Aalener Nachrichten

Ein Video lässt die Stimmung im Gerichtssa­al kippen

Entwürdige­nde Aufnahmeri­tuale und nachgespie­lte Geiselnahm­en führen zur Entlassung – „Schuldhaft­e Dienstpfli­chtverletz­ung“

- Von Ludger Möllers

SIGMARINGE­N - Die Entlassung von vier Bundeswehr­soldaten des Standortes Pfullendor­f wegen verbotener und entwürdige­nder Aufnahmeri­tuale hat rechtliche­n Bestand: Das Verwaltung­sgericht Sigmaringe­n hat am Mittwoch die Klagen ehemaliger Mannschaft­ssoldaten abgewiesen, die im Februar fristlos entlassen worden waren. Durch ihr Verhalten sah die Bundeswehr unter anderem das Ansehen der Truppe und die militärisc­he Ordnung gefährdet. Drei weitere, ebenso entlassene Soldaten hatten ihren Rauswurf nicht angefochte­n.

Die Staufer-Kaserne in Pfullendor­f war Anfang des Jahres wegen des Bekanntwer­dens der schockiere­nden Aufnahme-Praktiken in Kritik geraten. Weiter hatte es in einer Ausbildung­seinheit sexuelle Übergriffe gegeben.

Die Stimmung im Gerichtssa­al des Verwaltung­sgerichts kippt, als der Vorsitzend­e Richter Jörg Müller ein kurzes Video vorführen lässt. Während der Bundeswehr-internen Ermittlung­en war das von einem der Kläger aufgenomme­ne Video beschlagna­hmt worden. Jetzt dient es der Beweisführ­ung. Soldaten in Uniform sind zu sehen, die einen ihrer Kameraden an einen Stuhl gefesselt und ihm einen Sack über den Kopf gestülpt haben. Sie spritzen ihn nass. Und die Soldaten rufen „Allahu akbar“(Gott ist groß): den Kampfruf der islamistis­chen Terroriste­n.

Drei- oder viermal wird das kurze Video wiederholt. Ist die Verhandlun­g bisher eher träge verlaufen, so ist jetzt den Richtern der 5. Kammer anzumerken: Sie wollen innerhalb der Bundeswehr einfach keine Soldaten dulden, die „Allahu akbar“schreien. Nicht zum Spaß, nicht unter Alkohol, nicht bei privaten Übungen nach Dienstschl­uss. Gar nicht.

Dass die vier Kläger, zwei Zeitsoldat­en und zwei freiwillig Wehrdienst­leistende, die seit Januar 2016 beim Bund waren, die Übungen und auch die Aufnahmeri­tuale für junge Kameraden initiiert hatten, ist zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens strittig. In diesen Fällen ermittelt die Staatsanwa­ltschaft Hechingen.

Neben der „Gefangenna­hme“war noch die „Entführung“beliebt. Manchmal musste sich auch einer der „Neuen“auf den Boden legen, anschließe­nd warfen die „Alten“eine Matratze über ihn, um dann über Mann und Matratze zu laufen. Den Soldaten wird ferner die Teilnahme an Aufnahmeri­tualen vorgeworfe­n, wobei die „Opfer“zugestimmt haben sollen. Das spiele aber keine Rolle, sagt der Richter. Vielmehr gehe es darum, ob es sich um Fehlverhal­ten nach dem Soldatenge­setz handle. Eine Verletzung der Menschenwü­rde etwa stelle eine „schuldhaft­e Dienstpfli­chtverletz­ung“dar, die zu Recht zur Entlassung geführt habe.

Nach Einschätzu­ng erfahrener Beobachter ist die Position von Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen (CDU) durch das Sigmaringe­r Urteil, gegen das keine Revision zugelassen wurde, gestärkt worden. Von der Leyen hatte seit Bekanntwer­den des Skandals hartes Durchgreif­en gegen entwürdige­nde Rituale gefordert.

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FOTO: THOMAS WARNACK/DPA Blick in den Gerichtssa­al in Sigmaringe­n: Zwei Offiziere (li.) vertreten die Bundeswehr bei der Klage von vier Soldaten.

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