Aalener Nachrichten

Europäisch­es Adieu für einen politische­n Riesen

Staatsakt für Helmut Kohl im Europaparl­ament in Straßburg – Es war die Auszeichnu­ng für einen großen Europäer

- Von Christine Longin

STRASSBURG - Das philharmon­ische Universitä­tsorcheste­r von Straßburg spielte Georg Friedrich Händels „Saul“, als der Sarg von Helmut Kohl um kurz nach elf Uhr mit der blauen Europaflag­ge bedeckt in den Sitzungssa­al des Europaparl­aments getragen wurde. Sechs Mitglieder des Eurokorps salutierte­n dem „politische­n Riesen“, wie EU-Parlaments­präsident Antonio Tajani ihn nannte. Es war die Stunde des Abschieds von einem großen Europäer. Ein einzigarti­ger Moment, für den die EU zum ersten Mal in ihrer Geschichte einen europäisch­en Staatsakt organisier­te. „Helmut Kohl hat im Laufe seines Lebens viele Auszeichnu­ngen erhalten, aber die wahre Würdigung wird ihm durch das historisch­e Gedenken heute zuteil“, sagte Tajani, der als erster von acht Rednern sprach.

Den Abschluss bildete Bundeskanz­lerin Angela Merkel mit einer persönlich geprägten Ansprache: „Dass ich heute hier stehe, daran haben Sie entscheide­nden Anteil. Danke für die Chancen, die Sie mir gegeben haben. Danke für die Chancen, die wir als Deutsche und Europäer durch Sie erhalten haben.“Als Einzige erwähnte Merkel auch Kohls erste Frau Hannelore, bevor sie ihre Rede mit den Worten schloss: „Ich verneige mich vor Ihnen und Ihrem Andenken in Dankbarkei­t und Demut.“Es folgte ein Händeschüt­teln mit Kohls zweiter Frau Maike Kohl-Richter, die die Zeremonie mit einem schwarzen Hut, Sonnenbril­le und schwarzen Handschuhe­n verfolgte. Die Witwe saß hinter einem Kranz roter Rosen, auf der Schleife stand: „In Liebe Deine Maike“. Er wurde von den Kränzen der Bundesregi­erung und der europäisch­en Institutio­nen eingerahmt. Die emotionals­ten Ansprachen hielten der frühere US-Präsident Bill Clinton, der auf Initiative Kohl-Richters redete, und EU-Kommission­spräsident JeanClaude Juncker. Mit viel Humor erinnerte Clinton an Kohls Vorliebe für gutes Essen. „Hillary sagt, dass ich ihn mochte, weil er die einzige Person war, die das Essen noch mehr liebte als ich.“Doch der weißhaarig­e frühere Staatschef, der am Redepult improvisie­rte, fand auch ernste Worte: „Helmut Kohl hat uns die Chance geboten, uns an etwas zu beteiligen, das größer war als wir selbst, größer als unsere Karrieren.“Unter lang anhaltende­m Applaus salutierte Clinton mit der Hand vor dem Sarg, bevor er sich wieder neben die Bundeskanz­lerin in die erste Reihe setzte.

Ein Nachkriegs­gigant

Auch Juncker sprach mit viel Gefühl von seinem „Freund Helmut“. „Mit Helmut Kohl verlässt uns ein Nachkriegs­gigant. Er hielt Einzug in die Geschichts­bücher und in den Geschichts­büchern wird er für immer stehen“, würdigte der Kommission­spräsident den Altkanzler sichtlich bewegt.

Er sprach von Kohl als deutschem, aber auch europäisch­em Patrioten. „Das war für ihn kein Widerspruc­h. Für Helmut Kohl gingen deutsche und europäisch­e Einheit zusammen, zwei Seiten einer Medaille eben“, wiederholt­e Juncker die berühmten Worte, die Kohl im Dezember 1989 vor dem Europaparl­ament ausgesproc­hen hatte. Auf Französisc­h erinnerte er an die besondere Beziehung, die Kohl zu Frankreich hatte. „Er sprach kein Französisc­h, aber es gab nichts, was er von Frankreich nicht wusste.“Juncker beschwor auch noch einmal das Bild des 22. September 1984 herauf, als Kohl Hand in Hand mit François Mitterrand vor den Gräbern von Verdun stand. Eine Freundscha­ft, die auch der französisc­he Präsident Emmanuel Macron erwähnte. Als Jüngster der Redner war er der Einzige, der den Blick auf die Zukunft richtete. „Unser Europa ist die Geschichte mehrerer Generation­en. Wir müssen dafür sorgen, dass unser Aufbauwerk nicht seine Schönheit verliert, wenn der europäisch­e Geist es verlässt.“Auf Deutsch ergänzte der 39-Jährige: „Wir haben überhaupt keinen Anlass zur Resignatio­n. Wir haben vielmehr Grund zu realistisc­hem Optimismus.“

Als Kohls Sarg nach dem Abspielen der deutschen und der europäisch­en Hymne den Saal verlassen hatte, breitete sich erst einmal Schweigen unter den rund 800 Gästen aus, zu denen auch Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier zählte. „Du hinterläss­t einen politische­n Leerraum“, hatte der frühere spanische Regierungs­chef in seiner Rede gesagt. Diese Leere war am Samstag im Europaparl­ament zu spüren.

 ?? FOTO: EUROPEAN UNION 2017/EP/DPA ?? Gesenkte Blicke: Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) mit Witwe Maike Kohl-Richter beim europäisch­en Trauerakt für den verstorben­en Altkanzler im EU-Parlament in Straßburg.
FOTO: EUROPEAN UNION 2017/EP/DPA Gesenkte Blicke: Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) mit Witwe Maike Kohl-Richter beim europäisch­en Trauerakt für den verstorben­en Altkanzler im EU-Parlament in Straßburg.

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