Ostalb – der Liebe oder des Berufs wegen
Wirtschaftsjunioren fordern Unterstützung für Startups und mehr Flexibilität für Frauen
AALEN - Der Fachkräftemangel, die geringe Startup-Quote und das Wegziehen junger Menschen nach der Schule oder der Ausbildung halten die Wirtschaft im Ostalbkreis auf Trab. Die Wirtschaftsjunioren Ostwürttemberg, die vor allem junge Führungskräfte in unserer Region enger vernetzen wollen, fordern daher eine bessere Unterstützung für junge Firmengründer, mehr Flexibilität für weibliche Führungskräfte und attraktivere Bedingungen am Arbeitsplatz. Unser Redakteur Robin Uhlenbruch sprach mit Nina Kummich und Claudia Esswein. Kummich ist erst die zweite Vorsitzende in der 52-jährigen Geschichte der Wirtschaftsjunioren. Sie übernahm das Ruder zu Beginn des Jahres von Vorgängerin Esswein, die der regionalen Vereinigung junger Unternehmer und Führungskräfte 2016 vorstand.
Wie sieht die aktuelle Lage für junge Menschen in der Wirtschaft des Ostalbkreises aus?
Esswein: Es gibt derzeit genügend offene Stellen. Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen haben so die Chance, in allen beruflichen Bereichen aktiv zu werden. Darüber hinaus bieten die Hochschulen in Aalen und Gmünd in unserer Region ein breites Spektrum an und ergänzen sich damit hervorragend mit den beruflichen Ausbildungen.
Welches Problem hält dabei die Wirtschaftsjunioren, mittelständischen Betriebe und Unternehmen jedoch auf Trab?
Esswein: Eine besondere Schwierigkeit ist für die Wirtschaft auf der Ostalb, junge Menschen zu halten beziehungsweise in die Region zu locken. Auf den ersten Blick
mag der Landkreis unattraktiver als Großstädte oder Metropolregionen erscheinen. Doch bei der genauen Betrachtung erkennen viele dann, dass die Ostalb unendlich viele Möglichkeiten, ein breites kulturelles Angebot und vor allem eine zentrale Lage hat.
Aber?
Kummich: Dennoch steht häufig das Wegziehen im Fokus, um etwas Neues kennenzulernen. Ich beobacht bei jungen Menschen – die nach der Schule hier in ihrer Heimat bleiben – dass sie alleine zurückbleiben, da der ganze Freundeskreis weggezogen ist. Esswein: Niemand zieht extra in den Ostalbkreis, weil er da immer leben wollte. Bei Städten wie München, Berlin oder Hamburg mag das funktionieren. Auf die Ostalb zieht man der Liebe oder des Berufs wegen. Vor allem Arbeitsplatz und Arbeitgeber müssen als eigenständiger Multiplikator ziehen.
Wie können die Unternehmen reagieren?
Esswein: Die Betriebe können junge Fachkräfte aus ganz Deutschland gewinnen, wenn sie sich als attraktive Arbeitgeber präsentieren. Entscheiden dafür: Hilfe bei der Wohnungssuche, Gesundheitsangebote, eine hochqualifizierte Aus- oder Weiterbildung. Kummich: Ansonsten passiert das, was wir bereits branchenübergreifend beobachten: Fachkräftemangel. Vor allem im Handwerk, der CNC-Frästechnik und Köche.
Erzielte die Region dennoch erste Erfolge in den vergangenen Jahren?
Esswein: Definitiv. Die Imagekampagne des Ostalbkreis hat viel freigesetzt. Aber auch der Fußball – insbesondere als der VfR Aalen vor knapp zwei Jahren in der 2. Bundesliga war – und die Landesgartenschau haben bundesweit viele junge Menschen auf unsere Region aufmerksam gemacht. Das ist zwar noch kein Patentrezept für den Fachkräftemangel, doch der Mittelstand und die großen Unternehmen haben so eine weitere Plattform.
Wollen die Wirtschaftsjunioren Ostwürttemberg hier ebenfalls einen Part wahrnehmen?
Esswein: Der nächste große Meilenstein ist bereits mit unserer Landeskonferenz 2018 unter dem Motto „Wir. Ihr. Hier.“in Planung. Eine intensive Vorbereitung ist da in den kommenden Monaten absolut notwendig, da wir rund 400 Wirtschaftsjunioren aus Baden-Württemberg und den angrenzenden Bundesländern erwarten. Ein Schwerpunkt wird dabei sein, dass die jungen Führungskräfte die Betriebe und die Stadt Aalen kennenlernen und dieses Wissen weiter transportieren und in ihre Unternehmen mitnehmen.
Und noch in diesem Jahr?
Kummich: 2017 ist entscheidend, dass wir unsere Mitglieder noch stärker in der Regionen vernetzen können. Unter dem Motto „Mehrwert“gibt es für die jungen Unternehmer und Führungskräfte zahlreiche Veranstaltungen, Seminare und Möglichkeiten, das private und berufliche Netzwerk weiter auszubauen. Das ist wichtig für Mitglieder, die in absehbarer Zeit ein Familienunternehmen übernehmen. Wie kann die Übergabe laufen, gibt es Rechtliches zu beachten, wie übernimmt man die Verantwortung? Auch Unternehmen sollen geschult werden, wie beispielsweise mit Mitarbeitern umgehen, die von Burnout betroffen sind. Bei den Veranstaltungen kommen so Menschen aus ganz unterschiedlichen Bereichen zusammen, die sich austauschen können und ein ehrliches Feedback geben.
Ein Feedback, welches die Wirtschaftsjunioren auch Schülern jährlich geben?
Esswein: Richtig, unser Bewerbertraining gibt es seit zehn Jahren. Dieses Mal gehen wir in die 8. und 9. Klassen der Werkrealschulen Bopfingen, Heubach und Giengen. Die Schüler erhalten ein Bewerbertraining, sollen ein Anschreiben formulieren und absolvieren und erleben ein Bewerbungsgespräch hautnah.
Und?
Esswein: Viele Jugendlichen brauchen Bestätigung, andere dagegen harte und ehrliche Kritik, wenn wir als Jury sie nach dem Gespräch nicht eingestellt hätten. Da es sich bei den Wirtschaftsjunioren selbst um Führungskräfte handelt, hat unser Urteil häufig mehr Gewicht als das von Lehrern oder der Arbeitsagentur. Viele Schüler über- oder unterschätzen sich. Wir zeigen ihnen auf, wie ihre Noten und das Verhalten bei Personalern ankommen. Dafür opfern wir gerne drei Tage Freizeit.
In den Schulen gelingt das nicht?
Kummich: Nicht nur in den Schulen, auch in Familien und der Gesellschaft wird dieses Wissen immer seltener vermittelt. Zudem bringen wir als Unternehmer neue Perspektiven mit und klären auf, dass nicht jeder die Schulkarriere bis zum Abitur ausreizen muss. Es gibt gute Alternativen. Eine Alternative für Absolventen der Hochschulen und kreative Köpfe ist die eigene Gründung. Wie entwickelt sich derzeit die Startup-Szene in unserer Region? Esswein: Es gibt zwar zahlreiche Gründungen, aber sicherlich noch nicht genügend. Die Aalener Hochschule, das Innovationszentrum und die Industrie- und Handelskammer treiben die Startup-Szene voran. Doch aus unserer Sicht könnte die Region noch mehr tun, um spannend für junge Unternehmer zu werden. Der Ostalbkreis hat große, eingesessene Global Player, die von Startups profitieren würden. Kummich: Ansonsten verlieren wir diese kreativen Köpfe an Städte wie Berlin, wo junge Firmengründer leichter ein Netzwerk aufbauen können und Gleichgesinnte finden. Daher brauchen wir mehr Unterstützung für Absolventen nach dem Studium, dass diese gar nicht erst auf die Idee kommen, die Ostalb zu verlassen. Das passiert aber schnell, wenn die Gründer mit ihren Ängsten, Sorgen und Zielen alleine gelassen werden.
Sie sind beziehungsweise waren die ersten beiden weiblichen Vorsitzenden in der 52-jährigen Geschichte der Wirtschaftsjunioren. Ist hier eine Trendwende zu erkennen?
Esswein: Der Frauenanteil bei den Wirtschaftsjunioren ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen – und damit auch der Anteil weiblicher Führungskräfte bei uns. Mittlerweile haben die Wirtschaftsjunioren Ostwürttemberg 31 weibliche und 77 männliche Mitglieder. Als ich vor fünf Jahren angefangen habe, waren wir zu neunt. Kummich: Die Wahl des Vorsitzenden ist aber keine Frage des Geschlechts, sondern vielmehr Zufall. Außerdem übernimmt man die Führung jeweils nur für ein Jahr. Das Konzept dahinter: Jedes Jahr sollen so neue Ideen und eine neue Persönlichkeit auf die Führungsebene gelangen. Andererseits bannt das die Gefahr, dass die Wirtschaftsjunioren nach einer zu langen
Amtszeit in ein tiefes Loch fallen.
Was fehlt bislang, um ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis zu erreichen?
Esswein: Die Situation für weibliche Führungskräfte muss noch deutlich besser werden. Es braucht mehr Flexibilität bei der Arbeitszeit, Home-OfficePlätze und Regelungen, falls die Kinder krank werden. Das handhabt aber jedes Unternehmen unterschiedlich. Außerdem müssen spannende Projekte ebenfalls in Teilzeit realisierbar sein. Mütter sind meistens auf das familiäre Umfeld angewiesen. Schwierig wird dann aber die Arbeit in Schichtmodellen.