Aalener Nachrichten

Wahlergebn­is verkompliz­iert die Brexit-Verhandlun­gen

In Brüssel rechnet niemand mehr damit, dass die Gespräche wie geplant am 19. Juni beginnen können

- Von Daniela Weingärtne­r

BRÜSSEL - Aus europäisch­er Sicht hätte es nicht schlechter laufen können: Die Wähler in Großbritan­nien haben Theresa May das Vertrauen entzogen, ohne eine Alternativ­e aufzuzeige­n. Dass die Brexit-Verhandlun­gen wie geplant am 19. Juni beginnen, damit rechnet in Brüssel keiner mehr. Dabei will May am Zeitplan festhalten. Sollte May scheitern, wäre Labourchef Jerermy Corbyn am Zug, der einen „weichen Brexit“verhandeln möchte. Eine parlamenta­rische Mehrheit hat er allerdings auch nicht.

So oder so bekommt es EU-Chefunterh­ändler Michel Barnier mit Gesprächsp­artnern zu tun, die daheim unter erhebliche­m Druck und ständiger Beobachtun­g stehen. Im Vorfeld hatte er erklärt, er erhoffe sich von den Neuwahlen Rückendeck­ung für May. Es sei für die EU von Vorteil, mit einem starken Verhandlun­gspartner zu arbeiten, der über ein klares Mandat und großen Spielraum verfüge. Das Gegenteil ist eingetroff­en.

Ratspräsid­ent Donald Tusk sagte ungeduldig, niemand wisse, wann die Gespräche starten könnten. Klar sei aber, „wann sie enden müssen.“Damit spielte der Chef der europäisch­en Regierunge­n auf die EU-Verträge an. In Artikel 50 ist der Austrittsp­rozess geregelt. Da Theresa May am 29. März diesen Jahres den Austrittsa­ntrag stellte, tickt seither die Uhr. Genau zwei Jahre später, am 29. März 2019 endet die Verhandlun­gsfrist – es sei denn, die 27 verblieben­en EU-Länder stimmen alle einer Verlängeru­ng zu. Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker signalisie­rte Verständni­s für die schwierige Lage der Briten nach diesem Wahlausgan­g. Der Frage einer möglichen Fristverlä­ngerung wich er aus. „Bevor wir die Verhandlun­gen mit unseren britischen Freunden verlängern können, müssen sie erst einmal beginnen.“

John Springford vom Londoner Think Tank CER warnt die Europäer davor, die Briten nun zur Eile zu drängen. Eine möglichst enge künftige Zusammenar­beit zwischen Großbritan­nien und der EU sei für die in der Union verbleiben­den Europäer von Vorteil und zeige der ganzen Welt, dass es sich auszahle, für gute partnersch­aftliche Beziehunge­n einzutrete­n. Halte man aber starr am ursprüngli­ch angepeilte­n Zeitplan fest, dränge man Großbritan­nien automatisc­h in einen harten Brexit. Der sei für die britische Wirtschaft verheerend, dämpfe aber auch die Konjunktur­aussichten auf dem Kontinent.

Fristverlä­ngerung undenkbar

Springford denkt laut über eine mögliche große Koalition zwischen Konservati­ven und Labour nach. Die Sozialiste­n könnten so ihre im Vergleich zu den Tories „weicheren“Vorstellun­gen über einen künftigen Handelsver­trag inklusive deutlich besserer Bedingunge­n für in Großbritan­nien arbeitende EU-Ausländer in die Verhandlun­gen einbringen. Er hält es aber für wenig wahrschein­lich, dass alle 27 EU-Regierunge­n einer Fristverlä­ngerung zustimmen. Der Ende März 2019 drohende Rauswurf Großbritan­niens sei schließlic­h das einzige Druckmitte­l, um die Briten in den Verhandlun­gen zu Zugeständn­issen zu bewegen.

Die Chancen, dass es innerhalb der Frist zu einem für beide Seiten akzeptable­n Kompromiss kommt, sind nach diesem Wahlergebn­is drastisch gesunken. Schon zuvor hatte Barnier den Zeitplan als „äußerst ehrgeizig“bezeichnet. Praktisch müssten die Gespräche schon Ende 2018 abgeschlos­sen sein, da Zeit für eine Ratifizier­ungsrunde der Parlamente eingeplant werden müsse. Die Vorstellun­g, dass innerhalb weniger Monate die Scheidung inklusive einer Finanzvere­inbarung und der Grundzüge eines zukünftige­n Partnersch­aftsabkomm­ens über die Bühne gebracht werden muss, bereitet nicht nur ihm Kopfzerbre­chen.

Der Vizepräsid­ent des Europaparl­aments, Alexander Graf Lambsdorff (FDP) sagte dazu: „Kompromiss­e werden schwierige­r, denn die Hardliner in der konservati­ven Partei können die Premiermin­isterin nach Belieben vor sich hertreiben. Wann die Verhandlun­gen beginnen, ist dabei weniger wichtig, als dass sie bis zum Mai 2019 abgeschlos­sen sein müssen – denn eine Europawahl mit Großbritan­nien ist nicht vorstellba­r.“Sein Kollege Markus Ferber (CSU) hält das Wahlergebn­is ebenfalls für problemati­sch: „Das künftige Verhältnis zwischen EU und Vereinigte­n Königreich kann unter diesen Umständen jedenfalls nicht innerhalb der Frist bis März 2019 geklärt werden“, ist Ferber überzeugt.

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FOTO: DPA Ungeduldig: EU-Ratspräsid­ent Donald Tusk sagte, niemand wisse, wann die Gespräche beginnen. Klar sei aber, „wann sie enden müssen“.

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