Schlechte Luft ist ein Fall fürs Gericht
Umwelthilfe verklagt Landesregierung wegen hoher Stickstoffdioxidwerte in Stuttgart
STUTTGART - Muss das Land in Stuttgart Fahrverbote verhängen, damit die Luft so sauber wird, wie es Gesetze vorschreiben? Darüber hat am Mittwoch unter bundesweiter Aufmerksamkeit das Stuttgarter Verwaltungsgericht verhandelt. Die wichtigsten Fragen und Antworten:
Worum geht es?
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hat das Land Baden-Württemberg verklagt. Der Grund: Seit Jahren liegen die Grenzwerte beim gesundheitsgefährdenden Stickstoffdioxid in Stuttgart über den erlaubten Werten, vor allem am Neckartor. Die Umweltschützer fordern: Die Regierung soll Maßnahmen ergreifen, damit schnellstmöglich, also bereits 2018, die Grenzwerte überall in der Landeshauptstadt eingehalten werden. Aus Sicht der DUH können das nur ganzjährige Fahrverbote für ältere Dieselfahrzeuge erreichen.
Was hat das Land bisher getan?
Die Landesregierung muss in einem Luftreinhalteplan darlegen, wie sie die Probleme lösen will. Der bestehende Plan gilt seit 2006. Gebracht hat er zwar eine Senkung der Werte, die aber weiter zum Teil doppelt so hoch sind wie erlaubt. Deshalb gibt es einen neuen Entwurf, in dem neue Maßnahmen für saubere Luft skizziert werden. Darin enthalten sind auch die umstrittenen Fahrverbote. Sie sollen ab 2018 an jenen Tagen gelten, an denen aufgrund der Wetterlage die Grenzwerte stark überschritten werden – aber nur auf besonders belasteten Strecken. Das Problem: Solche Fahrverbote sind aus Sicht des Bundesverkehrsministeriums nicht zulässig. Das teilte das Haus in der vergangenen Woche mit. Insgesamt gibt es 20 Maßnahmen im neuen Plan, mit denen das Land bis 2020 die Grenzwerte einhalten will.
Wie argumentiert die Landesregierung gegen die Klage?
Grundsätzlich glaubt sie, mit allen Maßnahmen aus dem Luftreinhalteplan zumindest in den kommenden Jahren die Grenzwerte einhalten zu können. Ganzjährige, für die komplette Stadt Stuttgart geltende Fahrseiner verbote lehnt sie ab. Viele Autofahrer würden dann auf andere Strecken ausweichen, dort würden dann Grenzwerte überschritten. Außerdem gebe es weitere negative Auswirkungen etwa auf die heimische Wirtschaft. Zeitlich begrenzte Fahrverbote für einige Strecken aber hat Grün-Schwarz lange als probates Mittel betrachtet. Nach massiver Kritik von Opposition und Wirtschaft lenkte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) aber ein und deutete an, über solche Verbote sei das letzte Wort noch nicht gesprochen. Letztlich hat die Drohung mit Fahrverboten wohl gewirkt: Kurz nach Bekanntwerden signalisierte die Autoindustrie, Nachrüstungen von Diesel mit der Euro-5-Norm seien technisch möglich. Vor Gericht argumentiert die Landesregierung nun, wenn genug Autos nachgerüstet werden, reicht das aus, um die Schadstoffbelastung ausreichend zu senken. Wenn nicht, blieben Fahrverbote möglich.
Was hält das Gericht von dieser Option?
Wenig. Das ließ der Vorsitzende Richter Wolfgang Kern am Mittwoch deutlich durchblicken. Aus Sicht gibt es noch zu viele offene Fragen, die die Vertreter des Landes am Mittwoch auch nicht beantworten konnten. Erstens müssten Autohersteller aus In- und Ausland Nachrüstungen zusichern. Konkrete Zusagen sind dazu bisher nicht in Sicht. Zweitens müsste das Kraftfahrt-Bundesamt nachgerüstete Fahrzeuge neu zulassen. Das müsste bis 2018 passieren. Drittens und vielleicht entscheidend: Die Landesregierung nimmt an, dass bis 2019 rund 50 Prozent aller Euro-5-Diesel umgerüstet wären und halb so viele Emissionen ausstoßen wie vorher. Selbst wenn das eintritt, würde das die Werte am Neckartor nach Berechnung der Landesregierung nur um neun Prozent senken. „Das ist ja nicht sehr viel“, so Richter Kern. Auch damit läge man am Neckartor nicht unter dem Grenzwert. Allerdings gäbe es parallel noch andere Maßnahmen. Zum Vergleich: Temporäre Fahrverbote auf stark betroffenen Straßen brächten laut Landesverkehrsministerium nur fünf Prozent niedrigere Werte. Fazit: Ohne bessere Argumente des Landes wird das Gericht Nachrüstungen nicht als geeignete Maßnahme akzeptieren, um die Grenzwerte absehbar einzuhalten.
Was sagt das Gericht zu den übrigen geplanten Maßnahmen?
Als völlig aussichtslos bezeichnete es der Vorsitzende Richter, auf eine blaue Plakette zu hoffen. Diese müsste der Bund einführen, der will aber nicht. Die Plakette würden nur Euro-6-Fahrzeuge bekommen und Benziner. Auch bei anderen Punkten kritisierte das Gericht, der Luftreinhalteplan sei zu unkonkret, setze Hoffnung in Maßnahmen, deren Wirkung schwer zu kalkulieren oder die rechtliche Fragen aufwerfen würden.
Wie geht es weiter?
Das Gericht will kommende Woche sein Urteil sprechen. Es wird darauf ankommen, ob es die Maßnahmen im Luftreinhalteplan insgesamt als ausreichend ansieht, um die Schadstoffbelastung zu senken – und bis wann die Richter dies als zwingend notwendig erachten. Wie die Kammer die Sachlage derzeit einschätzt, machte Richter Kern am Mittwoch recht deutlich: „Am Ende sagen Sie immer: Wir können jetzt nichts machen, um die Grenzwerte rasch einzuhalten.“Das aber scheint der Kammer nicht auszureichen. Sie sieht das Land in der Verantwortung, rasch zu handeln, wenn nötig mit Fahrverboten.