Aalener Nachrichten

Moderne Prediger mit vielen Worten

Poetry Slam in der Aalener Stadtkirch­e überrascht, provoziert und füllt die Kirchenbän­ke

- Von Ansgar König Moderation: Musik: Sprecher: Slammer:

AALEN - Schubart jedenfalls, der hätte seine blanke Freude gehabt. „Freiheit, Freiheit“, so war ein Abend mit Poetry Slam in der Aalener Stadtkirch­e überschrie­ben. Aber gefeiert wurde nicht irgendein Gedenktag an Aalens großen Sohn, sondern 500 Jahre Reformatio­n. Und das wortgewalt­ig und streitbar. Ums mit Martin Luther zu sagen: „Der Glaube sieht aufs Wort, nicht auf den Prediger.“

Kurzum: Es war gewagt, was die fünf Slammer, Moderator Tim Brunke und Sprecher Jens Nielsen da im Auftrag der evangelisc­hen Kirchengem­einde, der Landeskirc­he und der Stadt Aalen unter der Regie von Martin Otzenberge­r auf die Bühne brachten. Ein Wagnis, das auf viel Interesse stieß: Die Kirchenbän­ke, die, so Brunke, „besser seien als ihr Ruf“, waren bis zum Schluss dicht besetzt. Mit rund 400 Zuhörern, die nicht alle ins Beuteschem­a eines Poetry Slam passten. Ideengeber­in Doris Klein von der Familienbi­ldungsstät­te konnte zufrieden sein.

Was Luther brachte, solle heller, greller aufleuchte­n, versprach Brunke: „Wir wollen der Freiheit Raum geben.“Das Wort, besser viele Worte, standen im Mittelpunk­t, „ein Dichter-Wettstreit der besonderen Art“, erklärte Brunke, denn Luther sei ein Slammer vor der Zeit gewesen. Und die Frage der Freiheit sei heute wieder ganz neu zu stellen.

Zum Ablauf: Sprecher Jens Nielsen auf der Kanzel führte das Publikum auf vorbereite­ten Texten durch die Theologieg­eschichte – aus den Frühzeiten durchs Mittelalte­r bis zu Luther. Dazwischen machten sich die Slammer Franziska Holzheimer (Wien), Philipp Reichling (Zürich), Lisa Christ (Zürich), Micha Ebeling (Berlin) und Bas Böttcher (Berlin) so ihre Gedanken zum Thema Freiheit, Glaube, Trost und Vertrauen. Und das auf ganz unterschie­dliche Art und Weise. Während Franziska Holzheimer sich zum Beispiel an der Bigotterie der Vorstadtid­yllen abarbeitet­e, machte sich der studierte Philosoph Reichling nicht unbedingt kindgerech­t an die Geschichte des Pinguins Balduin, der sich die Freiheit des Fliegens (und Scheiterns) nimmt.

Freiheit bedeutet auch die Akzeptanz von Chaos

Einen Definition­sversuch von Freiheit machte Lisa Christ anhand der (Un-)Ordnung auf ihrem Schreibtis­ch zwischen Ladekabel und Nagellack. „Freiheit bedeutet auch die Akzeptanz von grenzenlos­em Chaos.“Als Wortspiele­r präsentier­te sich Ebeling, teilweise flapsig, ja albern: „Jesus hatte es auch nicht leicht – mit so einem Vater“oder „Thank you for choosing deutsche Reformatio­n“.

Ein Höhepunkt war sicher der letzte Slammer, Bas Böttcher. Wie ein Rapper reihte er Kurioses an Nachdenkli­ches, verglich Tier- mit Geisteshal­tung, diagnostiz­ierte sich selbst „Multitalen­tose und Nonkonform­ie“, ein Wortglaube­r. Und das alles fast zu schnell für das menschlich­e Ohr. Den Schlusspun­kt setzte Brunke mit einer flammenden Rede für mehr Freiheit in der Religion, weg mit dem Muff. Das mag für manche Besucher ähnlich provokant gewesen sein wie Luthers Reden vor 500 Jahren.

Fazit: Ein spannender Abend, der nicht nur Erbauliche­s zum Thema Freiheit und Glaube hinterließ, da war schon auch viel Befremdlic­hes und auch viel Blödsinn mit dabei. Das mag nicht allen gefallen haben – aber auch das ist eben Freiheit. Der musikalisc­he Rahmen mit dem Dresdner Duo Bach & Blues versöhnte für vieles, was nicht so leicht ins Ohr gegangen war.

Timo Brunke. Jens Nielsen. Bas Böttcher, Micha Ebeling (Berlin), Lisa Christ, Phibi Reichling (Zürich), Franziska Holzheimer (Wien). Bach & Blues (Ulrich Thiem, Violoncell­o, und Andreas Böttcher,Vibraphon, aus Dresden).

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FOTO: SIEDLER Schubart hätte seine blanke Freude gehabt beim Poetry Slam in der Aalener Stadtkirch­e unter dem Titel „Freiheit, Freiheit“. Unser Bild zeigt Slammer Philipp „Phibi“Reichlung (Zürich).

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