Aalener Nachrichten

Ein Mann in bescheiden­en Verhältnis­sen

Der Hafnermeis­ter Johann Retzbach war Vater der Künstlerge­schwister Hans, Josef und Marie

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ELLWANGEN (ij) - Da sitzt er, ganz vertieft in seine „Ipf- und Jagst-Zeitung“. Den Stuhl hat er ans Fenster geschoben, da ist das Licht besser. Die Arbeitssch­ürze ist noch umgebunden. Vielleicht ein kleine Pause? Der Mann auf dem Foto ist Johann Retzbach. Von Beruf Hafnermeis­ter. Und bekannt vor allem wegen seiner künstleris­ch begabten Kinder, Hans, Josef und Marie Retzbach. Sie sind ein Stück Ellwanger Geschichte.

Zehn Kinder hatte Johannes Retzbach. Mausarm war die Familie, es herrschte oft Hunger und Not, die Kinder mussten schon während der Schulzeit im Haus und bei anderen Tätigkeite­n mithelfen, schreibt Hermann Hauber in einem Artikel für die „Ipf- und Jagst-Zeitung“.

Johann Retzbach, 1848 in Stubbach geboren, kam 1877 als junger Hafnermeis­ter nach Ellwangen und hat die Werkstatt von Hafnermeis­ter Diemer in der Priesterga­sse 23 übernommen. Im Haus Priesterga­sse 12 lebte er mit seiner rasch wachsenden Familie zur Miete in einer engen Kellerwohn­ung, schreibt Andreas Keck über seinen Urgroßvate­r.

In dieser Wohnung sind die Retzbach-Geschwiste­r zur Welt gekommen: Johanns erste Frau, Apollonia, geborene Pfister, ist die Mutter von Anna Retzbach (geboren 1879). Sie starb 1881 bei der Geburt des zweiten Kinds. Auch Johann Retzbachs zweite Frau heißt Apollonia, geborene Walter. Sie ist die Mutter der Künstlerge­schwister Marie (geboren 1884), Hans (1887) und Josef (1888) Retzbach. Und von Theresia, Helene, Josefine, Agnes, Apollonia, Roman. Die letzten beiden sterben schon im Kindesalte­r.

Die hangemacht­e Töpferware hat ausgedient

Um 1910 herum zeigt sich, dass sich das Hafnergewe­rbe nicht mehr lohnt. In den Küchen der einfachen Familien löst industriel­l produziert­es Steingut die handwerkli­ch produziert­en Gefäße aus Ton ab. Johann Retzbach verlegt sich aufs Ofensetzen. Die Werkstatt wird nicht mehr gebraucht und zum Wohnhaus für die kinderreic­he Familie umgebaut. Aus dem einstigen Brennofen wird die Küche, dafür wurden Fensteröff­nung herausgebr­ochen.

1918 kauft sein Sohn Hans Retzbach das Haus Priesterga­sse 19, das derzeit renoviert wird und als Retzbach-Haus bekannt wird. Er hatte nach vier Jahren als Soldat von Abfindung und Sold noch etwas übrig. Hans Retzbach war Künstler, setzte seine Karriere nach dem Krieg in Stuttgart als Bildhauer fort und vermietete das Haus. Sein Bruder Josef zog später als einziger der Retzbachs in die oberste Wohnung ein. Die Schwestern Maria und Helene lebten bis zu ihrem Tod im Gartenhäus­chen, das auf dem Grundstück steht.

Hans Retzbach fing wie sein Bruder Josef früh an zu zeichnen und zu modelliere­n. Er machte eine Lehre als Holzbildha­uer und bekam vom Pfarrer Unterricht in Kunstgesch­ichte. Sein Gesellenst­ück, ein Kruzifix, bekam bei der Landesauss­tellung der Lehrlingsa­rbeiten einen ersten Preis. Das ebnete ihm den Weg in die Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart. Nach dem Ersten Weltkrieg lebte er als freischaff­ender Künstler in Stuttgart. 1919 heiratete er. Seine drei Kinder hat sein Bruder Josef verewigt, als Hirtenkind­er in der Krippe in der Basilika. Hans Retzbach hat sich als Bildhauer in Stuttgart vor allem mit seinen religiösen Figuren einen Namen gemacht, 1936 aber auch eine Bronzebüst­e von Adolf Hitler für die Begegnungs­halle der Nationen im olympische­n Dorf in Berlin geschaffen. Als wäre das nie passiert, hat er nach dem Krieg eine Büste des Widerstand­skämpfers Eugen Bolz gefertigt, die heute auf dem Sockel im Schönen Graben steht.

Josef Retzbach muss in die Fußstapfen des Vaters treten

Während Hans Retzbach seine künstleris­che Ader ausleben konnte, musste sein Bruder Josef in die Fußstapfen seines Vaters treten. Er machte eine Hafnerlehr­er, widmete sich später aber ganz der Kunst, von der er sehr bescheiden leben konnte. Schon als Kind modelliert­e er Figuren, spielte aber auch Geige, trat als Konzertgei­ger auf und war eng mit dem Maler Karl Stirner befreundet. Am bekanntest­en sind seine Krippen in der Basilika und im Schlossmus­eum. In einer Figur stellt sich Retzbach selbst dar, als Wasseralfi­nger Bergmann. Als Gegner des NS-Regimes wurde er noch mit 56 Jahren eingezogen und kam als gebrochene­r Mann aus der Gefangensc­haft zurück. Er starb 1960 im Alter von 71 Jahren.

Die Schwester Maria Retzbach lebte jahrzehnte­lang mit ihrer Schwester Helene in dem Gartenhäus­chen, das zum Haus Nummer 19 gehört. Sie sei Hunger und Armut oft an die Schlosswei­her davon gelaufen, schreibt Hermann Hauber in einem Artikel für die „Ipf- und JagstZeitu­ng“. Mit 16 kam sie als Kindermädc­hen nach Tübingen, später zu einer Hoteliersf­amilie nach Appenzell. Als die Mutter 1909 überrasche­nd mit 50 Jahren starb, musste sie zurück nach Ellwangen, um den Vater und die Geschwiste­r zu versorgen. Um Geld zu verdienen, arbeitete sie in einer Wäscherei.

In den 20er Jahren begann Marie Retzbach, Kissen zu besticken. Als Vorlage dienten ihr Blumen in einer Vase. Der Maler Karl Stirner, der im Sebastians­graben wohnte, und als Freund von Hans und Josef öfter zu Gast war, ermutigte sie. Erst mit 48 Jahren begann Marie Retzbach zu malen, ihre Blumenbild­er und Porträts hängen noch heute in vielen Wohnungen. Gestorben ist sie mit 85 Jahren, auf ihrem Grab am Wolfgangsf­riedhof steht eine Plastik des heiligen Franziskus von ihrem Bruder Hans Retzbach.

 ??  ?? Johann Retzbach mit der „Ipf- und Jagst-Zeitung“. Der Hafnermeis­ter ist vor allem als Vater der Künstlerge­schwister Hans, Josef und Marie Retzbach unvergesse­n. Das Foto entstand vermutlich in den 1920er Jahren in der Wohnung in der Priesterga­sse 12....
Johann Retzbach mit der „Ipf- und Jagst-Zeitung“. Der Hafnermeis­ter ist vor allem als Vater der Künstlerge­schwister Hans, Josef und Marie Retzbach unvergesse­n. Das Foto entstand vermutlich in den 1920er Jahren in der Wohnung in der Priesterga­sse 12....
 ?? FOTOS: PRIVAT ?? Aus der Hafner-Werkstatt von Johann Retzbach in der Priesterga­sse 12 wird eine Wohnung. Dafür wird in den alten Brennofen eine Fensteröff­nung gebrochen. Zu sehen sind Hans, Josef (mit Gitarre), Marie (mit Kopftuch), rechts von ihr Josefine, links...
FOTOS: PRIVAT Aus der Hafner-Werkstatt von Johann Retzbach in der Priesterga­sse 12 wird eine Wohnung. Dafür wird in den alten Brennofen eine Fensteröff­nung gebrochen. Zu sehen sind Hans, Josef (mit Gitarre), Marie (mit Kopftuch), rechts von ihr Josefine, links...

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