Cem Özdemir: Keine Toleranz für Radaubrüder
Der Bundesvorsitzende der Grünen macht Wahlkampf in Aalen – Gut 100 Interessierte bei der Fragerunde
AALEN - Wahlkampf einmal anders: Nicht mit einer langen Rede und mit markigen Sprüchen, sondern mit der Beantwortung von Fragen aus dem Publikum hat sich Cem Özdemir eineinhalb Stunden im Gala-Festsaal in Aalen präsentiert. Dabei äußerte sich der Bundesvorsitzende der Grünen und Spitzenkandidat seiner Partei bei der Bundestagswahl zu einem weiten Feld an politischen Themen. Klar Stellung bezog Özdemir zu den Krawallen beim G 20-Gipfel in Hamburg: „Nullkommanull Toleranz für die Radaubrüder vom schwarzen Block. Wer Polizisten angreift, ist nicht besser als derjenige, der Asylantenheime anzündet.“
Der Kreisvorsitzende der Grünen, Berthold Weiß, freute sich über rund 100 Besucher, die auch prompt in eine sehr lebhafte Fragerunde einstiegen. „Wir haben ein tolles Programm mit einem grünen Profil und wollen mit diesem Format einen Nerv treffen“, sagte die Bundestagskandidatin des Wahlkreises Aalen/ Heidenheim, Margit Stumpp, die den Abend moderierte.
Friedlicher Protest „Ja“, aber Gewalt „Nein“
In seinem kurzen Eingangsstatement verteilte Özdemir zunächst einige Komplimente an die alevitischen Gläubigen in Aalen. Hier gelte Religionsfreiheit und nicht das Gesetz des türkischen Präsidenten Erdogan. Dann äußerte sich der Politiker der Grünen zum G 20-Gipfel in Hamburg: „Meine Genesungswünsche gelten den verletzten Polizisten“. Er machte deutlich, dass Gewalt in der Demokratie keinen Platz haben dürfe. Leider gebe es eine Tendenz zur massiven Verrohung, die auch durch die sozialen Medien verstärkt werde. Ein „gepflegter Streit“gehört nach Ansicht von Özdemir dagegen zur Demokratie. Angesichts eines teilweisen „Gruselkabinetts“beim G 20-Gipfel mit Trump, Erdogan und Putin seien die friedlichen Proteste durchaus gerechtfertigt gewesen.
In der Frage der Bekämpfung des islamistischen Terrors und dem Erhalt der inneren Sicherheit setzt Özdemir auf die Polizei und nicht auf den Verfassungsschutz. Er übte Kritik an dessen seiner Meinung nach misslungenen Einsatz von V-Leuten in der rechten Szene. Eine klare Position bezog der Politiker in Bezug auf Gefährder und Terroristen. Sie müssten die ganze Härte des Gesetzes zu spüren bekommen. Um dem Terror Einhalt zu gebieten, müsse die internationale Zusammenarbeit verbessert werden. In diesem Zusammenhang wandte sich der Bundesvorsitzende der Grünen gegen Waffenexporte nach Saudi-Arabien. Die Frage, was denn aus dem grünen Pazifismus geworden sei, beantwortete Özdemir mit dem Hinweis, dass sich die Weltgemeinschaft bei Völkermord nicht heraushalten dürfe. Als negatives Beispiel nannte er Ruanda.
In einer weiteren Fragerunde bezog der Politiker Stellung zur Situation in der Türkei. „Das Referendum war nicht frei, sonst hätte Erdogan nicht gewonnen“, sagte Özdemir. Die Türkei müsse sich zu ihrer ethnischen Vielfalt bekennen. Sehr intensiv beschäftigte sich der Abgeordnete mit dem Völkermord an den Armeniern. Darin, dieses Verbrechen aufzubereiten, sieht er eine menschliche Verpflichtung. Die Nachgeborenen trügen nicht Schuld, aber sie hätten eine Verantwortung.
Gleichbehandlung von Mann und Frau, von Schwulen und Lesben
Ein weiteres Thema war die Asylpolitik. Hier sprach sich Özdemir für einen Kurs der Integration aus. Wichtig seien Arbeit, das Erlernen der deutschen Sprache und das Vorbereiten der Leute auf das im Grundgesetz verankerte Menschenbild. „Es gibt keinen Rabatt bei den Werten“, sagte er. Wer nicht die Gleichbehandlung von Mann und Frau, von Schwulen und Lesben akzeptiere, habe hier nichts zu suchen. Im Gegensatz zur derzeitigen Praxis sprach er sich für Familienzusammenführungen aus.
Kämpferisch zeigte sich Özdemir bei den Themen Klimaschutz und Mobilität. „Bei einer Regierungsbeteiligung der Grünen werden wir ab September 2017 Schritt für Schritt die 20 schmutzigsten Kohlekraftwerke vom Netz nehmen“, versprach der Politiker. In der Automobilität sieht er in Zukunft keine Alternative zum Elektromotor. Man brauche auf Dauer emissionsfreie Fahrzeuge, begründete er den von den Grünen geforderten Abschied vom Verbrennungsmotor bis 2030. „Wir wollen den Automobilstandort Deutschland retten, das geht nur mit dem Elektromotor“, betonte Özdemir .
Zur Frage einer möglichen rotrot-grünen Regierung nach der Bundestagswahl machte er deutlich, dass die Grünen nichts von „Ausschließeritis“halten. Man werde mit allen demokratischen Parteien sprechen. Allerdings könnten diese Gespräche auch sehr kurz sein. „Wenn etwa Sahra Wagenknecht (Linke) den russischen Präsidenten Wladimir Putin anhimmeln will, dann wird das ein sehr kurzes Gespräch.“Gleiches gelte für den bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer und dessen Bezieung zum ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán.