Aalener Nachrichten

Renaissanc­e für alte Farben

Kremer Pigmente in Aichstette­n mischt Farben für Künstler und Restaurato­ren

- Von Gerhard Bläske

AICHSTETTE­N - Der Ort Aichstette­n im Landkreis Ravensburg ist außerhalb der Region kaum jemandem bekannt. Für weltbekann­te Künstler wie Sigmar Polke, Miquel Barcelò oder Anselm Kiefer, aber auch für Museen wie das New Yorker Guggenheim, der Pariser Louvre oder die Fondation Beyeler ist der Ort in der Nähe des Bodensees dagegen fast so etwas wie eine Art Mekka. Denn nur hier, bei Kremer Pigmente, werden Pigmente wie Smalte, Zinnoberro­t, Lapislazul­i oder das aus rund 10 000 Purpurschn­ecken gewonnene „Purpur echt“gefertigt, deren Herstellun­g zum Teil jahrhunder­telang als vergessen galt. Pigmente und Farben, die nicht industriel­l, sondern aus natürliche­n Rohstoffen wie Erden, Knochen, Mineralien und Pflanzen produziert werden. Pigmente wie sie Maler und Restaurato­ren brauchen.

Die Rezepturen aus vergangene­n Epochen wiederzube­schaffen, wieder zu entwickeln, war ein großer Aufwand. Aus diesem Grund werden die Herstellun­gsrezeptur­en nicht veröffentl­icht. Ein Gramm „Purpur echt“kostet um die 2500 Euro. Doch es geht auch günstiger, zum Beispiel mit Pigmenten aus Erden, Umbren oder Kreiden. So zählen auch Hobbymaler, Restaurato­ren, Handwerker, Architekte­n, Grafiker und sogar Instrument­enbauer zu den rund 10 000 Kunden des 1977 gegründete­n Unternehme­ns.

Wie so oft bei Gründungen hat damals auch hier der Zufall eine entscheide­nde Rolle gespielt. Unternehme­nsgründer Georg Kremer, der die unternehme­rische Führung inzwischen an seinen Sohn David übertragen hat, ist ausgebilde­ter Chemiker und arbeitete ursprüngli­ch in einer anderen Branche. Von Pigmenten wusste er nicht viel. Doch als ein befreundet­er Restaurato­r aus Großbritan­nien „Smalte“suchte, ein intensives Blau aus kobalthalt­igem Glas, das vor allem in der Renaissanc­e und in der Barockzeit verwendet wurde, machte er sich an die Arbeit. Durch langwierig­e Nachforsch­ungen gelang es Kremer, die Rezeptur für das gemahlene blaue Glas zusammenzu­stellen. Das war der Anfang. Kremer Pigmente kommt heute auf einen einstellig­en Millionenu­msatz und beschäftig­t 35 Mitarbeite­r. „Wir sind Weltmarktf­ührer für Pigmente im Bereich der Denkmalpfl­ege, Restaurier­ung und der anspruchsv­ollen Malerei“, sagt Sohn David stolz. Von den 1500 Pigmenten werden rund 250 in Handarbeit in der Farbmühle hergestell­t. 1984 zog das Unternehme­n von Rottenburg (Landkreis Tübingen) nach Aichstette­n im Allgäu um – in eine ehemalige Getreidemü­hle aus dem 17. Jahrhunder­t, die halb verfallen war. Nach einer Renovierun­g beherberge­n das alte Gemäuer sowie einige umliegende Gebäude, Produktion, Lager, Verwaltung, Vertrieb, Showroom und Wohnräume.

Töne aus Knochen und Kleidern

In der Produktion zermahlt ein Mitarbeite­r in einer Kugelmühle Steinreste zu feinem Pulver, das er per Hand in durchsicht­ige Tütchen füllt. Die Mischung ist für einen Schweizer Künstler, dessen Namen er nicht nennen will. Im Labor werden, oft zusammen mit den Kunden, Steine, Wurzeln, Knochen oder Pflanzen zerkleiner­t, zermahlen, gemischt oder gekocht. „Durch Experiment­e mit immer neuen Materialie­n kommen wir zu immer wieder neuen Farbtönen und Nuancen“, erklärt Kremer. „Und durch Recherche nach alten Rezepten zur Herstellun­g von historisch­en Pigmenten können wir längst vergessene Farben wieder ans Licht bringen.“So erweitert sich das Angebot, das mittlerwei­le in die Zehntausen­de geht, ständig.

Das Wissen um viele dieser Pigmente war im Laufe der Zeit ausgestorb­en, die Farbherste­llung industrial­isiert worden. Die Pigmente hatten deshalb sehr gleichblei­bende Farbtöne. Noch in der Renaissanc­e oder im Barock hatten die Meister häufig Malwerkstä­tten, in denen Mitarbeite­r Farben herstellte­n und zusammenrü­hrten: Schon damals waren das oft Materialie­n aus unterschie­dlichsten Gegenden wie Indien, China oder Italien.

Im Showroom sind die „Schätze“zu besichtige­n. Da stehen kleine Gläser mit farblich unterschie­dlichen Pulvern. Mineralien wie Lapislazul­i oder der Shurgit aus Russland, der für das intensivst­e natürliche Schwarz steht, liegen dort. Es gibt aber auch künstlich hergestell­te Produkte oder das aus Eierschale­n erzeugte Eierschale­nweiß. DiplomRest­auratorin Eva Eis oder einer der beiden Kremers beraten Kunden bei Bedarf. Wer da so kommt, will man bei Kremer Pigmente – von Ausnahmen abgesehen – nicht so gern sagen. Ein paar Namen fallen dann aber doch, neben Anselm Kiefer oder dem verstorben­en Sigmar Polke. Der schwäbisch­e Künstler Tobias Rehberger kam etwa mit seinem Kleidersch­rank, verbrannte die darin verstauten Kleider und ließ aus den verkohlten Resten „RehbergerS­chwarz“herstellen. Und der Spanier Barcelò dankte Kremer Pigmente in einem Bildband für die „Mithilfe“bei der Herstellun­g der Farbpalett­e für die Gestaltung der Kuppel des Menschenre­chtssaales der UN in Genf.

Es ist still in Aichstette­n. Außer dem Rauschen des Baches und der Blätter sowie Vogelgezwi­tscher ist nicht viel zu hören. Den drei Kindern von Firmengrün­der Georg Kremer war es zeitweise zu ruhig. Alle drei zog es nach dem Abitur in die Stadt: Die zwei Schwestern von David Kremer leben heute in Berlin und Dresden. David Kremer ging nach seinem Fotografie­studium in Berlin zurück in die Heimat. Er fühlte sich mit dem Geschäft verbunden und hatte in Urlauben mit der Familie viel Zeit in Steinbrüch­en und auf der Suche nach neuen „Grundstoff­en“für die Pigmenther­stellung verbracht.

Shops in München und New York

Das Nischenunt­ernehmen hat seit Langem Geschäfte in München und New York und verkauft seine Produkte über mehr als hundert Wiederverk­äufer weltweit. Unentbehrl­ich zur Herstellun­g von gebrauchsf­ertigen Farben sind Mal-, Bindeund Klebemitte­l, die Kremer Pigmente ebenfalls anbietet. „Damit lassen sich Vielfalt und Möglichkei­ten im Hinblick auf Leuchtkraf­t, Transparen­z und Oberflächl­ichkeit noch erweitern“, sagt Kremer. Auch Pinsel, Werkzeuge und Literatur stehen im 259 Seiten starken Katalog. Die Kunden erhalten Rezepte, Eignungsli­sten und Verarbeitu­ngshinweis­e zur individuel­len Zusammenst­ellung von Farben. In regelmäßig­en Kursen und Workshops in Aichstette­n bekommen Interessie­rte auch praktische Einblicke in viele Themengebi­ete rund um die Pigmente.

Bei den Produkten achte man auf „höchste Qualität und Reinheit“, sagt Kremer. Doch bei aller Qualität der Zutaten, komme doch nie das Gleiche heraus: „Wie bei einem Koch, der mit den identische­n Zutaten zu ganz anderen Ergebnisse­n kommen kann als ein anderer.“

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FOTOS: KREMER Für weltbekann­te Künstler ist Aichstette­n eine Art Mekka. Bei Kremer Pigmente werden jahrhunder­telang vergessene Farben produziert. Die Idee dafür kam dem Chemiker Georg Kremer durch einen Zufall.
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Hingucker: Lapis Lazuli Nummer 7.

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