„Miss 100 000 Volt“greift nach den Sternen
Die frühere Tänzerin Jelena Ostapenko könnte das Gesicht der „Next Generation“werden
PARIS (SID/dpa) - Für einen kurzen Moment war Jelena Ostapenko die ganz normale 20-Jährige von nebenan. „Oh, jetzt habe ich die Frage vergessen, sorry!“, sagte die lettische Überraschungs-Finalistin der French Open – und kringelte sich während der Pressekonferenz vor Lachen. Heute (15 Uhr) könnte sich das Leben von „Miss 100 000 Volt“, wie die „L'Equipe“sie wegen ihrer Haudrauf-Mentalität auf dem Platz taufte, schlagartig ändern. Ein Sieg gegen Simona Halep (Rumänien/3) im Endspiel von Paris fehlt der ungesetzten Ostapenko noch zur sportlichen Unsterblichkeit, zur Krönung eines ungewöhnlichen Siegeszugs – und kurioserweise zu ihrem ersten Titel auf der Tour überhaupt.
„Daran denke ich nicht. Ich will einfach nur Spaß haben, alles genießen und vor allen Dingen weiter aggressiv spielen“, meinte die Weltranglisten-47. Die frühere Turniertänzerin („Am liebsten Samba“) könnte die am schlechtesten platzierte Spielerin sein, die das bedeutendste Sandplatzturnier in der Open Era (seit 1968) gewinnt. Aber vor allen Dingen wäre sie auch die jüngste Paris-Königin seit der Kroatin Iva Majoli 1997 – in diesem Jahr wurde Ostapenko geboren.
Kein Wunder, dass viele in der Wimbledon-Juniorensiegerin von 2014 das Gesicht der „Next Generation“sehen, die das Machtvakuum in der Weltspitze füllen könnte. Der Altersdurchschnitt der Top Ten beträgt derzeit 27,2 Jahre. „Die Spielerinnen aus meinem 1997er-Jahrgang sind stark“, sagte Ostapenko, „und es ist schon so etwas wie die nächste Generation, die da Druck macht.“
Statistiker haben herausgefunden, dass die Tochter eines Profifußballers die Vorhand in diesen Tagen im Schnitt (122,3 km/h) härter über das Netz hämmert als der britische Weltranglistenerste Andy Murray (117,5). Bezeichnend für das noch schlummernde Potenzial, dass Ostapenko sagt: „Eigentlich ist die Rückhand mein Lieblingsschlag.“In sechs Partien hat sie schon 245 Winner verbucht. In Paris hat Ostapenko bis dato fast soviel verdient wie in ihrer bisherigen Karriere – rund 1,1 Millionen Dollar. Sogar Lettlands Präsident Raimonds Vejonis hat schon mit Ostapenkos Mutter telefoniert. „Meine Nummer hat er nicht“, witzelte die Sekrechtstarterin, die zuvor bei einem Grand-Slam-Event noch nie über die zweite Runde hinausgekommen war.
Für Halep, die seit Jahren zur Weltspitze gehört, steht nicht nur der Gewinn ihres ersten Major-Titels auf dem Spiel, sondern auch die Weltranglisten-Spitze. Sollte die 25-Jährige siegen, würde sie Angelique Kerber vom Sonnenplatz verdrängen. „Es ist eine große Herausforderung gegen eine junge Spielerin wie Jelena. Aber ich denke, ich habe die Mentalität und das Spiel für den Sieg“, sagte Halep.
Nadal im Finale gegen Wawrinka:
Nach seiner Machtdemonstration streckte Rafael Nadal nur kurz die Faust in den Pariser Abendhimmel. Ein Sieg trennt den spanischen Publikumsliebling nach dem 6:3, 6:4, 6:0 im Halbfinale gegen den Österreicher Dominic Thiem noch von seinem zehnten French-Open-Titel. In seinem 22. Grand-Slam-Endspiel wartet auf den 31-Jährigen am Sonntag (15 Uhr) ein euphorisierter Kontrahent. In einem 4:34-stündigen Marathonmatch gewann der Schweizer Stan Wawrinka 6:7 (6), 6:3, 5:7, 7:6 (3), 6:1 gegen den topgesetzten Briten Andy Murray. Wawrinka, der drei von 18 Duellen mit Nadal gewann, siegte bereits 2015 in Paris. „Für mich ist es einfach unglaublich, hier wieder im Endspiel zu stehen. Jetzt wartet die größtmögliche Herausforderung auf mich, Nadal ist der beste Sandplatzspieler aller Zeiten“, sagte der USOpen-Champion, der alle seine drei Major-Finals gewinnen konnte.