Baby an Bord
Der Pinguin-Nachwuchs im Konstanzer Sea Life Center wird flügge
KONSTANZ - Das Pinguinbaby im Konstanzer Großaquarium Sea Life hat die erste kritische Phase bereits gemeistert. Doch in diesen Tagen wird das Baby flügge und geht auf Entdeckungstour. Ein falscher Tritt und es könnte im Wasser ertrinken. Eltern und Pfleger sind in Alarmbereitschaft. Auch ein schwules Pinguinpaar mit Kinderwunsch steht für den Ernstfall bereit.
Noch hat Mama Gertrud alles unter Kontrolle. Mit vorgebeugtem Oberkörper hockt sie auf ihrem grauen Nest aus Stein. Vermutlich würde sie sich gerne richtig hinlegen. Doch das geht nicht mehr. Das graue Daunenknäuel unter ihrem Körper ist schon zu groß geworden. Den Kopf vorgebeugt schaut Gertrud argwöhnisch nach links und rechts und wacht über den Schlaf ihres Babys. Neben ihr sitzt Papa Juan und wartet auf seinen Einsatz – die Futterbeschaffung. Denn der Nachwuchs hat nicht nur riesige Füße, sondern auch großen Appetit.
Pinguin-Eltern kümmern sich im Jobsharing um ihren Nachwuchs. Wenn die Mutter auf das Kleine aufpasst, geht der Papa auf die Jagd. Danach wechseln sie sich ab. Sechs bis acht Stunden müssen die Tiere in freier Wildbahn jagen, erklärt Peggy Beirer-Frei vom Sea Life. Ein gefährlicher Job, denn im Meer lauern Orkas und Haie. Zumindest dieser Part ist im Aquarium bequemer. Die Arbeitsteilung funktioniert trotzdem reibungslos. Hat morgens der eine bei der Fütterung die Fische besorgt, kommt mittags das andere Elternteil zum Zug. Damit essenstechnisch keiner zu kurz kommt, dokumentieren die Pfleger alles ganz genau.
Die ersten Tage sind für das Anfang Mai geschlüpfte Baby am kritischsten. Dann stellt sich heraus, ob die Eltern ihrer neuen Rolle überhaupt gewachsen sind und sich genügend um den Nachwuchs kümmern. Wenn das Kleine mit etwa einem Monat flügge wird und alleine auf Tour geht, wird es noch einmal spannend. Ein falscher Schritt und das Baby stürzt über die Eiskante und landet im Wasser. Das Problem: Das Baby kommt erst mit einem halben Jahr in die Mauser. Bislang ist es nur ein kleines, flauschiges, graues Knäul. „Es fühlt sich an wie ein Daunenkissen“, sagt Peggy Beirer-Frei. Zum Schwimmen taugt das Federkleid noch nicht. Im Wasser würde es sich sofort vollsaugen und das Kleine würde untergehen. Die Pinguin-Eltern sind zwar ausgesprochen fürsorglich, aber eben nicht sehr geschickt. Daher haben die Pfleger einen Notfallplan ausgearbeitet, der greift, wenn das Baby seine ersten Schritte macht.
Hinter den Kulissen der nachgebildeten Antarktislandschaft liegen schon Kescher und ein Taucheranzug bereit. Ein Betreuer soll ständig am Becken der Eselpinguine Wache schieben und das Kleine notfalls mit einem kühnen Sprung retten, falls es ins eiskalte Wasser fällt. Das Sea-Life-Team hat mittlerweile Erfahrung mit Pinguin-Nachwuchs. Der aktuelle Neuzugang ist schon das dritte Baby. Für das Team ein Zeichen, dass sich die Eselpinguine wohlfühlen. „Beim Tierschutz unterliegen wir strengster Kontrolle“, sagt Peggy Beirer-Frei. Regelmäßig kommt ein Tierarzt aus der Schweiz, um nach der Gruppe zu sehen.
Trick der Evolution
Auch die Pinguinkolonie beobachtet die junge Familie ganz genau. Vor allem der Gruppenälteste Sir Edward und Jungspund Emil. Das schwule Pärchen hat schon lange einen unerfüllten Kinderwunsch. Sie flirten, turteln und bauen fleißig an ihrem Steinnest. Nur mit dem Nachwuchs hat es natürlich nie geklappt. Die Konstanzer Pinguingruppe ist bekannt für ungewöhnliche Liebesbeziehungen. Vor ein paar Jahren brachte es Männchen Bonaparte zu bundesweiter Bekanntheit, weil er sich in den schwarz-weißen Gummistiefel seines Pflegers verguckt hatte.
Auch homosexuelle Pärchen sind bei Pinguinen nicht ungewöhnlich. Zwei bis fünf Prozent der Population sind lesbisch oder schwul – ein Trick der Evolution, der Sinn macht, erklärt Timm Wulf, der für das pädagogische Begleitprogramm im Konstanzer Sea Life verantwortlich ist. Schließlich komme es in der Natur immer wieder vor, dass ein Partner von der Jagd nicht zurückkehrt. Alleinerziehende können ihr Baby jedoch nicht durchbringen. Entweder sie lassen es im Stich und gehen jagen, oder sie müssen selbst verhungern. In solchen Situationen springen homosexuelle Pärchen ein und adoptieren die Kleinen. Im Aquarium wird es zu so einer Extremsituation zwar kaum kommen, aber es kann nicht schaden, wenn auch Sir Henry und Emil aufpassen, dass sich das Baby nicht zu nah ans Wasser wagt.