Aalener Nachrichten

Land gewechselt, Traum erfüllt

Irmgard Bensusan, geboren in Südafrika, wird Para-Weltmeiste­rin über 400 Meter

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LONDON (SID) - Irmgard Bensusan war komplett überwältig­t, aber auch erstaunt. Immer wieder schaute die neue Paraweltme­isterin über 400 Meter verblüfft auf den Becher Speiseeis mit der Aufschrift „Cookie Dough“in ihrer rechten Hand. Ein Betreuer hatte der 26-Jährigen das Teil mit dem zuckersüße­n Inhalt in der Mixed Zone des Londoner Olympiasta­dions in die Hand gedrückt – und die Leverkuse-nerin dabei verschmitz­t angelächel­t. „Ich hatte eigentlich nach Eis für meinen Fuß gefragt. Aber das hier ist jetzt auch gut“, sagte die gebürtige Südafrikan­erin, die sich nach ihrem bislang größten Erfolg die schwarz-rot-goldene Flagge unter ihren Arm geklemmt hatte: „Ich bin stolz, sie hier tragen zu dürfen.“Und das Team war stolz auf sie – es war die erste Goldmedail­le für Deutschlan­d bei dieser Para-WM.

Vor vier Jahren hatte sich Irmgard Bensusan entschiede­n, in die ehemalige Heimat ihrer deutschen Mutter überzusied­eln. Nicht ganz freiwillig allerdings. Bensusan wollte sich den Traum von der Paralympic­s-Teilnahme 2016 in Rio de Janeiro erfüllen.

Das war in ihrem Geburtslan­d nicht möglich, nachdem sie nach einem fatalen Sturz in einem „Graubereic­h“gelandet war. Bei den südafrikan­ischen Landesmeis­terschafte­n vor acht Jahren war die damals 18-Jährige hochtalent­ierte Läuferin an einer Hürde hängengebl­ieben und böse gefallen. „Ich habe mein Bein angeschaut und konnte nur noch schreien“, erzählt Bensusan. Die Diagnose: Teillähmun­g des rechten Unterschen­kels mit Nervenscha­den. Seitdem hat die Studentin einen sogenannte­n „drop foot“. Der Traum von einer Karriere als nichtbehin­derte Athletin war geplatzt.

Doch Bensusan, die das Laufen „einfach über alles liebt“, gab nicht auf. Das Problem war allerdings, dass der südafrikan­ische Verband sich weigerte, sie zu klassifizi­eren und als behindert anzuerkenn­en – trotz des teilgelähm­ten Beins. Ihre Mutter suchte deshalb beim deutschen Leichtathl­etik-Bundestrai­ner Willi Gernemann Rat. Dieser vermittelt­e den Kontakt zu Bayer Leverkusen­s Parasport-Geschäftsf­ührer Jörg Frischmann, der auch als Teammanage­r der Nationalma­nnschaft fungiert. Und Bensusan wurde klassifizi­ert. „Dieselbe Dame wie damals in Südafrika sagte mir nun, ich sei behindert“, erzählte die 26-Jährige im Rückblick mit einem süßsauren Lächeln.

Bensusan zog also nach Deutschlan­d, startete im vergangene­n Jahr bei den Paralympic­s in Rio und holte dort dreimal Silber (100, 200 und 400 Meter). „Es war ein Traum, der mich angetriebe­n hat“, sagt sie, „und es hat mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin.“

Seit Sonntagabe­nd ist sie Weltmeiste­rin. Für Bensusan hört sich das „unglaublic­h“an, vor allem, weil sie direkt vor der WM wegen eines Ödems sechs Wochen fast komplett ausgefalle­n war. Zeit zum Feiern aber blieb kaum. Bereits am Montag standen die Vorläufe und das Finale über 100 Meter an, sie landete beim Sieg der Britin Sophie Kamlish auf Platz vier. Auch über 200 Meter geht sie an den Start.

Auch Dietz holt Gold

Das zweite deutsche Gold holte am Montagaben­d dann der querschnit­tsgelähmte Kugelstoße­r Sebastian Dietz, der sich wieder einmal als zuverlässi­ger Medaillens­ammler erwies. Wie schon bei den Paralympic­s 2012 (mit dem Diskus) und 2016 sowie den WM 2013 und 2015 gewann der 32-Jährige. Dietz siegte mit Europareko­rd von 15,28 Meter und holte das zweite Gold für den Deutschen Behinderte­nsportverb­and nach Irmgard Bensusan am Sonntag über 400 Meter.

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FOTO: IMAGO Irmgard Bensusan

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