Sonderermittler sieht Versagen der Behörden im Fall Amri
Später sollen Beamte des Berliner Landeskriminalamts Versäumnisse vertuscht haben
BERLIN (AFP) - Durch Versäumnisse des Berliner Landeskriminalamts (LKA) ist eine frühzeitige Festnahme des späteren Weihnachtsmarkt-Attentäters Anis Amri möglicherweise verhindert worden. Das sagte der vom Berliner Senat beauftragte Sonderermittler zum Anschlag vom 19. Dezember 2016, Bruno Jost, am Montag im Abgeordnetenhaus bei der Vorstellung seines Zwischenberichts. Demnach habe es Erkenntnisse über den Drogenhandel Amris gegeben. Später hätten die Behörden versucht, dieses Versagen durch Unterlagenfälschung zu verschleiern.
Jost belastete insbesondere den Kriminaloberkommissar L. von der für Staatsschutz zuständigen LKAAbteilung 5. Dieser habe seit August 2016 den Auftrag gehabt, Erkenntnisse aus der Überwachung Amris zu dessen Drogenhandel zusammenzufassen und eine Strafanzeige zu erstellen. „Eine rechtzeitige und vollständige Unterrichtung der Staatsanwaltschaft erfolgte jedoch nicht“, sagte Jost. Die Staatsschutzobservation Amris war im Juli mangels Erkenntnissen und ausreichenden Personals eingestellt worden. Im September endete auch die Überwachung Amris. Wie Jost berichtete, hätte die Staatsanwaltschaft mit den Erkenntnissen der Staatsschützer einen Haftbefehl erlassen oder eine fortgesetzte Überwachung Amris eingeleitet. Demnach handelte Amri mit erheblich größeren Mengen Drogen als bekannt.
Aus den Unterlagen ergab sich für Jost, dass das zuständige Kommissariat erst mehrere Wochen nach der Vereinbarung vom August einen Bericht erstellte. Die von der Kriminalkommissarin W. auf zehn Seiten zusammengefassten Erkenntnisse wurden demnach am 4. November im Polizeisystem Poliks abgelegt.
W. sei darin nach Rücksprache mit Rauschgiftermittlern zu dem Schluss gekommen, dass Amri dringend des gewerbsmäßigen und bandenmäßigen Drogenhandels verdächtig sei. Doch nach Erstellung des Berichts ruhte der Vorgang. Eine automatisch von Poliks erstellte Erinnerung, die auf den noch offenen Vorgang hinwies, sei von der Kommissariatsleitung ignoriert worden. Laut Jost spreche „einiges dafür, dass die Fachaufsicht ganz oder teilweise versagt hat“.
L. sei nach dem Anschlag wiederholt von der Rauschgiftstaatsanwaltschaft nach seinem Bericht gefragt worden, sagte Jost. Das schließlich am 19. Januar übermittelte Dokument habe aber eine inhaltlich verfälschte und rückdatierte Version des Originalberichts vom November enthalten. Der Umfang war von zehn auf vier Seiten verkürzt worden. Anstelle von 72 ausgewerteten Überwachungsprotokollen waren laut Jost nur noch sechs „nichtssagende Protokolle“beigefügt. Die beiden Mittäter von Amris Drogenbande seien von L. ganz gelöscht worden. Es sei nur noch von Kleinhandel die Rede gewesen.
Der Kriminaloberkommissar habe mutmaßlich „eigene Versäumnisse verschleiern“wollen, sagte Jost.