Aalener Nachrichten

Die bürgerlich­e Mafia

Ermittlern gelingt Coup gegen organisier­tes Verbrechen im Südwesten – 17 Verhaftung­en sowie Drogen, Waffen und Geld beschlagna­hmt

- Von Lothar Häring

ROTTWEIL - Enza A. macht weiter, als wäre nichts geschehen. Im beliebten italienisc­hen Restaurant in Rottweil geht alles seinen gewohnten Gang. Wenn man die attraktive Mitvierzig­erin mit den schwarzen Haaren fragt, wie lange geöffnet sei, und meint den Mittag, antwortet sie freundlich, aber bestimmt: „Das ganze Jahr!“

Das ist erstaunlic­h, denn ihr Mann ist vor zwei Wochen verhaftet worden, und nichts spricht dafür, dass er bald wieder frei kommt. Placido A., der in der Kleinstadt bestens integriert­e Gastwirt, ist nach Überzeugun­g der Polizei und der Staatsanwa­ltschaft zusammen mit einem 52-jährigen Landsmann aus Donaueschi­ngen der führende Kopf einer mafiösen Vereinigun­g, die im Lauf der vergangene­n Jahre schwerste Straftaten begangen hat – von Drogenhand­el im großen Stil über Waffenhand­el, gefährlich­e Körperverl­etzung, Erpressung und Brandstift­ung bis hin zu versuchtem Mord.

30 Häuser durchsucht

Nach monatelang­en verdeckten Ermittlung­en und Telefonübe­rwachungen hat die Polizei Ende Juni zugeschlag­en: Mehr als 300 Beamte, darunter auch Spezialein­heiten, rückten in den frühen Morgenstun­den aus und drangen in 30 Häuser vor allem in den Landkreise­n Schwarzwal­d-Baar und Rottweil, aber auch Konstanz, Esslingen und Stuttgart ein. Sie nahmen dabei 15 italienisc­he und zwei deutsche Staatsange­hörige im Alter zwischen 25 und 77 Jahren fest und beschlagna­hmten rund 60 000 Euro, teilweise in Matratzen versteckt, Luxusautos, zehn Kilogramm Drogen, Waffen und Schmuck. Ein Verdächtig­er wurde auch in Trossingen (Kreis Tuttlingen) festgenomm­en, nach Angaben der Polizei ein italienisc­her Staatsbürg­er, der offenbar als Geschäftsf­ührer in der Stadt gearbeitet hat.

Enza A. zeigt sich fassungslo­s. Ihr Mann sei unschuldig, beteuert sie. Von dem vielen Geld, über das er angeblich verfügt habe, hätte sie ja schließlic­h etwas mitbekomme­n müssen. Seitdem die Vorwürfe bekannt sind, verzeichne­t sie einen Schwund im Lokal. Auch Stammgäste blieben weg, berichtet die Frau. Ans Aufgeben scheint sie keinen Gedanken zu verschwend­en.

Doch die Ermittler sind sich ihrer Sache sehr sicher. Sie haben einen enormen Aufwand betrieben und lassen keinen Zweifel daran, dass es sich um einen außergewöh­nlichen Schlag gegen die Mafia in BadenWürtt­emberg handelt, der nur mit außergewöh­nlichen Maßnahmen möglich war. „Wir sind an unsere Grenzen gestoßen, vielleicht auch darüber hinaus“, sagt Thomas Hechinger, der Leiter der Kriminalpo­lizeidirek­tion Rottweil. Zudem seien glückliche Umstände dazugekomm­en. „Wir haben in diesem Verfahren bisher mindestens schon 200 gerichtlic­he Beschlüsse erwirkt. Das gab es in dieser Form noch nie“, sagt der Konstanzer Oberstaats­anwalt Joachim Speiermann. „Man braucht motivierte Beamte, direkte Kontakte nach Italien und einen langen Atem. Sonst geht es nicht.“

Erste Hinweise gab es im Frühjahr 2016. Von da an begann die polizeilic­he Maschineri­e auf vollen Touren zu laufen. „Es sind unzählige Überstunde­n angefallen“, sagt KripoChef Hechinger, „das betrifft auch die drei Dolmetsche­r, die teilweise völlig überlastet waren.“Als Glücksfall erwies sich Wolfgang Rahm vom Landeskrim­inalamt, der nicht nur italienisc­h spricht, sondern auch freundscha­ftlichen Kontakt zu Kollegen in Palermo pflegt.

Es sei typisch für mafiöse Strukturen hierzuland­e, dass die Täter legale Geschäfte betrieben und dahinter die verbrecher­ischen Aktivitäte­n entfalten. In diesem Fall waren es unter anderem ein Kleider- und ein Schmucklad­en, der Anführer aus Donaueschi­ngen betrieb mehrere italienisc­he Lokale, unter anderem im Kreis Tuttlingen. Außerdem verdiente er Geld mit Spielautom­aten. Als sich ein Kollege in Hüfingen weigerte, entspreche­nde Geräte aufzustell­en, wurde er im Frühjahr Opfer eines Anschlags. Komplizen des Landsmanne­s aus Donaueschi­ngen, so die Polizei, feuerten mehrere Schüsse durch die Fenster des Lokals. Verletzt wurde niemand. Auch ein Brandansch­lag im Schwarzwal­dBaar-Kreis sei auf diese Weise zustande gekommen.

Entscheide­nd zur Aufklärung hat die italienisc­he Guarda de Finanza beigetrage­n, die für die Bekämpfung der Mafia zuständig ist. So kam es auch zu Festnahmen in Italien. Guiseppe Campobasso ist als Kommandant in Palermo ein erfahrener Mafia-Jäger. Er habe schon mit Kollegen in Südamerika, in Spanien und Griechenla­nd zusammenge­arbeitet, berichtet er. Aber selten habe es so effizient funktionie­rt wie in diesem Fall. Es habe sich gezeigt, dass die Festgenomm­enen direkte Kontakte zu Mafia-Familien in Palermo hätten. Klar sei auch geworden, dass die Täter hier mit ähnlich brutalen Mitteln wie Einschücht­erung, Erpressung und notfalls Waffengewa­lt vorgehen.

Bürger sollen achtsam sein

Wolfgang Rahm vom Landeskrim­inalamt beobachtet eine neue Entwicklun­g: „Wir haben es zunehmend mit einer bürgerlich­en Mafia zu tun“, konstatier­t er. Deshalb seien auch die Bürger aufgeforde­rt, der Polizei Hinweise zu geben, wenn sie deutliche Unterschie­de zwischen Einkommen und Lebensstil feststelle­n.

Rahm geht davon aus, dass 148 Mitglieder der italienisc­hen Mafia in Baden-Württember­g leben. 75 gehörten der 'Ndrangheta an, 29 der Stidda, 26 der Camorra, 13 der Cosa Nostra und fünf der apulischen Mafia. Drei der Verhaftete­n haben umfassende Geständnis­se abgelegt und sind daher wieder auf freiem Fuß. Kripo-Chef Hechinger macht sich trotz des außergewöh­nlichen Erfolgs keine Illusionen: „Das ist nur die Spitze des Eisbergs“sagt er. „Wir können nicht nach jeder Fliege klatschen, sonst verzetteln wir uns.“

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FOTOS: POLIZEIPRÄ­SIDIUM TUTTLINGEN/DPA Oberstaats­anwalt Joachim Speiermann (links) berichtete bei einer Pressekonf­erenz in Rottweil über den Schlag gegen die Mafia und präsentier­te dabei beschlagna­hmte Waffen und Munition.

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