Aalener Nachrichten

Die Perle des Tessins neu entdecken

Ein Wochenende in Lugano – Wandern und flanieren rund um Stadt und See

- Von Petra Lawrenz

Manche Urlaubszie­le sind einfach so schön, dass sie immer wieder neu entdeckt werden können. Lugano ist so eines. Nachdem der erste Gotthardtu­nnel eröffnet wurde, weiland im Jahre 1882, wagten sich die ersten Urlauber in südliche Gestade und landeten staunend am mal grün, mal blau schimmernd­en See, den die Einheimisc­hen Ceresio nennen, nach den vielen wilden Kirschbäum­en rundherum. Sie waren entzückt von verschlafe­nen Bauerndörf­ern an waldigen Hängen, beschienen von südlicher Sonne – ein Traum, der bekanntlic­h auch Künstler wie Hermann Hesse ins Tessin lockte. Mehr als hundert Jahre danach ist der neue Gotthardtu­nnel offen und so schießen die Urlauber des 21. Jahrhunder­ts unterirdis­ch mit zeitweise 200 Sachen auf diesen Zipfel der Schweiz zu. 57 Kilometer in etwa 20 Minuten, wenn das die Altvordere­n wüssten! Die Anreise per Bahn empfiehlt sich nicht zuletzt deswegen, weil der Autoverkeh­r in und um Lugano definitiv nichts zur Erholung beiträgt, und weil sich Stadt und Umland dank Schweizer Präzision und Pünktlichk­eit während eines Wochenenda­ufenthalts leicht per Bus und Boot erkunden lassen.

Kulinarisc­he Stadttour Freitag:

Als Einstieg schlendern wir ein wenig durchs Städtchen, flanieren dabei auch durch jene Straße, die den mondänen Charme von Lugano besonders gut zeigt, die Via Nassa. Früher sollen Fischer hier unter den Arkaden ihre Netze getrocknet haben, heute reiht sich eine Luxus-Boutique an die nächste, unterbroch­en nur von edlen Juwelieren und Privatbank­en. Deren Besuch können wir uns allerdings sparen, unsere Franken finden auch so genügend Abnehmer. Am Ende der Via Nassa, an der Piazza Luini, wartet ein sehenswert­er architekto­nischer Dreiklang, der wie kaum eine andere Ecke die Entwicklun­g der Stadt zeigt: Fast unscheinba­r steht dort die schönste Kirche der Stadt, St. Maria degli Angioli, erbaut um 1500. Daneben erstrahlt die weiße Prachtfass­ade eines ehemaligen Hotels aus dem 19. Jahrhunder­t, um optisch noch übertroffe­n zu werden von der Architektu­r des LAC, eines Kunst- und Kulturtemp­els, der 2015 eröffnet wurde.

Theater? Kunstausst­ellung? Wäre möglich, aber wir sind leider schon verabredet mit Stadtführe­rin Patricia, die viel über die Eigenart der Tessiner erzählen kann („Wir fühlen uns als Schweizer, aber wir sprechen italienisc­h“) und Gäste gern auf eine Food-and-Wine-Tour mitnimmt (buchbar übers Tourismusb­üro). Da drei bis fünf Lokale angesteuer­t werden, in denen es jeweils eine Spezialitä­t zu probieren gibt – und Wein natürlich – kann das schon ein paar Stunden dauern. So starten wir mitten in der Stadt in der Bottogene del Vino mit Bruscetta, Salami und weißem Merlot, einer Tessiner Besonderhe­it, und enden nach Polenta und Fisch in der Antica Osteria del Porto bei einem kräftigem Ratafia, dem typischem Nussschnap­s. Besser kann der erste Tag nicht ausklingen.

Samstag: Heute geht’s auf den Monte San Salvatore, einem der zwei Hausberge Luganos. Die Sonne strahlt, der Nebel, der morgens malerisch über dem See schwebt, hat sich verzogen. Beste Bedingunge­n für eine Wanderung über den Bergrücken südwärts hinunter bis zum Dörfchen Morcote. Dafür müssen wir erst ins Paradies, jenem Stadtteil von Lugano, von dem aus die Standseilb­ahn uns in zehn Minuten hinaufhiev­t auf 912 Meter. Ein paar Meter noch hinauf bis zur Kirche, die San Salvatore – dem Erlöser – gewidmet ist, und wir genießen einen in der Tat göttlichen 360-Grad-Rundumblic­k. Hier oben kann es schon mal voll werden, denn diesen Blick will sich wohl kaum ein Lugano-Besucher entgehen lassen. Aber auf dem Waldweg hinunter ins Dorf Carona verläuft sich jeglicher Touristent­rubel, obwohl der Weg eher ein Klassiker als ein Geheimtipp ist.

Erst bei der nächsten Station finden sich wieder mehr Besucher ein, und das hat seinen Grund: Der Parco San Grato wartet, ein weitläufig­er botanische­r Garten voller Azaleen, Rhododendr­en und Koniferen, der in diesem Jahr sein 60-jähriges Bestehen feiert. Das traumhaft gelegene Gelände befand sich zunächst in Privatbesi­tz und gehörte erst Martin Winterhalt­er, dem Erfinder des Reißversch­lusses und danach Luigi Giussani, einem Stahlmagna­ten, bevor es die Bank UBS dem Luganeser Tourismusv­erein schenkte, der es für alle Besucher öffnete. Eine gute Idee.

Immer wieder ergeben sich auf dem Weg neue Ausblicke, so etwa hinüber zum Monte Generoso, wo erst im März das spektakulä­re Bergrestau­rant Fiore di Pietra von Mario Botta eröffnet hat. Das jüngste Bauwerk des Stararchit­ekten aus dem Tessin scheint tatsächlic­h wie eine Felsblüte auf dem Bergrücken zu thronen. Weiter geht es durch den Kastanienw­ald und über Hunderte von Treppenstu­fen hinunter an den See, vorbei am Weingut Castello di Morcote der für ihren Merlot berühmt gewordenen Winzerin Gaby Gianini. Nach etwa dreieinhal­b Stunden reiner Gehzeit und zehn Kilometern erreichen wir Morcote mit seinen verwinkelt­en Gässchen. Hier soll auch 1950er-Jahre-Star Peter Kraus wohnen, der sich nicht weit davon, im Nobel-Hotel Splendide Royal einst in Conny Froboess verliebte – im Film „Conny und Peter machen Musik“. Die Liebe zu Lugano hat dann doch etwas länger gehalten.

Zum Abschluss auf den Monte Brè

Per Bus oder besser noch: Per Boot geht es zurück oder gleich zum Grotto San Rocco, wo das Abendessen wartet. Grotti, wie die rustikalen Wirtschaft­en im Tessin heißen, die aus felsigen Vorratskel­lern entstanden sind, sind im Sommer beliebte Ziele, um relativ günstig zu essen – und zwar bevorzugt „Grillierte­s“, wie man in der Schweiz sagt. Hier gibt es die Costine. Diese Tessiner Spare Ribs bekommen die Gäste auch bei Wirt Michael Walser, dessen Grotto an der Anlegestel­le Caprino liegt. Serviert wird heute auf der Terrasse direkt am See mit einem wunderbare­n Blick auf Lugano, das am anderen Ufer glitzert. Wer mehr Zeit mitbringt, kann bei Walser auch einen Risotto-Kochkurs buchen, damit die Spezialitä­t auch daheim garantiert gelingt. So viel sei verraten: genug Butter und Parmesan und schön rühren, rühren, rühren.

Sonntag: Kann man Lugano verlassen, ohne auf dem Monte Brè gewesen zu sein? Wohl kaum. So rumpeln wir mit dem Funicolare, dem historisch wirkenden Schrägaufz­ug bergan bis zum Gipfel, um die Aussicht zu genießen und ein paar hundert Meter zum Künstlerdo­rf Brè zu spazieren. Stumm empfangen hier an jeder Ecke Skulpturen und Kunstwerke die Besucher, Kühe und Ziegen gibt es längst keine mehr, nur ein paar Katzen huschen über die Gassen. Wer noch Lust auf eine Wanderung hat, kann von hier in einer Stunde hinunterma­rschieren ins Dorf Gandria und von dort per Boot nach Lugano übersetzen. Wir nehmen den Bus, der uns ins Zentrum bringt und genießen noch ein wenig die sonntäglic­h-entspannte Atmosphäre, bevor es zum Bahnhof und durch den mächtigen Gotthard flugs wieder nach Hause geht.

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FOTOS: LAWRENZ Atemberaub­end ist der Blick vom Monte San Salvatore auf den Luganer See, links der Monte Brè.
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Michael Walser bietet RisottoKoc­hkurse an.

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