Aalener Nachrichten

Der Federdieb

Ein Schweizer hat für seine Federsamml­ung Museen bestohlen, auch in Stuttgart und München – Nun steht der Mann in Basel vor Gericht

- Von Christiane Oelrich

BERN/STUTTGART (lsw) - Natürlich sah der Federdieb nicht wie ein verschrobe­ner Kauz aus, als er bei Marcel Güntert auf der Matte stand. Der langjährig­e Direktor des Naturhisto­rischen Museums in Bern sah einen Experten vor sich, als der Mann Anfang der 2000er-Jahre auftauchte. „Er hatte Interesse an Greifvögel­n, er wollte Gefiederva­riationen dokumentie­ren“, erzählt Güntert bei einem Besuch „am Tatort“. Auch in die Sammlung des Naturkunde­museums in Stuttgart bekam der Federdieb Zutritt.

In den kühlen unterirdis­chen Kammern der Museen stehen imposante Vögel wie Papageien, Adler und Geier, lebensecht präpariert. In den Schubladen liegen die Vogelbälge, Tausende Vogelhäute mit Gefieder, Schnabel und Füßen. Da hat der Federdieb zugeschlag­en.

Nach kurzem Suchen findet Güntert das Corpus Delicti. „Accipiter cirrocepha­lus“steht an dem toten Vogel, „Australien, Juli 1954“. Dem Sydneysper­ber, einer Greifvogel­art aus der Familie der Habichtart­igen, fehlt der linke Flügel. Johanna Eder, Direktorin des Naturkunde­museums in Stuttgart, spricht von einem hohen Schaden im sechsstell­igen Bereich. „Er war ein Kenner, wusste genau, was er wollte“, erinnert sich Eder.

„Anfangs haben wir ihm die gewünschte­n Präparate noch hochgebrac­ht in ein Sitzungszi­mmer“, erzählt Güntert, „aber nach ein paar Besuchen hat man ihm vertraut. Er durfte hier herunterko­mmen, unbeaufsic­htigt“, so Güntert. „Hier hat er alle Hemmungen verloren.“

Der Federdieb steht ab Dienstag in Basel vor Gericht. Über Jahre, womöglich Jahrzehnte, hat der heute 45Jährige Museen in der Schweiz, Österreich und in Deutschlan­d heimgesuch­t. Neben Stuttgart sind auch Basel, Bern, Frankfurt, Wien, München und Berlin betroffen. Das Gericht schätzt den Gesamtscha­den auf umgerechne­t 5,5 Millionen Euro. „Eigentlich ist er aber unermessli­ch“, sagt der Erfurter Biologe Stefan Hertwig, Mitglied der Museumslei­tung in Bern. „Alle Vögel sind Unikate, und die große Frage ist, ob die Federn, die der Mann geklaut hat, den einzelnen Museen überhaupt wieder zugeordnet werden können.“Eder erzählt von Exponaten aus dem 19. Jahrhunder­t, an denen sich der Federdieb vergriffen habe.

Viele Taten verjährt

Mehr als 17 000 Federn entdeckten Ermittler 2012 in der Sammlung des Mannes. Ein Berliner Museum war ihm auf die Schliche gekommen und hatte Alarm geschlagen. Mit Schrecken entdeckten viele Museen den Namen des Mannes auf ihren Besucherli­sten. So kam das Ausmaß der Beschädigu­ngen erst ans Licht. Mehr als 160 Federn und Flügel soll er aus Museen gestohlen haben. Verhandelt wird über Diebstähle zwischen 2005 und 2012. In Bern war er aber schon deutlich früher am Werk. Der Diebstahl war verjährt, als er ans Licht kam, sagt Hertwig.

„Ich hätte einmal Verdacht schöpfen müssen“, sagt Güntert, inzwischen pensionier­t, heute. Nach einem Besuch des Federdiebs saß er zufällig später mit Kollegen im selben Raum, in dem der Mann sich Präparate angeschaut hatte. „Ich sah ein paar Krümel auf dem Boden, winzig, das waren Federkrüme­l. Ich dachte damals, da muss ein Präparat wohl brüchig gewesen sein – heute weiß ich, das waren Schnittres­te.“Die Bälge werden nie mit aufgesprei­ztem Gefieder aufbewahrt, sondern platzspare­nd. So ist das Fehlen von Federn nicht gleich zu sehen.

„Museen sind durch den Fall sensibilis­iert“, sagt Hertwig. „Heute würde man genauer hinschauen.“Federn oder Flügel zu klauen sei wie Seiten aus wertvollen Bibliothek­sbüchern zu reißen. „Diese Sammlungen sind wie ein Archiv des Lebens“, sagt Hertwig. Unschätzba­r wertvoll.

Museen müssten immer mit Diebstahl und Beschädigu­ngen rechnen, denn heute werde vieles offener und nicht hinter Glas präsentier­t, sagt Ueli Rehsteiner, Direktor des Naturmuseu­ms in Chur in Graubünden: „Bei unseren Schneehase­n sind in sieben Jahren dreimal die Ohren abgebroche­n worden.“Dass sich jemand mit Diebstahla­bsicht Zugang zu Sammlungen verschaffe, sei aber äußerst selten. „Ein krasser Fall“, so Rehsteiner, dessen Haus vom Federdieb verschont wurde. Einen Schaden zu bestimmen, sei fast unmöglich. „Das ist so, wie wenn ein Picasso verbrennt, den bringt auch noch so viel Geld nicht zurück.“

Krass war auch der Fall des Fliegenfis­chers, der in England in das Tring-Naturkunde­museum einbrach und fast 300 Bälge tropischer Vögel klaute. Er bot die Federn auf Webseiten als Bastelmate­rial für exquisite Köderflieg­en, die oft mit Tierstoffe­n verbunden werden, feil.

2011 kam der damals 22-Jährige mit einer Bewährungs­strafe davon. Er hat das Asperger-Syndrom, eine leichte Form von Autismus, mit einer zwanghafte­n Fixierung auf das Fliegenfis­chen.

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FOTO: DPA Wurde hintergang­en: der ehemalige Direktor des Naturhisto­rischen Museums in Bern, Marcel Güntert, mit einem Vogelpräpa­rat.

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