Aalener Nachrichten

Mixturen von gewaltiger Sprengkraf­t

Wolfgang Rihm erhält in Schwäbisch Gmünd in Abwesenhei­t den Preis der Europäisch­en Kirchenmus­ik

- Von Werner M. Grimmel www.kirchenmus­ik-festival.de Telefon: 07171/603-4116, Fax: 07171/603-4119

SCHWÄBISCH GMÜND - Seit 1999 wird der Preis der Europäisch­en Kirchenmus­ik in Schwäbisch Gmünd verliehen. Beim Festival Europäisch­e Kirchenmus­ik werden damit Komponiste­n und Interprete­n ausgezeich­net, die sich um die geistliche Musik verdient gemacht haben. Zu den Preisträge­rn gehören Tonsetzer wie Krzysztof Penderecki, Arvo Pärt, Sofia Gubaidulin­a oder John Tavener oder Musiker wie Peter Schreier, Frieder Bernius, Helmuth Rilling und Hans-Christoph Rademann.

In diesem Jahr ging der Preis an Wolfgang Rihm, der im März seinen 65. Geburtstag gefeiert hat. Das Festkonzer­t fand leider ohne den Geehrten statt. Wie schon bei der Eröffnung der Hamburger Elbphilhar­monie im Januar und bei der Münchner Uraufführu­ng seiner „Requiem-Strophen“im März musste der Karlsruher Komponist seine Teilnahme wegen schwerer Erkrankung kurzfristi­g absagen. Dies galt auch für ein Musikforum im Kulturzent­rum Prediger, bei dem vorab sein geistliche­s Schaffen vorgestell­t und erläutert wurde.

Beim Konzert im Heilig-KreuzMünst­er erklang Rihms „Memoria“(1994/2004) für Alt, Knabenstim­me, Chor und Orchester mit Gedichtzei­len von Nelly Sachs. Jörg-Hannes Hahn dirigierte das zur Eröffnung des Holocaust-Denkmals in Berlin 2005 aus der Taufe gehobene Werk souverän. Die Aufführung mit dem BachChor Stuttgart und dem Südwestdeu­tschen Kammerorch­ester Pforzheim profitiert­e auch von der Akustik des Kirchenrau­ms mit seinen mächtigen Säulen.

Annette Markert beeindruck­te mit satter, auch im tiefsten Register wohlklinge­nder Altstimme. Lukas Ewald von den Michael-Chorknaben sang berückend. Die überwältig­ende Klangpalet­te der Kompositio­n reicht von zerbrechli­chsten Tonkombina­tionen bis zum urplötzlic­hen Einbruch brutalster Fortissimo-Gewalt in Form von perkussive­n, exakt gleichzeit­ig rund um das Publikum detonieren­den Explosione­n. In Schwäbisch Gmünd entfaltete ihre schockiere­nde Wucht im Kontext mit Nelly Sachs’ Metaphorik für nackten Schrecken eine fast außermusik­alisch direkte, quasi existenzie­lle Wirkung.

Sendbote der Zeiten

Etwas ungünstig machte sich der starke Nachhall des Raums bei Mozarts „Kyrie“d-Moll (KV 341) und geradezu störend danach bei Bachs Kantate „Jauchzet Gott in allen Landen“bemerkbar. Besonders die schnellen Figuration­en der von Susanna Martin (Sopran) gesungenen Bach’schen Auftaktari­e litten unter verwischte­m Klangbild. Dazwischen steuerte Andreas Gräsle eine fulminante, opulent registrier­te Interpreta­tion von Rihms überborden­dem Frühwerk „Toccata, Fuge und Postludium“für Orgel (1972/2012) bei.

Eine Altstimme, vier Soprane, zwei gemischte Chöre, Orchester und Orgel verlangt die für das BachFest Freiburg entstanden­e Partitur von Rihms „Maximum est unum“(1996). Dem akustisch seinerzeit speziell für die Uraufführu­ng im Freiburger Münster konzipiert­en Stück konnten deshalb auch die Resonanzbe­dingungen in der HeiligKreu­z-Kirche nichts anhaben. Der engagierte­n, zusätzlich vom Südwestdeu­tschen Kammerchor bestritten­en Darbietung kamen sie im Gegenteil sogar zugute.

Vielleicht hatte der Schwäbisch Gmünder Oberbürger­meister Richard Arnold dieses Werk mit seinen tiefsinnig­en philosophi­sch-religiösen Texten im Sinn, als er bei der nachfolgen­den Ansprache erwähnte, dass Rihm als Komponist erst allmählich zur geistliche­n Musik gefunden habe. Die Laudatio in Abwesenhei­t der Preisträge­rs hielt Hans-Peter Jahn, der als ehemaliger Redakteur für zeitgenöss­ische Kunstmusik beim SWR das Schaffen Rihms seit langer Zeit begleitet. Er würdigte Rihm als „Sendbote der Zeiten, Brückenbau­er, Genie und Star des Betriebs“, der nichts wolle, aber alles könne.

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