Vom Helden zum Rüpel
Weltmeister Peter Sagan nach Ellbogencheck im Finale von der Tour ausgeschlossen
VITTEL (dpa/SID) - Innerhalb von 24 Stunden hat sich Peter Sagan vom gefeierten Tour-Helden zum absoluten Buhmann gewandelt. Zwar bat der Slowake nach seinem brutalen Ellenbogencheck gegen Mark Cavendish im Schlussspurt von Vittel demütig um Entschuldigung. Doch die Jury kannte keine Gnade. Um 18.58 Uhr schloss die Rennleitung den slowakischen Weltmeister vom deutschen Team Bora-hansgrohe, noch am Vortag umjubelter Etappensieger, von der 104. Tour de France aus. Die Höchststrafe für Sagan und sein Team. Die Tour hat ihren ersten Eklat.
„Wir haben uns dazu entschieden, Peter Sagan von der Tour de France 2017 zu disqualifizieren. Er hat auf den letzten Metern des Sprints Kollegen ernsthaft gefährdet“, teilte Jury-Präsident Philippe Marien aus Belgien mit.
„Du hast mich zum zweiten Mal beinahe umgebracht!“ André Greipel zu Peter Sagan.
Im chaotischen Finale nach 207,5 km in Vittel, wo der Franzose Arnaud Démare für den ersten Heimsieg der 104. Auflage sorgte und André Greipel (Rostock) Dritter wurde, hatte Sagan einen spektakulären Crash verursacht. Der 27-Jährige rammte Cavendish in die Gitter, dieser flog dem Thüringer John Degenkolb vors Rad, der ebenfalls übel zu Boden ging. „Da fährt ein Typ im Weltmeister-Trikot, der meint, er könne sich alles erlauben“, polterte Greipel. Als Sagan Greipel entschuldigend die Hand auf die Schulter legte, sagte er: „Du hast mich zum zweiten Mal beinahe umgebracht!“Cavendish wurde mit Verdacht auf Schulterbruch umgehend ins Krankenhaus gebracht. „Ich bin kein Arzt, aber es fühlt sich nicht gut an. Ich bin nicht sehr optimistisch“, sagte Cavendish. Eine blutende Wunde am Finger müsse „definitiv“genäht werden. Für ihn könnte die Tour beendet sein.
Für Sagan ist sie es. Die Jury belegte den Übeltäter, zunächst Etappenzweiter, erst mit 30 Sekunden Strafe und versetzte ihn auf Platz 115 zurück. Was Cavendishs Sportdirektor Rolf Aldag vom Team Dimension Data auf die Palme getrireben hatte. „Das war eine klare Tätlichkeit. Sagan muss ausgeschlossen werden. Wir haben das bei der Jury beantragt“, hatte Aldag radsportnews.com gesagt. So kam es. Nach einer guten Stunde Beratung senkte die Rennleitung dann den Daumen.
Sagan war zuvor im Zielraum auf Entschuldigungstour gegangen. Nach der missglückten Aussprache mit Greipel hatte er den CavendishTeambus aufgesucht. „Ich habe Mark nicht gesehen, es tut mir leid“, sagte er. Sein zweites Opfer Degenkolb gab Entwarnung: „Es geht mir den Umständen entsprechend gut.“
Sagan floh nach seiner Entschuldigungstour wortlos ins Mannschaftshotel. Die Tour verliert mit ihm den Superstar der Szene. Kaum ein Fahrer zieht die Aufmerksamkeit derart auf sich wie der Slowake, kaum einer ist bei den Fans beliebter. Im zweiten Jahr in Folge trägt Sagan das Regenbogentrikot des Weltmeisters, acht Etappensiege feierte er bei der Tour, fünfmal trug er das Grüne Trikot nach Paris.
Sagan ist einer der wichtigsten und wenigen Charakterköpfe des Radsports, sein Wiedererkennungswert im Feld enorm. Wenn ein fast 200 Mann starkes Peloton an Zuschauern am Straßenrand vorbeirauscht oder über die TV-Geräte flimmert, sticht er allein optisch mit seiner schulterlangen Mähne heraus. Sein Stil ist einzigartig, seine ausgefallenen Jubelposen sind legendär, die teils flapsigen Interviews KlickGaranten auf YouTube. Für unfaire Aktionen ist er bei eigentlich nicht bekannt – bis gestern. Als er vom Helden zum Rüpel wurde.
Das Gelbe Trikot des Gesamtführenden verteidigte derweil der Waliser Thomas trotz eines Sturzes an der Einkilometermarke mit zwölf Sekunden Vorsprung auf seinen britischen Teamkollegen und Kapitän Christopher Froome. Die fünfte Etappe am Mittwoch, die mit einer knackigen Bergankunft an der Planche des Belles Filles in den Vogesen endet, wird zum ersten Prüfstein für die Klassementfahrer.