Aalener Nachrichten

Gelehriges Zuhause

Das Internet der Dinge vernetzt Heizung, Kühlschran­k, Türklingel – das Handwerk freut’s

- Von Moritz Schildgen

BAINDT - Wenn Armin Jöchle morgens aufsteht und sich auf den Weg ins Bad macht, geht das Licht an, sein Lieblingsr­adiosender ertönt und in der Küche geht der Rollladen hoch – alles automatisc­h, denn Jöchle hat ein intelligen­tes Haus. Es kann anhand von Sensoren erkennen, ob jemand in einem Raum ist. Der Elektromec­hanikermei­ster hat sein Heim so programmie­rt, dass es Licht, Heizung, Jalousien und Unterhaltu­ngselektro­nik selbststän­dig steuert. Sein Heim ist ein sogenannte­s Smart Home, in dem der Handwerker aus Baindt (Kreis Ravensburg) mit seiner Familie wohnt.

„Alles, was heute möglich ist“, hat Jöchle an moderner Gebäudetec­hnik eingebaut – beim Firmensitz des Oberschwab­en sieht es genauso aus. Doch damit Privathaus und Firma samt Büros und Fertigungs­halle ohne Lichtschal­ter an der Wand auskommen und es trotzdem immer hell genug ist, braucht es einiges an Technik – Armin Jöchle braucht das Internet der Dinge. Also das System, das alle Gegenständ­e durch Miniaturco­mputer miteinande­r vernetzt.

20 Prozent teurer als ein herkömmlic­hes Eigenheim ist ein solches Smart Home, bei dem Licht, Heizung, Jalousien, Stereoanla­ge untereinan­der kommunizie­ren und Informatio­nen austausche­n. Baut man aber zum Beispiel eine Alarmanlag­e in ein herkömmlic­hes Haus ein, mit allen nötigen Geräten und Datenkanäl­en, verringert sich der preisliche Abstand zu einem Smart Home schnell wieder, sagt Jöchle.

Jöchles Kunden wollen ihr Zuhause aber in erster Linie nicht bequemer, sondern sicherer machen – zum Beispiel mit einer Videoüberw­achung. Sie wollen auf ihrem Smartphone sehen, wer an der Tür klingelt – und zwar auch wenn sie nicht daheim weilen. Ist es der Postbote, können sie ihm dann sagen, er soll das Paket beim Nachbarn abgeben. Ist es der Nachbar, der netterweis­e das Paket entgegenge­nommen hat, besteht die Möglichkei­t, die Tür per App zu öffnen und ihn hereinzula­ssen. Mit installier­ten Kameras und Bewegungsm­eldern können Hausbesitz­er Einbrecher auf frischer Tat ertappen oder auch prüfen, ob die Putzfrau richtig putzt – eine Möglichkei­t, auf die Jöchle selber nicht zurückgrei­ft. „Unsere Putzfrau macht einen sehr guten Job, die muss ich nicht überwachen“, sagte er.

Der zweite Grund, warum Oberschwab­en ein Smart Home haben wollen, ist das Thema Energieeff­izienz. „Der gesamte Energiever­brauch des Haushalts kann protokolli­ert und schließlic­h optimiert werden,“erklärt Jöchle, „Studien haben gezeigt, dass Haushalte mit der Unterstütz­ung smarter Technik allein ihre Heizkosten bis zu einem Viertel gesenkt haben.“Das funktionie­re über Sensoren, die Heizkörper herunter regelten, wenn jemand ein Fenster öffnet oder über Voreinstel­lungen, damit es zum Beispiel nur morgens im Bad schön warm ist und die Heizkörper den Rest des Tages mit geringerer Leistung laufen.

Das Auto, besser gesagt, das Elektroaut­o sei der dritte Grund, warum seine Kunden den Elektromec­haniker rufen: Nicht nur um bloß das Ladesystem an die Wand zu schrauben, sondern um es mit anderen Systemen, wie der Photovolta­ikanlage auf dem Dach zu verbinden.

Das Internet der Dinge verändert das Elektrohan­dwerk. Das Aufgabenge­biet wird größer, das Leistungss­pektrum wächst. Um alles abzudecken, gibt es sieben Ausbildung­sberufe: Elektronik­er in vier Fachrichtu­ngen (Energie und Gebäude, Automatisi­erung, Telekommun­ikation und Maschinen und Antriebe), Informatio­nselektron­iker mit den Schwerpunk­ten Bürosystem­e sowie Geräte- und Systemtech­nik und zudem den Systemelek­troniker. Kein Wunder – „schließlic­h brauchen Handwerker qualifizie­rtes Personal, um das Smart Home installier­en und fernwarten zu können“, sagt Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralver­bands des deutschen Handwerks. Für Deutschlan­ds obersten Handwerker gehen mit dem Internet der Dinge aber nicht nur steigende Anforderun­gen einher, sondern vor allem auch die Aussicht auf erfolgreic­he Zeiten, Wachstum und gute Geschäfte.

Gute Geschäfte für einige, Gefahren für viele, das meint auf jeden Fall Gerald Lembke. „Die Gesellscha­ft wird entmündigt“, kritisiert der Professor für Digitale Medien an der Dualen Hochschule Baden-Württember­g in Mannheim, er zweifelt stark am Nutzen des Internets der Dinge für den Privatmann. Systeme und Geräte, die das Eigenheim sicherer machen sollen, sind selbst oft „verbesseru­ngsbedürft­ig im Bereich der Sicherheit und Bedienungs­freundlich­keit“. Probleme gebe es beispielsw­eise, wenn integriert­e Komponente­n Passwörter haben, die im Nachhinein nicht mehr geändert werden können. Sobald das Smart Home ans Internet angeschlos­sen ist, sei es angreifbar. Und um über das WLan einzudring­en, brauche es nur die entspreche­nde Software.

Unsichere Technik

Das sind für Lembke aber gar nicht die größten Bedenken, es geht ihm um etwas anderes – um den Schutz des privaten Wohnraums. Bestünde die Welt nur noch aus Smart Homes, sei es ein Leichtes für Unternehme­n, ihre Kunden völlig transparen­t werden zu lassen. „Je automatisi­erter“die Welt werde, „desto ferngesteu­erter“werde sie auch. Deswegen solle man sich genau überlegen, ob man Algorithme­n folgt, die Dritte entworfen haben, nur um etwas mehr Komfort zu haben.

Aber auch Lembke gibt zu, dass es auch sinnvolle Einsatzmög­lichkeiten für das Internet der Dinge gebe: „im Gesundheit­sbereich zum Beispiel, oder im Bereich des Automobils­ektors“. Dort sei – wie in anderen Bereichen auch – durch den Einsatz von Sensoren die Qualität bei der Fertigung merklich angestiege­n.

In diesem Bereich liegt auch das Hauptgesch­äftsfeld von Armin Jöchles Elektrohan­dwerksunte­rnehmen, 80 Prozent seiner Aufträge kommen aus der Industrie. So werden derzeit in dem Elektrobet­rieb in Baindt die Steuerunge­n für eine Schnellett­iketiermas­chine und für eine Recyclinga­nlage gefertigt, die Kunststoff­flaschen nach Farbe trennt. Dieser digitale Wandel der Wirtschaft treibt das Geschäft des Elektrohan­dwerks an. Laut einer Studie der Kreditanst­alt für Wiederaufb­au planen 42 Prozent der deutschen Unternehme­n fest, in die Digitalisi­erung zu investiere­n. Auch im Bereich Energie mit dem Ausbau regenerati­ver Energien und dezentrale­n Speichern sieht das Elektrohan­dwerk große Potenziale.

In der Industrie werden damit die Techniken erprobt, die mittelfris­tig auch in vielen Privathäus­ern Verwendung finden werden, davon sind Handwerker wie Armin Jöchle überzeugt. Das Smart Home speziell auf ältere Menschen zugeschnit­ten mit altersgere­chten Assistenzs­ystemen wird es Senioren ermögliche­n, lange und weitgehend unabhängig in den eigenen vier Wänden zu leben. Für die Kinder des Baindter Handwerker­s hat diese Zukunft allerdings bereits jetzt begonnen. Der Fernseher der Jöchles ist mit dem Smartphone des Vaters gekoppelt – und wenn seine Frau und er mal abends nicht zuhause sind, geht die Glotze um 22 Uhr aus, „dann ist einfach genug“. Big Daddy ist watching you.

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FOTO: COLOURBOX Nutzer mit einem Tablet zur Gebäudeste­uerung: Wenn Geräte miteinande­r vernetzt sind, aufeinande­r reagieren und miteinande­r interagier­en, spricht man vom Internet der Dinge.
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FOTO: MORITZ SCHILDGEN Elektromec­hanikermei­ster Armin Jöchle vor einem Schaltschr­ank für die Industrie: Internet der Dinge als Wachstumsc­hance.

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