Musical über Nero? Eine schlimme Idee“, erklärte Kunsthistoriker Tomaso Montanari in „La Repubblica“.
Zwar rechtfertigen sich die Macher damit, dass der Ort, an dem die Bühne mit ihren mehr als 3000 Zuschauerplätzen steht, normalerweise „verwaist“sei und dass man mit allen zuständigen Behörden der Stadt intensiv zusammengearbeitet habe. Doch die Frage bleibt, ob an solch einem Ort für so viel Geld (angeblich hat auch die Region Latium eine Million Euro zugeschossen) nicht ein anspruchsvolleres Werk hätte aufgeführt werden können.
Investoren für die Kultur
Eine verschenkte Chance ist es auch, weil Nero (37-68 nach Christus) zwar im Volksglauben als Brandstifter von Rom und als tyrannischer Herrscher bekannt ist. Die Geschichtsschreibung hat zuletzt Versuche unternommen, ihn in einem anderen Licht darzustellen. Das italienische Kulturministerium und die römische Kulturaufsichtsbehörde unterstützten das Spektakel. Italien versucht seit Langem, mithilfe privater Investoren seine unzähligen Kulturschätze zu bewahren. Zu oft würden konservatorische Gründe vorgeschoben, um wertvolle Stätten für das Publikum abzusperren, schrieb Francesco Prosperetti, Roms oberster Archäologie-Beauftragter, im „Corriere della Sera“. „Aber sie sollten Teil unseres täglichen Lebens sein. Deshalb dachte ich, (…) ein Musical sei nicht frevelhaft.“