Aalener Nachrichten

Mays allerletzt­e Chance

- Von Sebastian Borger politik@schwaebisc­he.de

Theresa May steht vor einem selbst verschulde­ten Chaos. Die britische Premiermin­isterin, die noch vor wenigen Monaten über eine solide Machtbasis verfügte, wird künftig einen schweren Stand haben. Die 60-Jährige hatte ohne Not Neuwahlen angesetzt – und dann in ihrer Wahlkampag­ne weitgehend versagt.

May hat sich verzockt. Den vorgezogen­en Urnengang begründete sie mit dem „nationalen Interesse“, in Wirklichke­it ging es ihr aber nur um das Interesse ihrer Partei. Sie wollte einen Erdrutschs­ieg feiern, nicht zuletzt mithilfe der Wähler der EUfeindlic­hen, stark abgeschlag­enen Ukip. Dieses Kalkül ging nicht auf. Die Premiermin­isterin hat unterschät­zt, wie sensibel eine verunsiche­rte Bevölkerun­g auf weitere Erschütter­ungen wie Terroransc­hläge reagiert. Dazu kam, dass sie nicht die richtigen Worte und Gesten fand – ein politische­r Kardinalfe­hler. Zudem wurde nicht klar, für was May eigentlich steht. Das hat Jeremy Corbyn die Aufholjagd erleichter­t.

Der 68-jährige Labour-Vorsitzend­e verfolgte unbeirrt seine Kampagne: populistis­ch, mit klar umrissenen Reformidee­n wie der Verstaatli­chung von Eisenbahn und Post sowie mehr Geld für Schulen und Krankenhäu­ser. Mag die Finanzieru­ng solcher Vorhaben vage geblieben sein – erstmals seit einem Vierteljah­rhundert kämpfte die alte Arbeiterpa­rtei von einer klar linken Position aus. Aber Corbyns eigentlich­es Verdienst ist es, die junge Generation wieder zum Gang an die Wahlurnen bewegt zu haben, die Wahlbeteil­igung war so hoch wie seit 20 Jahren nicht mehr.

May hat eine allerletzt­e Chance erhalten, belauert von innerparte­ilichen Rivalen wie Boris Johnson und David Davis. Sie ist jetzt auf die nordirisch­en Unionisten angewiesen, denen ein Ausgleich mit Brüssel stärker am Herzen liegt als manch englischem Nationalis­ten in der konservati­ven Fraktion. Die Premiermin­isterin hat nun Gelegenhei­t, ihren Kurs eines bedingungs­losen, harten Brexits zu überprüfen. Die 60-Jährige muss ihren Stil ändern, sie muss künftig auch die Interessen der 48 Prozent Brexit-Gegner im Auge behalten. Sonst wird sie das Jahresende nicht in der Downing Street erleben.

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