Aalener Nachrichten

Überforder­t in der Flüchtling­skrise

Italien blockiert Verlängeru­ng des Libyeneins­atzes der EU – Aufnahmeze­ntren überfüllt

- Von Thomas Migge und dpa

ROM - Italien blockiert die Verlängeru­ng des EU-Militärein­satzes vor der libyschen Küste. Weil die Regierung in Rom kurzfristi­g weiteren Prüfbedarf ankündigte, konnten die EU-Außenminis­ter am Montag nicht wie geplant ein erweiterte­s Mandat bis 2018 für die Operation „Sophia“beschließe­n. Das derzeitige Mandat läuft noch bis 27. Juli.

Für Italien ist der EU-Einsatz seit einiger Zeit mehr Problem als Hilfe. Das liegt vor allem daran, dass sich die Regierung 2015 damit einverstan­den erklärt hatte, dass am Rande des Einsatzes gerettete Migranten in italienisc­he Häfen gebracht werden. Damals war nicht absehbar gewesen, dass die eigentlich für den Kampf gegen Schleuserk­riminalitä­t losgeschic­kten EU-Schiffe Zehntausen­de Menschen an Bord nehmen würden. Allein die deutsche Marine rettete bereits mehr als 21 000 Migranten, die nach Italien gebracht wurden.

Die Bundesregi­erung bekräftigt­e am Montag, sie setze sich für eine Verlängeru­ng des EU-Militärein­satzes ein. Bei der Versorgung der aus Seenot geretteten Geflüchtet­en sei aber klar, „dass man Italien unter die Arme greifen muss“, sagte eine Sprecherin des Auswärtige­n Amtes.

Am vergangene­n Freitag waren 5000 Flüchtling­e von Schiffen in italienisc­hen Häfen an Land gebracht worden. Im vergangene­n Jahr waren es rund 180 000 Flüchtling­e, die illegal mit Booten und Schiffen vor allem von Libyen aus nach Italien kamen. In diesem Jahr werden mindestens 220 000 Menschen erwartet.

Kurz: Mittelmeer­route schließen

„Italien steht vor einem Riesenprob­lem“, klagt Matteo Salvini, Chef der ausländerf­eindlichen Partei Lega Nord. Das sehen auch immer mehr Bürgermeis­ter und Bürger in jenen Ortschafte­n so, in denen der Zivilschut­z die Flüchtling­e bis auf weiteres unterzubri­ngen versucht. Die Aufnahmela­ger sind seit Wochen überfüllt. Seit Samstag protestier­en die Bürger in verschiede­nen sizilianis­chen Ortschafte­n. Das Projekt eines neuen Hotspots für Flüchtling­e im Hafen von Civitavecc­hia, der zweitwicht­igsten Anlegestel­le im Mittelmeer für Kreuzfahrt­schiffe, wird vom dortigen Bürgermeis­ter und einer Mehrheit der Bürger abgelehnt.

Während Papst Franziskus klar Position für die Aufnahme aller Flüchtling­e bezieht, sprechen sich nicht mehr nur rechte Parteien dagegen aus. Umfragen zufolge, so das italienisc­he Wochenmaga­zin „Espresso“, „sind eine knappe Mehrheit aller Befragten gegen mehr Flüchtling­e“.

Die sozialdemo­kratische Regierung von Paolo Gentiloni stellt Forderunge­n an die EU: mehr Hilfen, mehr Finanzmitt­el und die Öffnungen anderer europäisch­er Mittelmeer­häfen für jene Schiffe, die Flüchtling­e aus Seenot retten.

Die Fünf-Sterne-Bewegung des Ex-Komikers Beppe Grillo demonstrie­rt seit Tagen in Ventimigli­a. An der dort verlaufend­en Grenze zu Frankreich biwakieren seit Monaten Flüchtling­e aus Schwarzafr­ika, die nach Frankreich wollen, aber nicht auf französisc­hes Territoriu­m gelassen werden. „Die Franzosen sind uns Italienern gegenüber unsolidari­sch“, schimpfte am Samstag in Ventimigli­a Luigi Di Maio, wahrschein­licher Spitzenkan­didat der Fünf-Sterne-Bewegung für die Parlaments­wahlen im Frühjahr 2018.

Der österreich­ische Außenminis­ter Sebastian Kurz forderte am Montag in Brüssel, „die Mittelmeer­route zu schließen“. Gerettete Flüchtling­e dürften nicht mehr nach Italien gebracht werden. „Die Rettung im Mittelmeer darf nicht verbunden werden mit dem Ticket nach Mitteleuro­pa“, sagte Kurz. Denn je mehr Flüchtling­e in Italien ankämen, desto mehr machten sich überhaupt erst auf den Weg.

Für seine Verantwort­lichkeiten aus dem Triton-Vertrag bezieht Italien seit 2014 viel Geld. Bis jetzt kamen aus Brüssel rund 40 Millionen Euro. Hinzu kommen zirka 600 Millionen Euro durch den Europäisch­en Sicherheit­sfond ISF und den „Asylum, Migration and Integratio­n Fund“AMIF der EU. Addiert werden müssen weitere 280 Millionen Euro aus anderen EU-Töpfen, die zwischen 2014 bis 2020 für den Aufenthalt, die Unterbring­ung und die Integratio­n von Migraten eingesetzt werden müssen. Darüber hinaus hat Italien Zugriff zu den Finanzmitt­eln aus zwei weiteren Migrantenp­rogrammen, die jeweils mit 15 Milliarden Euro (ENI) und 19 Milliarden Euro (DCI) ausgestatt­et sind. In diesen Tagen wurden weitere 58 Millionen Euro in Brüssel für Sofortmaßn­ahmen in Italien bereitgest­ellt. Und doch klagt Italien über Geldmangel sogar zur Bewältigun­g dringendst­er

Probleme. Die kommunisti­sche Tageszeitu­ng „il Manifesto“hat die Regierung aufgeforde­rt, „umgehend offenzuleg­en, wie all die vielen EU-Finanzmitt­el überhaupt ausgegeben werden“.

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FOTO: DPA Flüchtling­e verlassen in Salerno ein Rettungssc­hiff der Organisati­on „Ärzte ohne Grenzen“.

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