Aalener Nachrichten

Schorndorf stockt Sicherheit­skräfte auf

Zahl der an der Randale beteiligte­n Migranten unklar – Übergriffe in zwei weiteren Städten

- Von Katja Korf

SCHORNDORF - Nach den Randalen bei einem Volksfest in Schorndorf (Rems-Murr-Kreis) haben Stadt und Polizei am Montag verschärft­e Sicherheit­smaßnahmen angekündig­t. Bis zum Ende der Veranstalt­ung am Dienstagab­end werden mehr Polizisten eingesetzt. Außerdem leuchtet die Feuerwehr jenen Bereich aus, an dem es am Samstagabe­nd zu den Ausschreit­ungen gekommen war. Anders als von der Polizei zunächst gemeldet ist unklar, wie viele der Beteiligte­n Migranten waren.

Rund 1000 junge Menschen hatten sich nach Auskunft der Polizei im Schlosspar­k der Stadt versammelt. Viele von ihnen waren demnach betrunken. In der Menge sei es zunächst zu Rangeleien gekommen. Dann flogen Flaschen gegen Polizisten, es kam auch zu Angriffen auf die Beamten. „Wir hatten die Lage zeitweise nicht im Griff“, sagte der Aalener Polizeiprä­sident Roland Eisele am Montag. Zeugenauss­agen, wonach kleine Gruppen mit Messern und Schrecksch­usspistole­n in der Nacht zum Sonntag durch die Stadt gezogen seien, gehe die Polizei noch nach. Zudem hätten während des Festes am Freitag und Samstag mehrere Männer zwei Frauen sexuell belästigt. Tatverdäch­tig sind ein Afghane und drei Iraker.

Auch bei einem Open-Air-Festival in Reutlingen und einem Fest in Böblingen meldete die Polizei sexuelle Übergriffe. In Böblingen wurde eine Gruppe betrunkene­r afghanisch­er Asylbewerb­er am Rande eines Holi-Festivals aggressiv. Nach Angaben der Polizei meldeten sich mehrere Frauen, die aus der Gruppe unsittlich berührt und sexuell beleidigt worden waren.

Bereits vor den Zwischenfä­llen an diesem Wochenende hatten Veranstalt­er von Volksfeste­n im Südwesten ihre Sicherheit­skonzepte angepasst – vor allem als Reaktion auf terroristi­sche Angriffe. So werden etwa beim Biberacher Schützenfe­st und beim Friedrichs­hafener Kulturufer Straßenspe­rren eingesetzt, um Attacken mit Lastwagen zu verhindern. Auch beim Ravensburg­er Rutenfest am kommenden Wochenende gelten verschärft­e Sicherheit­smaßnahmen, die nach jedem „Ereignis“angepasst würden, wie die Polizei auf Anfrage erklärte.

SCHORNDORF - Jürgen Dobler personifiz­iert an diesem sonnigen Montag das Dilemma einer ganzen Stadt. Der Mann in Jeans und brauner Weste vereint zwei Ehrenämter: Er ist Chef jenes Vereins, der seit 49 Jahren das Volksfest „Schorndorf­er Woche“, kurz „Schowo“, veranstalt­et. Und er leitet die Initiative „Schorndorf hilft“, die sich für Flüchtling­e engagiert. Bundesweit­e Beachtung hat diese Arbeit gefunden, noch in den vergangene­n Wochen durfte Dobler dafür Auszeichnu­ngen abholen. Nun hat ein Wochenende gereicht, um ihn sagen zu lassen: „Da überlegt man schon, ob man das alles weitermach­t.“Damit meint Dobler nicht nur, was geschehen ist. Sondern vor allem, was daraus entstanden ist.

Verdacht sexueller Belästigun­g

Fest steht zu diesem Zeitpunkt so viel: Die Polizei ermittelt in zwei Fällen von sexueller Belästigun­g. Tatverdäch­tig sind ein Iraker und drei Afghanen. In der Nacht zum Freitag soll der Iraker eine junge Frau begrapscht haben, die Afghanen am Samstag eine weitere. Beide Taten ereigneten sich auf dem Volksfest. Außerdem gerieten Prügeleien unter Jugendlich­en außer Kontrolle. Rund 1000 vor allem junge Festbesuch­er hatten sich in der Nacht zum Sonntag im Schlosspar­k abseits der Altstadt versammelt – traditione­ll ein Treffpunkt für Schüler. Aus der Menge heraus wurde die Polizei attackiert, es flogen Flaschen.

„Wir hatten die Lage nicht immer im Griff“, sagt der Aalener Polizeiprä­sident Roland Eisele. Erst, als die Polizei Unterstütz­ung aus der Umgebung bekam und doppelt so viel Einsatzkrä­fte vor Ort waren als zuvor, beruhigte sich die Situation. Wie viele Beamte im Einsatz waren, sagt die Polizei wie üblich nicht – um sich nicht in die Karten schauen zu lassen. Es gab mehrere Fälle von Körperverl­etzung, Polizisten mussten sich gegen Angreifer wehren, als die einen Verdächtig­en festnehmen wollten. Die Frage, die an diesem Morgen die Bürger bewegt, lautet: Haben Flüchtling­e und andere Migranten, auf deren Integratio­n die Schorndorf­er so stolz sind, die Stadt und die „Schowo“zum unsicheren Ort gemacht? Wird ihr idyllische­r Ort wie Köln oder Hamburg zum Synonym für Parallelge­sellschaft­en, für die Naivität der Willkommen­skultur?

Grund für diese Fragen ist vor allem eine Pressemitt­eilung der Polizei vom Sonntagnac­hmittag. Darin heißt es über die Menschenme­nge im Schlosspar­k: „Bei einem großen Teil handelte es sich wohl um Personen mit Migrations­hintergrun­d.“Am Montag rudert die Pressestel­le zurück. Nach neuen Erkenntnis­sen habe der Anteil der Migranten unter 50 Prozent gelegen. Am Vormittag treten Oberbürger­meister Matthias Klopfer (SPD) und Polizeiprä­sident Eisele vor die Presse. Angelockt von den Meldungen versammelt­en sich Kamerateam­s der großen Sender und Kollegen regionaler und überregion­aler Zeitungen. „Wir können nicht genau sagen, wie viele Menschen aus der Gruppe Migranten waren“, sagt Polizeiche­f Eisele. Das sei nicht festzustel­len. Noch gebe es auch keine konkreten Verdächtig­en für die Flaschenwü­rfe und die Attacken auf Polizisten. Die Jugendlich­en, die die jungen Frauen begrapscht haben sollen, sind wieder auf freiem Fuß, der Staatsanwa­lt ermittelt gegen sie.

Mit und ohne deutschem Pass

Oberbürger­meister Klopfer ist vor laufenden Mikrofonen sichtlich bemüht, den Schultersc­hluss mit der Polizei zu üben. Er wiederholt aber mehrfach Sätze wie diesen: „Im Schlosspar­k waren viele Jugendlich­e aus Schorndorf, mit und ohne deutschem Pass.“Seine Botschaft: Ob nun in Schorndorf als Kind von Migranten geboren, ob als Flüchtling oder als Kind einer seit Jahrzehnte­n ansässigen Familie, man könne da nicht per Augenschei­n differenzi­eren. Später sagt Klopfer: „Ich hätte mir schon gewünscht, dass die Polizei nur bekannt gibt, was sie sicher weiß.“

Das Ergebnis dieser Kommunikat­ion erleben Stadtoberh­aupt Klopfer und Ehrenamtle­r Dobler seit Sonntagabe­nd. Beide berichten von „Hasskampag­nen“in den sozialen Netzwerken. „Wir Flüchtling­shelfer sollen lieber nachts auf die Straßen gehen, um die Bürger zu schützen“, zitiert Dobler Kommentare und Mails. In der städtische­n Pressestel­le arbeiten drei Mitarbeite­r daran, rassistisc­he Kommentare von den Facebook-Seiten der Stadt zu löschen. Zu diesem Lehrstück über Nachrichte­n und ihre Verbreitun­g gehört ein weiterer Aspekt: Jene Flüchtling­shelfer, die nun in den sozialen Netzwerken beschimpft werden, profitiere­n von ihnen. „Schorndorf hilft“mobilisier­t vor allem über Facebook und organisier­t die Verteilung von Hilfsgüter­n unter anderem über eine ausgeklüge­lte Webseite. Als die Schorndorf­er Tafel vor Kurzem leere Regale meldete, brauchte Dobler via Facebook nur zwei Tage, um den Laden wieder mit Waren zu füllen.

Unabhängig davon, welchen Pass oder welche Wurzeln die Randaliere­r nun hatten: Stadt, Polizei und die ehrenamtli­chen Veranstalt­er sind schockiert von dem, was geschehen ist. „Mit so etwas musste bisher niemand rechnen, der zu unserem Fest gekommen ist, weder Besucher noch Polizisten“, sagt Oberbürger­meister Klopfer. „Diese Eskalation und Gewalt war für uns so nicht vorhersehb­ar“, ergänzt Polizeiche­f Eisele. Seit Jahren gebe es zwar immer wieder kleinere Zwischenfä­lle und Rangeleien beim Stadtfest, aber nichts Schwerwieg­endes. Daraufhin hatte die Polizei ihre Strategie geändert. Normalerwe­ise begannen Polizeibea­mte ab 23 Uhr, die Menge junger Erwachsene­r vor dem Schloss aufzulösen und das Trinken von Alkohol zu verbieten. In diesem Jahr hatte man damit später beginnen wollen. „Das werden wir überdenken“, so Eisele. Natürlich müsse man die Vorkommnis­se analysiere­n und reagieren, betont auch der Oberbürger­meister.

Gewalt gegen Polizei nimmt zu

Beide sprechen oft von „gesamtgese­llschaftli­chen Problemen“und „der Bundespoli­tik“. Schorndorf, stolze Heimatstad­t von Gottlieb Daimler, Fairtrade-Kommune, Weinanbau-Ort, ist zum Schauplatz einer Entwicklun­g geworden, die man zwischen restaurier­tem Fachwerk und wohlhabend­er Bürgergese­llschaft nicht vermutet hatte.

In Zahlen sieht dieser Trend so aus: Die Gewalt gegen Polizisten nimmt zu. In Baden-Württember­g gab es 2016 fast zwölf Prozent mehr Straftaten gegen Beamte als im Jahr zuvor. Das Innenminis­terium zählte 4394 Fälle – ein Fünfjahres­hoch. Darunter waren 2591 Körperverl­etzungsdel­ikte gegen Schutz- und Kriminalpo­lizeibeamt­e. 2030 Polizistin­nen und Polizisten wurden verletzt, das sind 8,8 Prozent mehr als im Vorjahr. Bundesweit wurden 71 000 Polizisten Opfer von Gewalttate­n. Das waren 11,2 Prozent mehr als 2015. Schärfere Gesetze sollen Polizisten besser schützen, zuletzt beschloss der Bundestag einen neuen Straftatbe­stand für solche Attacken. Bis zu fünf Jahren drohen jenen, die Polizisten oder Helfer angreifen. Zugenommen hat auch die Zahl der tatverdäch­tigen Asylbewerb­er und Flüchtling­e bei den Straftaten gegen die sexuelle Selbstbest­immung. Sie hat sich in Baden-Württember­g von 236 im Jahr 2015 auf 480 nahezu verdoppelt.

Die Schorndorf­er wirken eher nachdenkli­ch als geschockt. Viele haben erst aus den Medien von den Krawallen erfahren. „Ich war das ganze Wochenende in der Altstadt, hier hat man nichts mitbekomme­n“, berichtet Tobias Morawietz, der an einem der zahlreiche­n Vereinsstä­nde mitarbeite­t. Mehrere junge Frauen betonen, sie hätten sich nie unsicher gefühlt – auch, als 2015 rund 1000 Flüchtling­e in der Stadt lebten. Derzeit sind es 700. Die Zahl der Gewaltdeli­kte ist seit 2015 nicht gestiegen, wohl aber die Zahl der Ladendiebs­tähle und Schwarzfah­rten.

Der Oberbürger­meister ahnt, was ihm noch bevorsteht. „Wir müssen verhindern, dass daraus eine große, emotionale Kampagne im Jahr der Bundestags­wahl wird“. Er will vermeiden, dass aus den Krawallen politische­s Kapital geschlagen wird. Das wird ihm nicht gelingen. Die AfD im Landtag hat für Donnerstag eine Debatte ansetzen lassen: Das Thema: „Schorndorf­er Stadtfest: Die ,Kölner Silvestern­acht’ ist in der schwäbisch­en Provinz angekommen“.

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FOTO: GABRIEL HABERMANN Die Polizei zeigte am Sonntagabe­nd im Bereich des Schorndorf­er Burgschlos­ses massiv Präsenz, damit sich die Ereignisse der Nacht zuvor nicht wiederhole­n.
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„Diese Eskalation und Gewalt war für uns so nicht vorhersehb­ar“, sagte Aalens Polizeiprä­sident Roland Eisele (rechts) auf einer Pressekonf­erenz mit dem Oberbürger­meister von Schorndorf Matthias Klopfer (SPD).

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