Die Konkurrenz wächst
Münchner Filmfest setzt auf deutsche Produktionen – „Sommerhäuser“ausgezeichnet
MÜNCHEN - Kaum internationale Weltpremieren, dafür viele deutsche Produktionen – und die unvermeidlichen Serien: Am Samstag ist das Filmfest München zu Ende gegangen. Es muss kämpfen um seinen Platz im deutschen Festival-Ranking.
Mit 81 500 verkauften Eintrittskarten nach zehn Tagen und rund 180 Filmen meldet das Festival keinen Rekord, liegt aber etwa auf Vorjahresniveau. Und doch gibt es eine andere Ziffer, die die Festivalmacher ärgern dürfte: Es ist nur noch die Nummer 3 nach der Berlinale (die in einer eigenen Liga spielt) und nun auch nach dem Festival des deutschen Films in Ludwigshafen, das mittlerweile sechsstellige Zahlen meldet. Das tut weh.
Und wird wohl auch Diskussionen auslösen: Woran liegt’s? Vielleicht am wenigsten an den Filmen. Festivalleiterin Diana Iljine hat so viele und interessante Cannes-Teilnehmer wie selten zuvor nach München geholt (Haneke, Coppola, Swjaginzew, Losniza, Hazanavicius, Desplechin), mit Bryan Cranston („Breaking Bad“), Nastassja Kinski, Sofia Coppola oder Bill Nighy Weltstars zu Gast, versucht, mehr weibliche und mehr junge Akzente zu setzen.
Gleichzeitig sind aber auch potente Sponsoren abgesprungen und vor allem: Die Konkurrenz wächst. Nicht nur durch die weltweit steigende Zahl anderer Filmfestivals, auch die vor Ort: Opernfestival, Tollwood, das neue Kunstareal-Festival am ersten Filmfest-Wochenende und viele andere sogenannte Events mehr. Und: Anspruchsvolles Kino hat es in Deutschland auch sonst zunehmend schwer.
Grisebachs „Western“ist keiner
Der deutsche Film setzt in München stets einen Schwerpunkt: Fernsehen, Produktionsfirmen, die Filmhochschule, die zunehmend ins Festival eingebunden wird – das Filmfest ist da auch eine Leistungsschau. Aus Cannes kam Valeska Grisebachs „Western“über deutsche Bauarbeiter, die in Bulgarien ein Kraftwerk hochziehen sollen, aber vor allem auf Kies warten und ihre Kommunikationsprobleme mit der einheimischen Bevölkerung haben. Ja, es kommt ein (einzelnes!) Pferd vor, ja, es gibt pittoreske Landschaften und, ja, kernige Männergesichter. Aber sonst erschließt sich dem Zuschauer die Western-Analogie des Titels nicht, und man fragt sich unwillkürlich, welche Western die Regisseurin in ihrem Leben gesehen hat.
Wie anders dagegen „Sommerhäuser“von Sonja Maria Kröner, der zwei verdiente Förderpreise (Regie, Produktion) erhalten hat: Eine beklemmend-realistische Folge von Familien-Szenen aus dem heißen Sommer 1976, ohne durchgehende Geschichte, aber mit viel Sinn für Absurdität und leiser Komik.
Eine Zeitreise ist auch die Verfilmung von Sven Regeners Roman „Magical Mystery oder: die Rückkehr des Karl Schmidt“von Arne Feldhusen („Stromberg“, „Tatortreiniger“): großartige Schauspieler wie Charly Hübner als eben jener Karl Schmidt, der in den 90er-Jahren eine borderlinige Truppe von Techno-DJs durchs Land kutschiert (Kinostart im Herbst).
Aktuelle Politik, Zeitgeschichte kommen im München-Jahrgang ’17 des deutschen Films kaum vor. In Ken Dukens „Berlin Falling“ist der Afghanistan-Krieg nur äußerer Anlass für einen überdrehten Thriller um einen verrückten Bombenleger, in „Fremde Tochter“geht es um ein Mädchen aus prekärem Milieu, das sich in einen Muslim verliebt und zwischen kulturelle Fronten gerät. Ansonsten aber: viele Beziehungsgeschichten, viel Privates, manchmal immerhin originell aufbereitet wie „Zwei im falschen Film“mit Laura Tonke und Marc Hosemann. Dazu einiges an wenig überzeugendem Genrekino wie „Luna“, in dem eine 17-Jährige von russischen Killern verfolgt wird, weil ihr Vater als Verräter gilt, oder „Detour“, in dem Lars Rudolph einmal mehr den Verrückten spielt – diesmal in der Variante „Autobahnkiller“.
Schönste Komödie des Jahres
Doch natürlich birgt ein Festival Entdeckungen und Überraschungen: „Paris barfuß“ist bislang die schönste Komödie des Jahres (Kinostart im September), gedreht und gespielt von einem kanadisch-belgischen Duo in der Tradition von Buster Keaton und Jacques Tati, mit der wundervollen, im Januar gestorbenen Emmanuelle Riva („Amour“) in ihrer letzten Rolle.
In „Das ist unser Land!“zeigt Lucas Belvaux die Rattenfänger-Methoden des Front National in Frankreich exemplarisch auf – ein Film, schnell produziert, damit er vor der Präsidentschaftswahl in die französischen Kinos kommen konnte. Das gelang zwei Wochen vor dem Wahltermin und dürfte Frau Le Pen nicht erfreut haben. Oder „The Nile Hilton Affair“, in dem ein nur wenig korrupter Bulle einen Mord im Kairo des Jahres 2011, unmittelbar vor den Unruhen auf dem Tahrir-Platz, aufklären soll – und merkt, dass er in ein Haifischbecken eingetaucht ist. Gedreht werden konnte der Film nicht in Kairo: zu gefährlich. Und Regisseur Tarik Saleh, der in Schweden lebt, kann bis heute nicht nach Ägypten einreisen, weil auf ihn ein Kopfgeld ausgesetzt ist. Das relativiert manchen anderen Film, der wichtig daher kommt, doch erheblich.