Bücher, die süchtig machen
Es gibt nur wenige Bücherfans, die sich im vergangenen Jahr vom Roman „Meine geniale Freundin" nicht haben begeistern lassen. Er war Teil eins einer vierbändigen italienischen Familiensaga von Elena Ferrante. Das ist allerdings ein Pseudonym, in Wirklichkeit steckt die Übersetzerin Anita Raja dahinter. Erzählt wird die Geschichte von Lila und Lenù, die in einem Armenviertel in Neapel aufwachsen. Ihre Freundschaft wird durchaus von Rivalitäten geprägt. Die eine (Lila) ist schlau und unangepasst, die andere (Lenù) fleißig und brav. Das Leben im Rione ist hart und wird von mafiösen Strukturen und dem täglichen Überlebenskampf bestimmt. Doch während sich ausgerechnet die angepasste Lenù beharrlich nach oben arbeitet, kapituliert die aufmüpfige Lila und heiratet den Salumeria-Besitzer Stefano. So endet das erste Buch und beginnt das zweite.
Noch sind beide nicht volljährig. Lenù besucht Anfang der 1960er-Jahre die weiterführende Schule, während Lilas Ehe wegen eines Vertrauensbruchs immer unglücklicher wird. Dem Leser indes wachsen die beiden Protagonistinnen sowie ihre Familien und Freunde ans Herz. Angesichts der zwei noch folgenden Bände – der dritte ist für den Spätsommer angesagt – darf getrost von Suchtpotenzial gesprochen werden. Man will unbedingt wissen, wie diese beiden Lebensentwürfe weitergehen. Das kommt nicht von ungefähr – das Ganze ist großartig geschrieben und fulminant inszeniert. Ferrante alias Raja gelingt dabei die Gratwanderung zwischen intellektuellem Inhalt und großem Gefühlskino perfekt. Beseelt vom Drang, mit ihrer Freundin Lila mithalten zu wollen, lässt sich auch Lenù während der Sommerfrische auf der Insel Ischia entjungfern. Dabei ist es in Wirklichkeit sie, die sich Schritt für Schritt ihre Freiheit und Autonomie erkämpft. Zum Niederknien gut geschrieben.