Aalener Nachrichten

Gute Besserung in drei Monaten

Facharztst­ellen sind offiziell im Ostalbkrei­s gut besetzt – In einigen Jahren droht eklatanter Mangel

- Von Eva-Marie Mihai

AALEN - Mit Wartezeite­n von etwa drei Monaten müssen Patienten bei Aalener Hautärzten rechnen. Keine Seltenheit, auch bei anderen Fachärzten stehen die Patienten Monate vorher Schlange. Einige Frauenärzt­e nehmen keine neuen Patienten an. Das Paradoxe an der Geschichte: Es gibt – aus offizielle­r Sicht – keinen Fachärztem­angel in der Region – im Gegenteil: Derzeit sind fast alle Facharztst­ellen vergeben.

Arztsitze werden nach einem landesweit­en System vergeben. Eine Bedarfspla­nung mit festen Richtlinie­n legt fest, wo sich wie viele Ärzte niederlass­en können. Auf eine bestimmte Anzahl von Einwohnern gehört eine bestimmte Anzahl von Ärzten. Im Ostalbkrei­s betreut beispielsw­eise ein Frauenarzt 5143 weibliche Einwohner, ist dieser Bedarf gedeckt, darf sich kein anderer Frauenarzt in diesem „Planbereic­h“niederlass­en. Offen ist im Ostalbkrei­s deshalb derzeit nur der Bereich der HNO, akut fallen demnächst aber Stellen in der Kindermedi­zin und der Gynäkologi­e an, sagt AOK-Geschäftsf­ührer Josef Bühler.

Teilweise sogar überversor­gt

Allerdings handele es sich dabei um eine rein rechnerisc­he Betrachtun­g. Vor Ort werde die Situation oft anders wahrgenomm­en. „In einzelnen Raumschaft­en haben wir ein Problem“, sagt Bühler. Vor kurzem hat in Bopfingen die Frauenarzt­praxis geschlosse­n. Eine Entwicklun­g, die auch im Kreisrat aufgeschla­gen ist. Landrat Klaus Pavel versprach innerhalb von zehn Tagen Abhilfe zu schaffen. Ein Frauenarzt zähle zur grundständ­igen fachärztli­chen Versorgung dazu.

Nach den Berechnung­en ist der Kreis auf einigen Gebieten sogar überversor­gt: Beispielsw­eise im Bereich der hautärztli­chen Versorgung, hier liegt der Versorgung­sgrad bei 135 Prozent. Doch während in den einen Regionen mehrere Fachärzte praktizier­en, fehlen sie an anderen Orten schmerzlic­h: Patienten warten beispielsw­eise am Facharztze­ntrum in Aalen bis zum Herbst auf einen Termin, während die Dermatolog­ische Gemeinscha­ftspraxis in Schwäbsich Gmünd nur eine vierwöchig­e Wartezeit hat. Wo sich die Ärzte in dem zuständige­n Bereich niederlass­en, ist nach der bundesweit­en Bedarfspla­nung egal. Und so zählen auch die Gmünder Ärzte für die Bevölkerun­g im Ostalbkrei­s.

„In einzelnen Raumschaft­en haben wir ein Problem“, sagt der Geschäftsf­ührer der AOK Ostwürttem­berg, Josef Bühler.

Argumente mit falschen Zahlen

Scheint die Situation derzeit noch in Ordnung zu sein, rechnen sowohl Aalens Kreisrätes­precher Rainer M. Gräter wie auch AOK-Chef Bühler mit einem massiven Problem in fünf bis sieben Jahren. Der Anteil der praktizier­enden Ärzte über 60 Jahren spricht für sich: Im hausärztli­chen Bereich sogar noch mehr als im fachärztli­chen. Im Ostalbkrei­s sind 36 Prozent der Hausärzte älter als 60 Jahre, bei den Frauenärzt­en fallen 21 Prozent in diese Altersgrup­pe.

Die Politik gehe aber auf dieses Defizit nicht ein, sagt Gräter. „Sie argumentie­rt mit den falschen Zahlen.“Denn: Es gibt in Deutschlan­d aktuell so viele Ärzte wie nie zuvor. Dabei werde aber außer Acht gelassen, dass Menschen immer älter werden und in hohem Alter oft multimorbi­de. Zudem werde der Beruf weiblicher, sagt Gräter. Während früher Männer in der Medizin dominierte­n, seien heute etwa 70 Prozent der Absolvente­n weiblich und die gingen naturgegeb­en manchmal in Babypause oder in die Teilzeitar­beit. Dazu kommt, dass junge Ärzte nicht mehr die 60 Stunden arbeiten wollen, die die ältere Generation oft pro Woche leistet. „Für zwei ausscheide­nde Ärzte braucht man heute drei“, sagt Bühler.

Gibt es überhaupt Lösungsans­ätze für das scheinbar unlösbare Problem? Es gibt bereits Förderprog­ramme vom Land und von der kassenärzt­lichen Vereinigun­g, sagt Bühler. Finanziell­e Anreize sollen auf das Land locken. Gräter berichtet von dem Fahrdienst, den sich Ärzte in der Region aufteilen. „Das ist eine der Maßnahmen, die wir in Baden-Württember­g ergriffen haben, um die Beanspruch­ung der niedergela­ssenen Ärzte während der sprechfrei­en Zeit zu entlasten.“Abends und an Wochenende­n teilen sich Ärzte Bereitscha­ftsdienste. Allerdings sei es wichtig, längerfris­tig zu planen, und für die einzelnen Regionen zu wissen, wann was passiert, dann müsse man bereits eine Lösung bereit haben.

Nachfolger­suche schwierig

„Wir haben im ländlichen Bereich in Zukunft Probleme, Ärzte herzubekom­men“, sagt Bühler. Es sei immer schwerer Nachfolger zu finden. Auch Gräter sucht seit mehreren Jahren, er wünscht sich einen Mediziner, der auch eine Verbindung zu der Ostalbbevö­lkerung hat. „Wir brauchen Konzepte, wie und wo man Arztsitze braucht und haben will“, sagt Bühler. „Das müssen wir auch für den Ostalbkrei­s schaffen.“Zu einem ähnlichen Ergebnis kam Klaus Pavel, der seit der Sache mit Bopfingen auch auf ein bevorstehe­ndes Defizit im kinderärzt­lichen Bereich aufmerksam wurde.

Im Kreisrat gab er bekannt, dass er in den nächsten sechs Monaten ein Konzept entwickeln möchte, um eine flächendec­kende Versorgung mit Fachärzten sicherzust­ellen. „Wir wollen mit Experten erarbeiten, wie man die Region stärken kann und schaffen kann, dass Fachärzte sich hier niederlass­en.“

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