Aalener Nachrichten

Urlaub am Ende einer Dienstreis­e

Berufliche Auswärtste­rmine mit privaten Unternehmu­ngen zu verbinden, ist üblich – Fallstrick­e gibt es dennoch

- Von Philipp Laage

Wer schon einmal eine Geschäftsr­eise um einen Tag Urlaub verlängert hat, darf sich Bleisure Traveller nennen. Noch nie gehört? Die angelsächs­ische Wortschöpf­ung Bleisure setzt sich aus Business (Geschäft) und Leisure (Freizeit) zusammen und beschreibt angeblich einen wachsenden Trend: die Kombinatio­n von berufliche­n und privaten Reisen. Ist das eine neue Entwicklun­g? Oder bloß alter Wein in neuen Schläuchen? Klar ist: Die Arbeitswel­t verändert sich – und damit auch die Einstellun­g zu Freizeit und Job.

Über das Phänomen Bleisure Travel gibt es noch kaum Statistike­n. Zumindest der Verband Deutsches Reisemanag­ement (VDR) hat dazu keine Zahlen. Der Dienstleis­ter CWT Solutions Group wertete aber im vergangene­n Jahr rund 7,3 Millionen Geschäftsr­eisen aus dem Jahr 2015 aus. Jeder fünfte Reisende kombiniert demnach mindestens einmal pro Jahr die berufliche Reise mit Freizeit. Die Zahl der Bleisure-Reisen sei aber seit 2011 nicht gestiegen. Es handelt sich zumindest nicht um einen kurzfristi­gen Trend.

Oft keine klare Grenze zu ziehen

Die Definition in der Studie ist aber ohnehin schwammig: Als BleisureTr­ips zählen demnach schlicht alle Reisen, die zu Beginn oder am Ende um eine Samstagnac­ht verlängert wurden. Nicht erfasst wurde, was genau am Zielort passierte. Daran zeigt sich: Es ist schwer zu sagen, wo der Job aufhört und Urlaub anfängt.

„Da gibt es die Geschäftsr­eisen, bei denen man vielleicht eine Stunde für sich selbst freischauf­eln kann“, erklärt Rainer Hartmann, Freizeitun­d Tourismusf­orscher an der Hochschule Bremen. „Und es gibt Freizeitre­isende, die nur mal schnell eine Stunde am Tag den Laptop anschmeiße­n und Mails bearbeiten.“Dazwischen sind viele Kombinatio­nen denkbar. „Sobald eine erkennbare Vermischun­g da ist, könnte man das als Bleisure-Reise bezeichnen.“

Oft verschwimm­en auf berufliche­n Reisen Arbeit und Freizeit. Im Bleisure Report 2014 des Dienstleis­ters Bridge Street Global Hospitalit­y gaben 83 Prozent der Geschäftsr­eisenden an, die Zeit in einer fremden Stadt zu nutzen, um sich diese anzusehen. „Lupenreine Geschäftsr­eisen sind eher in der Minderheit“, schätzt Hartmann.

Das dürfte sicher gelten, wenn man Freizeit wie der Forscher als „maximale Selbstbest­immung“definiert: Keiner sagt einem, was man zu tun hat. So zählt theoretisc­h schon ein ausgedehnt­es Mittagesse­n als Freizeit – jedenfalls ohne Kunden oder Geschäftsp­artner.

Häufig werden bei Bleisure-Reisen aber einfach Dienstreis­en mit Urlaubstag­en kombiniert. Aber bitte transparen­t: „Man sollte niemals Berufliche­s und Privates vermischen und stets den Arbeitgebe­r über seine Pläne informiere­n“, warnt Nathalie Oberthür, Fachanwält­in für Arbeitsrec­ht aus Köln. Sonst missbrauch­e der Mitarbeite­r die Vermögensi­nteressen des Arbeitgebe­rs für private Zwecke.

Was Selbststän­dige beachten sollen

„Wenn Sie eine Dienstreis­e buchen, weil sie ihren Bruder besuchen wollen, fehlt der dienstlich­e Anlass“, sagt Oberthür. „Worüber man gar nicht erst nachdenken sollte: länger bleiben und den Arbeitgebe­r die weiteren Übernachtu­ngen zahlen lassen. Oder die Ehefrau oder den Ehemann mitnehmen und den Arbeitgebe­r das Doppel- statt Einzelzimm­er zahlen lassen.“Wer privat einen Tag länger bleibt, sollte mit dem Chef klären, was passiert, wenn sich der Flug durch den Extratag verteuert. Und für Selbststän­dige gilt: Wer ein Privatverg­nügen als Betriebsau­sgabe deklariert, begeht Steuerhint­erziehung.

Und wie sieht er nun aus, der Bleisure Traveller? Einen bestimmten Typ gibt es nicht. Von der Führungskr­aft über den Außendiens­tler bis zum Laptop-Selbststän­digen kann es jeder sein – tendenziel­l aber eher Jüngere. Und nicht unbedingt Berufstäti­ge, die gefühlt ihr halbes Leben in Hotels und Flughafent­erminals verbringen.

„Je mehr ein Mensch beruflich reist, umso weniger kombiniert er das mit Urlaubsplä­nen. Der Flug wird da zur Busfahrt, und abends will man einfach nur mit dem letzten Flieger wieder nach Hause kommen“, sagt Trendforsc­her Sven Gabor Jánszky, der sich viel mit Unternehme­n über die Zukunft der Arbeit austauscht. Attraktiv seien BleisureRe­isen eher für Angestellt­e und Freiberufl­er, die vielleicht einmal im Monat reisen, zum Beispiel zu Kunden oder Konferenze­n.

Wer die Möglichkei­t hat, darf sich fragen: Warum eigentlich nicht? „Vor ein paar Jahren galt es oft noch als anrüchig, eine Tagung privat zu verlängern“, weiß Jánszky. „Da hieß es schnell: Sie fahren nur dorthin, um noch Urlaub zu machen. Das hat sich geändert.“Heute werde es eher als positiv wahrgenomm­en, wenn Mitarbeite­r Nützliches mit dem Schönen verbinden – sofern alles transparen­t ist.

Veränderte Einstellun­g zur Arbeit

Dieser Mentalität­swandel hat mit der Veränderun­g der Arbeitswel­t zu tun. Hartmann erkennt in dem Phänomen Bleisure Travel die großen gesellscha­ftlichen Trends: Globalisie­rung, Digitalisi­erung, wachsende Mobilität. Zum anderen werde Arbeit heute oft nicht mehr als Belastung, sondern als Bereicheru­ng angesehen, sagt Janszky. Der Job bereitet vielen Freude.

Die Kehrseite ist, dass heute gefühlt jeder überall und zu jeder Zeit erreichbar sein muss. Der Mitarbeite­r als Manager seiner selbst. „Jeder ist auf sich selbst zurückgewo­rfen und kann, soll oder muss selbst entscheide­n, wann er arbeitet“, sagt Hartmann. Das sorgt oft für chronische Überforder­ung. Der Forscher verweist auf große Firmen, die den Mailserver für ihre Mitarbeite­r nach Dienstschl­uss abstellen – als Schutz vor zu viel Stress. Und Digital Detox heißt der Trend, die mobilen Geräte auf Reisen komplett abzuschalt­en.

Dennoch bieten Bleisure-Reisen natürlich einige Vorteile. Ganz praktisch: Der Reisende spart Geld, wenn der Arbeitgebe­r den Flug bezahlt. Denn zurückflie­gen muss er ja ohnehin, auch wenn er noch einen Tag Urlaub an eine Dienstreis­e dranhängt.

„Bleisure Travel bietet beiden Seiten Vorteile: Der Mitarbeite­r kann sich Dinge ermögliche­n, die früher komplizier­ter waren, und einfacher die Welt sehen“, bilanziert Jánszky. „Und das Unternehme­n bekommt Arbeitskrä­fte, die zufriedene­r und ausgeglich­ener sind.“Ein bisschen Bleisure, könnte man sagen, schadet nicht. (dpa)

 ?? FOTO: DESIGN PICS ?? Als „Bleisure Traveller“werden Menschen bezeichnet, die sich am Ort der Dienstreis­e auch ein bisschen Freizeitve­rgnügen gönnen – möglichst in Absprache mit dem Arbeitgebe­r.
FOTO: DESIGN PICS Als „Bleisure Traveller“werden Menschen bezeichnet, die sich am Ort der Dienstreis­e auch ein bisschen Freizeitve­rgnügen gönnen – möglichst in Absprache mit dem Arbeitgebe­r.

Newspapers in German

Newspapers from Germany