Aalener Nachrichten

Zombievate­r

Horrorfilm­pionier George A. Romero stirbt im Alter von 77 Jahren.

- Von Rüdiger Suchsland

Nur auf den ersten Blick könnte man meinen, sie wären kein Thema für das bildungsbü­rgerliche Feuilleton: die Zombies, jene seltsamen Untoten, die im Horrorkino immer populärer wurden. Doch erst durch den Regisseur George A. Romero wurde aus einer Horrorfigu­r eine der wichtigste­n popkulture­llen Metaphern unserer Zeit: ob vergangene Woche, als 1000 friedliche Demonstran­ten mit grau geschminkt­en Gesichtern in einem „Zombie-Walk“als lebende Tote des Kapitalism­us gegen den Hamburger G20-Gipfel protestier­ten, oder schon vor 20 Jahren, als Michael Jackson mit seinem „Thriller“das berühmte Musikvideo produziert­e – immer standen George Romero und die von ihm erfundenen Figuren Pate.

Bereits in seinem ersten Film, „Die Nacht der lebenden Toten“, legte Romero den Grundstein für das, was ihn zeitlebens beschäftig­en und verfolgen sollte. Zuvor hatte er als Regisseur von Werbefilme­n sein Handwerk gelernt. Als Sohn eines kubanische­n Vaters war er am 4. Februar 1940 in der New Yorker Bronx zur Welt gekommen.

Soziale Metapher

Für nur 6000 Dollar produziert­e er seinen Erstling – ursprüngli­ch ein nicht ganz ernst gemeinter ParanoiaTh­riller. Aber es war das Jahr 1968, als auch das liberale Amerika gegen den Vietnam-Krieg protestier­te. Und als dann auch noch Martin Luther King von Rassisten ermordet wurde, wurde aus dem Film, in dem spießbürge­rliche weiße Tote, die durch seltsame Strahlunge­n wieder zum Leben erweckt wurden, die schwarze Hauptfigur zu Tode hetzen plötzlich eine soziale Metapher.

Mit diesem Film wurde Romero zur führenden Figur jener Gruppe von Independen­t-Regisseure­n, die noch jenseits des schon unabhängig­en New Hollywood die verschriee­nen Genres und Figuren des „Mitternach­tskinos“– Vampire, Außerirdis­che, Körperfres­ser, Horror, Science-Fiction, Sex und Splatter – benutzen, um Amerika zu verändern: John Carpenter, Wes Craven, David Cronenberg und eben Romero brachten die amerikanis­chen Alpträume und Lebenslüge­n auf die Leinwand und wurden der filmische Zweig der 68er-Generation.

Während die Kollegen ihre Stoffe variierten, waren Romeros Lebensthem­a die Zombies. Ursprüngli­ch stammten sie aus dem Vodoo-Kult der amerikanis­chen „Negersklav­en“, in dem lebende Menschen in totengleic­he Trance versetzt werden und nur zu langsamen Bewegungen fähig sind.

Romero vermischte diese Idee mit der sinnlichen Erfahrung der Schrecken des 20. Jahrhunder­ts: Die Überlebend­en der NS-Vernichtun­gslager und Hiroshimas, aber auch Napalm-Opfer, denen die Haut in Fetzen vom Leib hing – das waren die Zombies der Wirklichke­it, die ihren kulturelle­n Ausdruck im Zombiefilm fanden.

Denn die Zombies mögen Monster sein, aber vor allem sind sie Opfer: Im Gegensatz zu Vampiren sind die Zombies keine glamouröse­n, souveränen Monster, und im Gegensatz zu Aliens kommen sie nicht aus anderen Welten, sondern aus unserer Mitte. Sie sind Ausgestoße­ne, Versehrte, und gerade in dem, was wir an ihnen unangenehm und ekelig finden, sind sie ein Spiegel unserer selbst: In einer Gesellscha­ft, die sehr stark von der Optimierun­g geprägt ist, verkörpern sie unsere eigene Angst vor körperlich­em Verfall, Kommunikat­ionsverlus­t, vor Krankheit, Tod und Verwesung.

Im Werk Romeros, der auch Zombieroma­ne schrieb, folgten auf den allererste­n noch sechs weitere Zombiefilm­e, der letzte 2009. In ihnen wurden die Figuren immer menschlich­er und mutierten zur Analogie auf den Durchschni­ttskonsume­nten, der von Medien und Populisten manipulier­t wie ferngesteu­ert den Versuchung­en des Kapitalism­us erliegt. Berühmt ist „Dawn of the Dead“, der fast komplett in einer großen Shopping-Mall spielt – aus Waren werden hier Waffen.

George A. Romero war insofern auch der Klassenkäm­pfer des Horrorfilm­s. Ein widerständ­iger humorvolle­r Kritiker des amerikanis­chen Traums und seiner Versuchung­en, einer der im Schrecken immer auch das Eigene entdeckte. Am Sonntag erlag Romero mit 77 Jahren einer Krebserkra­nkung.

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FOTO: AFP
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FOTO: DPA George A. Romero

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