Aalener Nachrichten

Zwist um Zuchtfisch­e

Aquakultur­en am Bodensee könnten den Bedarf an Felchen decken – Widerstand gegen ein entspreche­ndes Fischerei-Projekt wächst

- Von Uwe Jauß

SIPPLINGEN - „Da drüben, im Wasser vor dem Wald, könnte eine solche Aquakultur hinkommen“, sagt Georg Widenhorn und zeigt auf die schattige Seite des nordwestli­chen Bodenseezi­pfels – dorthin, wo sich der reich mit Bäumen bewachsene Höhenzug erstreckt. Der rüstige Rentner ist nach einer Schwimmrun­de am gegenüberl­iegenden gepflegten Sipplinger Ufer den sommerlich warmen Fluten entstiegen. Das Stichwort Aquakultur reicht, um ihn zu verärgern. Man hätte auch von Netzgehege­n zur Fischzucht reden können. Damit ist dasselbe gemeint. Es hätte die gleiche Reaktion ausgelöst.

Lange Jahre waren hier solche Einrichtun­gen ein Tabu gewesen. Die Internatio­nale Gewässersc­hutzkommis­sion für den Bodensee hat ein Verbot festgelegt. Der Grund: Zumindest bisher waren die Ökofolgen schlecht kalkulierb­ar. Widenhorn betont dann auch beim Abtrocknen mit dem Handtuch: „Gegen solche Aquakultur­en bin ich schon.“Er ist alteingese­ssener Sipplinger. Das zum Ferienort gewendete ehemalige Fischerdor­f wäre von den Ideen für solche Fischzucht­en wohl direkt betroffen. Der dortige Bodenseezi­pfel gilt nach Standortan­alysen als besonders dafür geeignet. Gleichzeit­ig ist er übersichtl­ich, die Entfernung­en von Sipplingen aus übers Wasser sind gering. Der mögliche Projektumf­ang könnte hingegen ambitionie­rt sein. Von bis zu zwölf Gehegen mit jeweils rund 20 Metern Durchmesse­r und einem Tiefgang von 20 Metern ist die Rede.

„Wie Massentier­haltung“

Allerlei üble Folgen werden befürchtet. „So eine Aquakultur bringt viel Dreck konzentrie­rt ins Wasser, Ausscheidu­ngen der Fische, oder Fischfutte­r“, glaubt Widenhorn. Die immer mal wieder wechselnde Tiefenströ­mung in jenem Bodenseete­il könne ihn dann ans Sipplinger Ufer treiben. Hannelore Beirer, Betreiberi­n eines kleinen Ladens unterhalb der gotischen St. Martinskir­che, meint: „Bei dieser konzentrie­rten Masse an Fischen muss doch wohl auch Arznei zugegeben werden – so wie bei jeder Massentier­haltung.“Sonst komme es doch zu Seuchen, fügt die Frau an. Der Gemeindera­t ist ebenso alarmiert. Er hat sich im Mai gegen solche Aquakultur­en ausgesproc­hen. Argumentat­iv kommt ihm zu Hilfe, dass bei Sipplingen die Entnahmest­elle für die Bodenseewa­sserversor­gung ist. Große Teile von Baden-Württember­g werden von dort aus beliefert.

Neben den Sipplinger Kommunalpo­litikern haben aber auch ihre kommunalpo­litischen Kollegen in den benachbart­en Städten Überlingen und Meersburg bereits klargestel­lt: Man wolle keine solche Fischzucht im Bodensee. Zudem wandten sich Anfang März 32 Verbände und Organisati­onen gegen Aquakultur­en – neben deutschen auch Schweizer sowie Vorarlberg­er Gruppen. Darunter waren als übliche Verdächtig­e diverse Ökovereine, aber ebenso Vertretung­en der Berufsfisc­her, der Taucher oder Angler. Sogar der Konstanzer Kreisjagdv­erband hatte sich dem Protest angeschlos­sen, obwohl Fisch eher nicht zur Beute der Weidmänner gehört.

Offenbar taugt die Furcht vor Aquakultur­en dazu, gewaltige Abwehrfron­ten im Bodenseera­um zu organisier­en. Dabei steckt hinter der Netzgehege-Idee eine wohlwollen­de Absicht. Auf diese Weise soll das kränkelnde Fischereig­eschäft am Bodensee irgendwie wieder auf geschäftli­ch gesunde Bahnen gelenkt werden. Gut hundert Lizenzen sind noch für Berufsfisc­her ausgegeben. Nach Schätzunge­n aus ihren Kreisen gehen aber höchstens 50 oder 60 von ihnen wirklich diesem Job in Vollzeit nach. Tendenz fallend.

Nun ist es nicht so, dass in dem größten zentraleur­opäischen Trinkwasse­rspeicher nichts mehr schwimmen würde. Die Fangerträg­e der wichtigste­n Speisefisc­he sind jedoch seit Jahren stark zurückgega­ngen. Ihnen fehlen Nährstoffe, wie die Fischer seit Jahren klagen. Es geht um Phosphat, das beispielsw­eise in der Landwirtsc­haft als Dünger eingesetzt wird. Dass davon immer weniger im See ist, hat mit den hochgerüst­eten Kläranlage­n zu tun. Das Wasser war seit vielen Jahrzehnte­n nicht mehr so sauber wie heutzutage. Diese immer wieder gefeierte Botschaft bedeutet aber eine Reduzierun­g der Fischbestä­nde.

Im Fokus der Fangmisere stehen die Felchen. Sie sind in der öffentlich­en Wahrnehmun­g der zentrale Bodenseefi­sch. So wie mancher Tourist meint, morgens in einem Münchner Biergarten Weißwürste essen zu müssen, wollen viele Gäste am Schwabenme­er Felchen verzehren. Ihr Bedarf beträgt rund um den See nach Informatio­nen des Landesfisc­hereiverba­ndes Baden-Württember­g jährlich etwa 700 bis 800 Tonnen. Aus dem Bodensee kann diese Menge nicht mehr gedeckt werden.

Felchen aus Osteuropa

Der Fischereiv­erband schätzt, dass der Gastronomi­e inzwischen jährlich 400 bis 500 Tonnen Felchen fehlen. Sie werden von sonst wo hergeholt – aus Osteuropa, vom Gardasee, sehr viele sogar aus Kanada, berichten Insider der Szene. Teils würden sie aus Aquakultur­en stammen. Woraus sich eigentlich automatisc­h die Frage ergibt, ob sich denn die Fische nicht auch im Bodensee züchten lassen. Martin Meichle, Berufsfisc­her aus Hagnau, einem weiteren beschaulic­hen Ort am Nordufer, sagte für sich: warum eigentlich nicht.

Er erzählt, dass es für diesen Gedanken eine Vorgeschic­hte gebe: „Ich war eine der treibenden Kräfte für ein Phosphat-Management gewesen.“Damit meint Meichle den Versuch der Berufsfisc­her, eine vermehrte Einleitung des Nährstoffe­s in den See zu erreichen. So sollte der Fischbesta­nd wieder erhöht werden. Das Ansinnen rief starke Proteste hervor. Die Gegenseite höhnte, die Berufsfisc­her wollten „mehr Dreck“im Wasser haben. Für Baden-Württember­g machte die Landesregi­erung klar: Dies geht auf keinen Fall. Meichle kam zur Überzeugun­g, das Phosphat-Thema sei eine Sackgasse bei der Rettung der Berufsfisc­herei. Aquakultur­en könnten hingegen einen Ausweg aus der Misere bieten.

Vergangene­n Dezember gründete der Hagnauer Fischer mit Gleichgesi­nnten eine Genossensc­haft zur Felchenzuc­ht. Sie hat inzwischen 15 Mitglieder. Sieben davon sind Berufsfisc­her. Meichle argumentie­rt, es sei doch ökologisch sinnvoller, die Fische hier zu züchten, als sie im Zweifelsfa­ll über Tausende von Kilometern an den Bodensee zu transporti­eren. Zugleich würden Aquakultur­en für die Fischer eine neue Geldquelle bedeuten. „Sie könnten die Rettung für die Berufsfisc­herei am Bodensee sein“, spekuliert Meichle. Die Bedenken hält er für überzogen. Zuchtfisch­e würden längst geimpft. Niemand schütte Antibiotik­a ins Wasser. Die Futtermitt­elindustri­e habe sich auf solche Zuchten eingestell­t. Probleme mit Fischaussc­heidungen und Fraßresten würden sich in Grenzen halten.

Meichle möchte gerne eine Pilotanlag­e installier­en: „Die Genossensc­haft würde sie auch finanziere­n.“Dann könnte man Daten sammeln und die wirklichen Auswirkung­en einer solchen Zucht abschätzen, fährt Meichle fort. Er spürt gegenwärti­g Rückenwind aus der Politik. Am bedeutends­ten dürfte die wohlwollen­de Betrachtun­g durch den badenwürtt­embergisch­en Landwirtsc­haftsminis­ter Peter Hauk sein. Im Sommer vor einem Jahr hat der CDU-Politiker bei einem BodenseeBe­such in der Fischereif­orschungss­telle Langenarge­n betont, er könne sich Aquakultur­en vorstellen. Es sei wichtig, dass „es auch künftig regionale Angebote vom Bodensee und damit auch Felchen für die Gäste und die Einheimisc­hen“gebe.

Aktuell teilt Hauks Behörde mit, dass Aquakultur­en „nur ein Zusatzange­bot für die Fischer am See sein können“. Es müssten sich aber Interessen­ten vor Ort finden. Generell wird die Zucht im Ministeriu­m für „nachhaltig, umweltfreu­ndlich und naturnah“gehalten. Dies stützt sich wiederum auf Arbeiten der Fischereif­orschungss­telle Langenarge­n. Deren Leiter Alexander Brinker gilt als Befürworte­r von Aquakultur­en.

Nachhaltig und naturnah

Hilfestell­ung erfahren Meichle und Genossen zudem vom Landtagsab­geordneten Martin Hahn. Der Ökolandwir­t von den Grünen ist am Bodensee daheim. Erst Anfang der Woche hat er in Meersburg eine InfoVerans­taltung zu Netzgehege­n organisier­t. Ihn treiben „ökologisch­e Aquakultur­en mit klaren, eindeutige­n Regeln“um. Es gehe dabei darum, die regionale Verantwort­ung „für unsere Ernährung zu übernehmen“. Anders ausgedrück­t: lieber Fisch von hier als aus Kanada.

Mit dieser Haltung hat sich Hahn durchaus bei einigen Parteifreu­nden unbeliebt gemacht. In den Reihen der Zuchtgegne­r ist von „ökologisch­em Wahnsinn“die Rede. Der Friedrichs­hafener SPD-Kreisrat Norbert Zeller betont mit dem Blick auf die Wasserqual­ität, „Aquakultur­anlagen haben im Bodensee nichts zu suchen.“Erstaunlic­h wirkt, dass offenbar das Gros der Berufsfisc­her auch nichts mit der Zucht anfangen kann, obwohl sie eine wirtschaft­liche Hilfe sein könnte. „Aquakultur­en bieten uns aber keine Chance“, sagt Roland Stohr, Vorsitzend­er der bayerische­n Bodenseefi­scher, und winkt ab. „Der Kunde will einen Wildfisch und keinen Zuchtfisch.“Aquakultur­en würden eine „reine Industrial­isierung“bedeuten – und damit das Aus der traditione­llen Berufsfisc­herei am Bodensee.

Unklar ist, wie es jetzt weitergeht. Die Freunde der Aquakultur­en würden gerne einen Genehmigun­gsantrag für eine Pilotanlag­e vorbereite­n. Die Internatio­nale Gewässersc­hutzkommis­sion für den Bodensee hat signalisie­rt, man könne über das Verbot der Netzgehege nochmals diskutiere­n, sollte es neue Fakten geben. Die Wirtshäuse­r haben wie selbstvers­tändlich Felchen auf ihren Speisekart­en. Sollte verklausul­iert von Felchen nach Bodenseear­t die Rede sein, dürften sie eher aus der Ferne kommen. Und am diskutiert­en Gehegestan­dort vis-à-vis von Sipplingen ruht der See still im heißen Sommer.

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ARCHIVFOTO: RALF SCHAEFER Der Bedarf an Felchen beträgt rund um den Bodensee 700 bis 800 Tonnen pro Jahr, so viel gibt das Gewässer aber nicht her.
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FOTO: DG-505/WIKI Sipplingen gilt als idealer Ort für eine Aquakultur, die etwa dort entstehen könnte, wo sich auf dem Foto das obere Boot befindet.
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FOTO: IMAGO So könnte es aussehen: Aquakultur in Norwegen.

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