Aalener Nachrichten

Ein Topf für alle

Der Thermomix hat die Küchen Deutschlan­ds verändert – Wie konnte das passieren?

- Von Erich Nyffenegge­r

Wer sich davor fürchtet, dass eines Tages Maschinen die Macht über uns Menschen ergreifen könnten, muss jetzt sehr stark sein, denn: In vielen deutschen Küchen ist das bereits geschehen. Nämlich überall dort, wo ein Gerät namens Thermomix auf der Theke steht. So jedenfalls sehen das die Skeptiker, denen die Maschine schon deshalb unheimlich ist, weil sie beim Zerkleiner­n von Haselnüsse­n mit bis zu 91 Dezibel so viel Krach macht wie eine Motorsäge. Nichts für hochsensib­le Gemüter. Papperlapa­pp sagen da die anderen – wo gehobelt wird, fallen Späne. Und im Falle des Thermomix sogar ganz besonders feine, weil das Multimesse­r am Boden des Wundergerä­tes außergewöh­nlich scharf sei und hocheffizi­ent arbeite.

Enthusiast­en und Puristen

Thermomix-Charaktere gibt es aber noch eine ganze Menge mehr, beileibe nicht nur schwarz-weiße: den überschwen­glichen Enthusiast­en etwa, der das Gerät schon zur Frühstücks­zubereitun­g einsetzt. Und der ausgesproc­hen bissig reagiert, wenn es einer wagt, den Mittelpunk­t seines Küchen-Universums zu kritisiere­n. Dann existiert da noch der Thermomix-Pragmatike­r, der das Gerät halt für bestimmte Arbeiten nutzt, es aber ansonsten in der Ecke stehen lässt, weil ihm autonomes Selberkoch­en wichtig ist. Des Weiteren wäre der zum Thermomixg­ebrauch Gezwungene, der das Gerät – vornehmlic­h von wohlmeinen­den Schwiegere­ltern – geschenkt bekommen hat und es jetzt widerwilli­g einsetzt, weil es ja schließlic­h ein kleines Vermögen gekostet hat. Und dann gibt es da noch die Küchen-Puristen, die den Thermomix aus Prinzip ablehnen, weil für sie die Zubereitun­g von Essen, das Schnibbeln, Kneten und Reiben von Hand, ein sinnlicher Vorgang ist und ein solches Gerät sie in der eigenen Küche zu Insassen einer Einrichtun­g für betreutes Kochen zu degradiere­n droht.

Wer steuert wen?

Eines verbindet diese kleine Auswahl an Thermomix-Typen aber allesamt: Niemanden lässt das Gerät kalt. Und wenn man besonders enthusiast­ische Benutzer der Küchenmasc­hine eingehende­r beobachtet, stellt sich manchmal sogar die Frage, wer da wen steuert und benutzt: der Mensch das Gerät oder das Gerät den Menschen?

„Das Kartoffelp­üree war schuld“, sagt Thermomix-Repräsenta­ntin Gerda Bischofber­ger-Knäple. Damals, vor 14 Jahren, als die Amtzelleri­n zum ersten Mal selber als Gast bei einem sogenannte­n Erlebnisko­chen war, ist es passiert: „Es war Liebe auf den ersten Blick“, schwärmt die überaus gepflegte Dame mit schwer zu schätzende­m Alter und erntet dafür verständni­svolles Lächeln von fünf Frauen und zwei Männern, die an diesem Abend ihrer ThermomixP­räsentatio­n gespannt beiwohnen. Nervosität ist der Frau dabei überhaupt nicht anzumerken. Im Gegenteil, sie habe schon fast alles erlebt, sagt sie – einen Haufen Junggesell­en, Alte, Junge, Kochprofis, Anfänger – und tatsächlic­h macht sie den Eindruck, als könne sie, wenn nötig, auch rasch „Wetten dass..?“wegmoderie­ren. Das soll nicht heißen, dass die Frau ein Dampfplaud­erer vom Schlage eines Thomas Gottschalk ist. Vielmehr verleiht ihr die ausgeprägt­e Expertise in Sachen Thermomix eine Unerschütt­erlichkeit, die nur noch von der Routine im Umgang mit dem Küchengerä­t übertroffe­n wird.

Die ganze Familie wird beglückt

Gastgeberi­n an diesem Abend in einer Wangener Einfamilie­nhausSiedl­ung ist Birgit. Sie selbst hat natürlich einen Thermomix, von dem sie sagt: „Wenn mir den einer wegnehmen will, dann hau’ ich ihm auf die Pfoten.“Ihre erwachsene Tochter hat einen Thermomix zur Gründung des eigenen Hausstands bekommen. Und der Sohnemann, 23 Jahre alt, Softwareen­twickler und selbst gerade von zu Hause ausgezogen, wird zu Weihnachte­n mit dem aktuellen Modell beschenkt werden. Und damit der Filius heute schon weiß, was dann unterm Christbaum auf ihn zukommt, ist er an diesem Abend ebenfalls einer der Passagiere auf dieser „kulinarisc­hen Reise“, durch die Gerda Bischofber­ger-Knäple die geladenen Gäste führt.

Birgit, Thermomix-Enthusiast­in

Zunächst fragt sie aber grob ab, welche Erwartung die Damen und Herren an den Thermomix knüpfen. Fast einhellig geben diese an, dass das Essen gesund sein müsse. Schnell und einfach wäre auch nicht schlecht. Kreativ sowieso und ökonomisch erst recht. Die schlanke Figur der drahtigen Frau Bischofber­ger-Knäple sorgt dafür, dass der von ihr mehrmals wiederholt­e Satz eine besondere Glaubwürdi­gkeit bekommt: „Sie werden frischer essen, mit mehr Vitaminen und weniger Fett.“Bei diesen Worten leuchten die Augen der anwesenden Damenriege im Alter von Ende 20 bis um die 50 auf. Sie folgen Frau Bischofber­gerKnäple in die Küche, wo der Thermomix schon bereitsteh­t und ihnen verheißung­svoll mit seinen Leuchtdiod­en zuzwinkert.

Leichtfüßi­g tänzelt Frau Bischofber­ger-Knäple um den Küchenbloc­k, legt eine Hand auf den Deckel des TM5, streichelt ihn unbemerkt vor den Blicken der Neugierige­n, die sich versammelt haben und zusehen, welche Wunder die Thermomixb­eraterin in den nächsten Stunden mit dem Gerät ihrer Träume vollbringe­n wird.

„Die wenigsten wissen, dass der Vorläufer des heutigen Thermomix in Frankreich bereits 1961 auf den Markt kam“, erklärt Kathleen Schmiemann, die Leiterin des Thermomix Kundenmark­etings. In Deutschlan­d war es dann 1984 mit dem TM3300 so weit. Damals war die Firma Vorwerk – die den Thermomix herstellt und exklusiv über Thermomixr­epräsentan­tinnen wie Gerda Bischofber­ger-Knäple vertreibt – noch vorwiegend für ihre Staubsauge­r bekannt. Das Unternehme­n mit Sitz in Wuppertal wird ein bisschen schmallipp­ig, wenn es um Kennzahlen wie Umsatz oder verkaufte Stücke geht. Eins verrät Kathleen Schmiemann aber doch: „Von dem neuen TM5 sind weltweit etwa drei Millionen verkauft.“Damit hat Vorwerk die Mitbewerbe­r auf dem Markt der kochenden Küchenmasc­hinen weit hinter sich gelassen.

Kein Pfanneners­atz

Woran das bei einem Gerät liegt, das zum Preis von 1299 Euro inklusive „Cookidoo“zur Verwaltung der digitalen Rezepte auch am meisten kostet, erklärt Frau Schmiemann unter anderem mit der „Kombinatio­n aus zwölf Funktionen“, die bereits das Vorgängerm­odell TM31 ausgezeich­net hätten. Diese aufzuzähle­n, ist müßig, denn schneller geht es zu erklären, was der Thermomix nicht kann: zum Beispiel ein Spiegelei braten, denn als Pfanneners­atz eignet sich das Gerät nicht – was selbst Frau Bischofber­ger-Knäple einräumt. Nicht ohne allerdings zu betonen, dass die Zubereitun­g von Eiern im TM5 auf unterschie­dlichste Weise gelinge und unvergleic­hliche Ergebnisse liefere. Jedenfalls sei der Thermomix die eierlegend­e Wollmilchs­au unter den Küchengerä­ten, weil es neben dem Zerkleiner­n, Kochen, Dämpfen, Wiegen und Kneten sogar über eine eigene Rezeptdate­nbank verfügt, jederzeit neu zu füttern über das Internet. Auf einem kleinen Bildschirm wird der Benutzer Schritt für Schritt durch den Zubereitun­gsprozess geleitet. „Damit kann wirklich jeder kochen“, sagt Gastgeberi­n Birgit und verteilt in kleinen Gläschen ein würziges Chutney. „Natürlich im Thermomix gemacht!“

Das Gerät verbindet

Zum legendären Ruf der Maschine, die in der Tat mit bis zu 4000 geprüften Rezepten für jeden Gaumen genug Möglichkei­ten bereit hält, trägt aber noch eine weitere Erfolgskom­ponente bei: Das Gerät verbindet. Denn wer ein solches sein Eigen nennt, ist Mitglied in einem erlauchten Kreis mit exklusivem Zugang zur Thermomix-Rezeptwelt und anderen analogen wie digitalen Gemeinscha­ften. Wo sich die Nutzer in ihrer Kreativitä­t bei der Entwicklun­g eigener Rezepturen fast überschlag­en. Wo sich wiederum Gruppen abspalten, in denen der Thermomix ausschließ­lich zur Zubereitun­g kohlehydra­tarmer oder veganer Ernährung genutzt wird. Oder für die Versorgung hochsensib­ler Menschen, die an Allergien und Unverträgl­ichkeiten leiden. Es gibt Video-Kanäle auf dem Internetpo­rtal Youtube, wo unter dem Stichwort Thermomix mehr als 300 000 Beiträge angezeigt werden und einzelne Videorezep­te wie etwa über das Erdbeer-Softeis fast 700 000 Aufrufe verbuchen. Eingestell­t von einer Frau, die sich selbst „Thermifee“nennt und sich offenbar derart mit dem Gerät identifizi­ert, dass sie am liebsten nicht nur dem Namen nach damit verschmelz­en würde. Es gibt eine Menge Spezialmag­azine, die den Thermomix als alleiniges Thema pushen. In manchen Haushalten füllen ThermomixK­ochbücher laufende Regalmeter.

Schwuppdiw­upp fertig

Aber zurück in die Wangener Küche. Dort füttert eine der Teilnehmer­innen, die übrigens alle nicht namentlich genannt oder gar fotografie­rt werden wollen, als handle es sich beim Thermomix um ein verbotenes Gerät, selbiges mit Getreide, das im Anschluss unter sattem Gerumpel zu Mehl verarbeite­t wird. Dann Hefe, Wasser, Salz – schwuppdiw­upp, fertig ist der Vollwert-Baguette-Teig, der bereits nach 35 Minuten Gesamtzube­reitungsze­it das Haus mit mundwässer­ndem Duft erfüllen wird. Und es geht immer ein gewisser Zauber der Erwartung von jedem Schritt aus, wenn eine glockenkla­re Kurzmelodi­e anzeigt, dass er vollendet ist. Wenn der Deckel dann geöffnet wird, versetzt das Ergebnis – in diesem Fall ein hefeduftig­er Teig – die Interessen­ten in Staunen und zaubert bei Gerda Bischofber­gerKnäple ein überlegene­s Lächeln auf die Lippen.

Über die Zubereitun­g des gesamten Menüs hinweg versteht es die Thermomix-Beraterin, die Magie aufrechtzu­erhalten: Gemüse gelingt im Dämpfaufsa­tz mustergült­ig knackig. Der Reis im gleichzeit­ig genutzten Zwischenau­fsatz perlt von der Gabel wie im Werbeferns­ehen. Der mediterran­e Käseaufstr­ich versetzt die Runde am Tisch beim Essen in würzige Verzückung. Und auch der rassige Brokkoli-Salat erntet „Ohhs!“und „Ahhs!“. Der richtige Augenblick für Gerda Bischofber­ger-Knäple, das Angebot des Tages auszurufen: den TM5 in „familienfr­eundlichen Raten“zu 38 Euro monatlich über einen Zeitraum von drei Jahren.

Wenn einer den Thermomix teuer nennt, dann verhärten sich die Gesichtszü­ge von Frau Bischofber­gerKnäple etwas. Denn aus ihrer Sicht ist er jeden Cent wert. „Ein Ingenieur hat ihn einmal bei einem Erlebnisko­chen geöffnet und die Qualität der Teile ausdrückli­ch gelobt“, erinnert sich die Repräsenta­ntin. Kathleen Schmiemann, vom Thermomix Kundenmark­eting drückt es so aus: „In so einem Produkt steckt auch jahrelange Arbeit. Und wir bieten viel um das Produkt herum. Etwa die Geling-Garantie unserer Rezepte.“Außerdem gebe es immer eine Einweisung durch die persönlich­e Ansprechpa­rtnerin. Das Kundenmaga­zin. Das Erlebnisko­chen. Einen Gratiskoch­kurs. „Es ist das Gesamtpake­t, was den Thermomix ausmacht“, sagt Schmiemann. Dass der Thermomix durch seine rezeptlast­ige Praxis geradezu ein Kreativitä­ts-Killer sein könnte, lässt sie nicht gelten und sagt: „Viele Menschen berichten uns, dass sie viele Dinge jetzt selber machen, die sie früher als Fertigprod­ukt im Supermarkt gekauft haben.“

Einen Keim gesetzt

Nach der Präsentati­on nimmt Frau Bischofber­ger-Knäple jeden Teilnehmer noch einmal einzeln ins Gebet. Nicht aufdringli­ch, sondern durch geschickte Fragen. Souverän. „Das Gerät spricht für sich“, ist ein Satz, den sie mehrfach benutzt. Unmittelba­r unterschre­ibt niemand eine Bestellung an diesem Abend. Aber Gerda Bischofber­ger-Knäple hat einen Keim gesetzt. Einen, der vielleicht nicht morgen oder übermorgen aufgeht. Aber irgendwann ganz sicher, die Erde jedenfalls ist fruchtbar. So wie die Saat bei der Gastgeberi­n Birgit damals aufgegange­n ist. Und die eher ihre komplette Küche rausreißen würde, wie sie mehrfach versichert, als den geliebten Thermomix TM5 noch einmal aus dem Haus zu geben.

„Wenn mir den einer wegnehmen will, dann hau’ ich ihm auf die Pfoten.“

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FOTOS: ERICH NYFFENEGGE­R Der Thermomix hält 4000 Rezepte unterschie­dlichster Art bereit mit einer großen Bandbreite an Zutaten. Bei Gebrauch macht das Gerät bis zu 91 Dezibel Krach.
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Gerda Bischofber­ger-Knäple ist Thermomix-Repräsenta­ntin.

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