„Die Uhr tickt“
Der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok über die anstehenden Brexit-Verhandlungen
RAVENSBURG - Der CDU-Europaparlamentarier Elmar Brok ist über die Verluste der Konservativen bei der Wahl in Großbritannien wenig begeistert. Die Autorität von Premierministerin Theresa May sei dahin – und die Gefahr eines Scheiterns bei den Verhandlungen zwischen London und Brüssel steige, bedauert der Außenpolitik-Experte im Gespräch mit Ulrich Mendelin. Herr Brok, wie erklären Sie sich die Schlappe für Theresa May bei den Parlamentswahlen? Frau May hat einen völligen Realitätsverlust erlitten und die Sorgen der Briten nicht erkannt. Den Menschen ging es nicht nur um den Brexit. Für die Wähler waren auch Themen wie Bildung, Soziales und natürlich auch Terrorabwehr wichtig. Außerdem hat Frau May einen lausigen Wahlkampf geführt. Ist May mit ihrer Strategie für einen harten Brexit gescheitert? Das hängt davon ab, was man unter einem harten Brexit versteht. Die Briten wollen ja über Verträge für die Zeit nach dem EU-Austritt verhandeln. Nun steigt aber die Gefahr, dass es gar kein Verhandlungsergebnis gibt – das wäre dann ein wirklich harter Brexit. Das hat Frau May angerichtet.
Am 19. Juni sollte es erste Brexit-Gespräche zwischen der Europäischen Union und der britischen Regierung geben. Ist der Termin zu halten?
Die Regierungsbildung in Großbritannien geht ja normalerweise recht schnell. Das Problem ist, dass die Regierung dann nicht entscheidungsfähig sein wird. Aber die Uhr tickt, der Zeitpunkt für den Brexit kann nicht verschoben werden. Am 29. März 2019 ist Schluss. Wenn es bis dahin keine Einigung gibt, dann gelten für den Handel die WTO-Regeln. Das wäre der härteste Brexit.
Wieso halten Sie die nächste Regierung für nicht handlungsfä-
hig? Andere Länder haben auch Minderheitsregierungen, auch für Großbritannien ist es nicht das erste „hung parliament“ohne absolute Mehrheit für eine Partei ... Die Autorität von Theresa May ist kaputt. Es ist nicht gesagt, dass sie den Parteitag der Konservativen im September übersteht. Dabei stehen wir vor Verhandlungen von historischer Bedeutung – und selbst die eigene Unterhausfraktion von Frau May ist zerstritten. Ob sie unter diesen Umständen zu einem Verhandlungsergebnis kommen kann, ist fraglich. Es sei denn, sie führt die Verhandlungen völlig an ihrem eigenen Parlament vorbei und legt diesem erst anschließend die Ergebnisse vor. Das ist womöglich ihre einzige Chance. Der Chef der Liberaldemokraten, Tim Farron, fordert einen Aufschub der Brexit-Verhandlungen. Wäre der technisch überhaupt möglich? Natürlich wäre das möglich – aber was soll das Ergebnis sein? Wir würden nur Zeit verlieren. Die Verhandlungen müssen bis Dezember 2018 abgeschlossen sein, denn wir brauchen ja auch noch Zeit für die Ratifizierung der Verträge durch das Unterhaus und das Europaparlament. Das alles muss bis zum 29. März 2019 unter Dach und Fach sein. Sollten die Torys zwischenzeitlich davon abrücken, auch aus dem gemeinsamen Binnenmarkt auszusteigen, dann wäre das lobenswert. Aber das sehe ich nicht.
Kann es einen mäßigenden Einfluss auf Mays Brexit-Kurs haben, wenn ihre Regierung von nordirischen Unionisten abhängt, die eigentlich kein Interesse haben können an zu hohen Hürden an der Grenze zur Republik Irland? Das wäre ein logisches Argument, aber die nordirischen Nationalisten richten ihre Politik nicht unbedingt nach logischen Argumenten aus. Das sind Hardliner. Sie verhindern in Nordirland derzeit auch die Bildung einer Regionalregierung.
Zum Abschluss noch ein Blick nach Schottland: Auch die Schottischen Nationalisten gehören zu den Wahlverlierern. Wie interpretieren Sie dieses Ergebnis? Die Konservativen in Schottland treten ziemlich gemäßigt auf. Sie haben den Schotten das Bild vermittelt, dass sie in der Lage sind, in den Brexit-Verhandlungen ein vernünftiges Ergebnis zu erzielen. Man darf nicht vergessen: Es ist zwar eine Mehrheit der Schotten für einen Verbleib in der Europäischen Union – aber nicht für eine Trennung von London. Außerdem hat sich die Labour-Partei, die in Schottland traditionell stark ist, dort wieder etwas aufgerappelt.