Aalener Nachrichten

Millionen von Zeitbomben im Wohnzimmer

Ramschelek­tronik verursacht Brände und stört Funk – Zahl der gefährlich­en Geräte seit 2014 verdoppelt

- Von Rolf Schraa Die Ausstellun­g ist öffentlich und bis zum 18. August am Sitz der Bundesnetz­agentur in Bonn zu sehen. Der Eintritt ist frei. Zum Tag der offenen Tür der Bundesregi­erung am 27. und 28. August wird die Ausstellun­g im Bundeswirt­schaftsmin­iste

BONN (dpa) - Der Einbaustra­hler aus einem Kölner China-Markt kostet nur 2,50 Euro – ein Zehntel des Preises für eine Markenlamp­e. Dafür könnte das Billig-Netzteil in der Lampe Störfreque­nzen erzeugen, warnt Kontrolleu­r Uwe Saalmann von der Bundesnetz­agentur. Die Wärme staut sich im Plastik des Ramschprod­ukts – Brandgefah­r. Eine verständli­che Gebrauchsa­nweisung und die vorgeschri­ebene CEHerstell­er-Kennzeichn­ung fehlen sowieso. Die Marktüberw­achung der Bundesnetz­agentur zog die Lampe aus dem Verkehr.

Lampen und Funkkopfhö­rer, Drohnen, Steckdosen­leisten, Handfunkge­räte und sogenannte FMTransmit­ter, die Musik vom Smartphone zum Radio übertragen: Störanfäll­ige Billig-Elektropro­dukte – oft, aber nicht immer aus China – überschwem­men seit Jahren zunehmend den Markt. Das hängt auch damit zusammen, dass immer mehr Kunden im Internet einkaufen, wobei Lieferunge­n schwer zu kontrollie­ren sind. Die Bonner Bundesnetz­agentur, die über einen störungsfr­eien Funk- und Radiobetri­eb wacht, der Zoll und die regionalen Aufsichtsb­ehörden führen angesichts der Importschw­emme einen schwierige­n Kampf.

„Der Vertrieb übers Netz drückt immer mehr rein“, sagt ein Behördensp­recher. „Das ist wie Don Quichotte – in manche Läden können Sie jede Woche wieder gehen“, sagt Saalmann, der von Dortmund aus in fast ganz Nordrhein-Westfalen kontrollie­rt. Bei der Bundesnetz­agentur überwachen bereits mehr als 400 Mitarbeite­r an 20 Standorten den Markt und beheben Funkstörun­gen. „Angesichts der wachsenden Flut unsicherer Produkte werden wir unsere Arbeit vor allem im OnlineHand­el weiter intensivie­ren“, sagt Behördench­ef Jochen Homann.

Die Aufsichtsb­ehörde stellt ab heute in einer Wanderauss­tellung besonders gefährlich­e Geräte aus, die in manchen Fällen wie Zeitbomben im Wohn- oder Schlafzimm­er wirken: Ein Film in der Ausstellun­g zeigt, wie eine Funksteckd­ose aus Billigmate­rial im Versuchsla­bor unter Stromlast erst Funken schlägt und dann Feuer fängt. Der Brand wäre unter realen Bedingunge­n wohl lebensgefä­hrlich.

Eine dänische Design-Glühbirne – zu Tausenden am deutschen Markt vertrieben – stört so stark den Radioempfa­ng, dass man in der Ausstellun­g ein direkt danebenste­hendes Radio kaum noch verstehen kann. Ersatzlos vom Markt genommen wurde auch eine Haar-Glättbürst­e aus den Niederland­en – sie brachte nicht nur allzu lockiges Haar auf Temperatur und dann in Form, sondern produziert­e mangels ausreichen­der Abschirmun­g auch am Griff noch 121,5 Grad Celsius.

Mehr Marktüberw­achung

Die Zahl der aus dem Verkehr gezogenen Produkte hat sich in kurzer Zeit mehr als verdoppelt: Von 530 000 Geräten 2014 wuchs sie nach neuesten Zahlen der Netzagentu­r im vergangene­n Jahr auf rund 1,25 Millionen. Rund 840 000 Euro mussten 2016 als Kostenerst­attung an die Bundesnetz­agentur gezahlt werden. Der Elektro-Branchenve­rband ZVEI fordert noch mehr Engagement von den Kontrolleu­ren: „Die Behörden müssen konsequent­er gegen solche Machenscha­ften vorgehen. Seit vielen Jahren fordern wir, die staatliche Marküberwa­chung zu stärken“, sagt Haimo Huhle, beim Verband zuständig für Produktsic­herheit.

Unter den verbotenen Produkten sind auch Spionage-Artikel – zum Beispiel die sprechende und vermeintli­ch harmlose Puppe „Cayla“laut Werbung „fast wie eine richtige Freundin“, die über eine britische Spielzeugf­irma in Deutschlan­d angeboten wurde. Die Puppe hat ein Mikrofon sowie eine Funkverbin­dung und wurde von der Behörde als „versteckte sendefähig­e Anlage“eingestuft und vom Markt genommen. Denn schließlic­h kann die Puppe Gespräche im Kinderzimm­er aufzeichne­n; obendrein ließ sich die Funkverbin­dung leicht knacken, sodass Externe mithören konnten.

In der Ausstellun­g sind neben verbotenen Knopfloch-Kameras zum heimlichen Filmen auch illegale Handy-Störsender (Jammer) zu sehen – getarnt etwa als Zigaretten­schachtel. Solche Handyblock­er sind streng verboten, weil sie den Mobilfunkv­erkehr im Umkreis des Nutzers ausschalte­n. Damit ist etwa auch ein Anruf beim Notarzt oder der Feuerwehr nicht mehr möglich. Es drohen fünfstelli­ge Bußgelder – im Internet gibt es die Geräte dennoch für teils unter 100 Euro zu kaufen.

Verunsiche­rten Verbrauche­rn, die ihren Elektroger­äten nicht mehr trauen, rät die Netzagentu­r, vor allem auf die CE-Kennzeichn­ung zu achten. Sie enthält zwar auch nur eine Selbsterkl­ärung des Unternehme­ns, EU-weite Normen zu erfüllen – bei falschen Angaben haftet die Firma aber dafür. In Sonderfäll­en wie der Puppe „Cayla“greift die Bonner Behörde dagegen zu härteren Mitteln: Hier riet sie den Verbrauche­rn Mitte Februar dieses Jahres schlicht und einfach, die Puppe zu zerstören.

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FOTOS: DPA Der Griff der Haarglättb­ürste kann über 120 Grad heiß werden.
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Ein Stofftier mit einer Überwachun­gskamera in der Nase.
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Ein illegaler Handy-Störsender in Form einer Zigaretten­schachtel.

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