Eierlegende Wollmilchsau mit Buchmann
Bora-Hansgrohe schielt bei der Tour sowohl auf Sprintsiege als auf die Gesamtwertung
RAVENSBURG - Vor dem Start zu einer großen Rundfahrt wie der Tour de France (ab 1. Juli) sind die Aufgaben und Positionen in den RadTeams klar verteilt. Wenn eine Mannschaft eine gute Platzierung im Gesamtklassement erreichen will, dann sind ein Kapitän und seine Helfer nominiert, die diesen beschützen und bei Anstiegen möglichst lange begleiten sollen. Hat ein Team einen starken Sprinter in seinen Reihen, dann gehören überwiegend Rennfahrer zur Equipe, die diesen schnellen Mann für den Schlussspurt in eine gute Position bringen. So weit, so klar.
Schwierig wird es, wenn ein Team sowohl einen starken Fahrer fürs Gesamtklassement wie auch für Erfolge bei einzelnen Etappen hat. So wie das deutsche Team Bora-Hansgrohe. „Das Team wird die eierlegende Wollmilchsau spielen“, sagt HansMichael Holczer, der ehemalige Teamchef von Gerolsteiner und Katjuscha.
Auf der einen Seite gehört Rafael Majka zur Equipe. Der 27-jährige Pole, gerade Gesamtsieger bei der Slowenien-Rundfahrt, will in diesem Jahr Kurs aufs Podium nehmen. Drei Tour-Etappen hat der überragende Kletterer schon gewonnen. Eine davon 2015 in den Pyrenäen über den Tourmalet. Damals folgte ihm ein junger Deutscher: Emanuel Buchmann. Mit einem dritten Platz machte der Ravensburger, damals amtierender Deutscher Meister, gleich bei seinem Debüt auf sich aufmerksam.
In der Zwischenzeit hat der 24Jährige sich nicht nur gewaltig verbessert und auf einem höheren Niveau stabilisiert. Experten trauen ihm eine Platzierung in den Top 10 bei einer großen Rundfahrt zu – wenn er frei fahren darf. Am vergangenen Wochenende wurde er Vizemeister bei den nationalen Meisterschaften in Chemnitz, ließ seinem Teamkollegen Markus Burghardt bei dessen Heimauftritt die Vorfahrt. „Emu ist super für mich gefahren. Er hat mir extrem geholfen, den Sieg hier zu feiern“, bedankte sich der Meister. Seine neue Stärke zeigte Buchmann auch im Mai beim Criterium du Dauphiné, als er im Endklassement das weiße Trikot des besten Jungprofis gewann und bei allen Bergankünften vorne mit dabei war. „Bester Jungprofi gegen so starke Konkurrenten zu sein ist sehr schön so kurz vor der Tour“, sagte er, „bei der Tour habe ich das Weiße Trikot eigentlich nicht im Blick, dort fahre ich für Rafael Majka.“
Denn der ist sein Teamkollege. Und Kapitän. Trotzdem sind eigene Ambitionen, so sich die Möglichkeiten bieten, für Buchmann nicht gänzlich ausgeschlossen.
Andererseits trägt aber auch Peter Sagan das schwarze Trikot mit den weißen Flanken. Der Slowake ist als zweimaliger Weltmeister der absolute Superstar. „Er kann eine Etappe abstauben, weil er phänomenal sprinten kann“, beschreibt Holczer die Fähigkeiten des schnellen Mannes mit dem Zöpfchen, „der kann aber auch die Gefährten in einer Fluchtgruppe stehen lassen.“Sieben Tour-Etappen hat Sagan schon für sich entschieden, fünfmal hintereinander das Grüne Trikot des besten Sprinters behauptet. Trotzdem ist die Grundabsicherung für einen Sprinter personalaufwändig. Er benötigt einen sogenannten Anfahrerzug mit mindestens zwei, besser drei kräftigen Radlern. „Man braucht Leute, die im Finale um die 1000 Watt drücken können“, erklärt Holczer, „und der Kandidat selber muss etwa 1200 bis 1250 Watt auf den letzten 15 Sekunden aufs Pedal bekommen.“
Bora-Manager Ralph Denk steckt nun in einem Dilemma. Gesamtklassement oder Etappensiege? „Das sind die beiden Richtungen: Sprinter mit einem Beipack oder die Klassement-Mannschaften“, erläutert Holczer, „für das Klassement braucht man bei drei Wochen Tour de France jeden Fahrer.“Er denkt zurück an die Zeiten des Team Telekom mit Jan Ullrich und Erik Zabel. Damals gab es zwei Lager. Die einen unterstützten Ullrich in dessen Mühen ums Gelbe Trikot, die anderen fuhren für Zabel im Schlussspurt an. Lediglich 1997 bekam jeder sein Trikot: Ullrich das Gelbe und Zabel das Grüne. Doch das ist die Ausnahme. Statt sowohl – als auch heißt im Normalfall vor einem Tour-Start die Marschrichtung: Entweder – oder.