Textilbündnis kommt in Bewegung
Teil der Branche einigt sich auf soziale und ökologische Mindeststandards – Vaude: „Besser als nichts“
BONN/TETTNANG - Der Start war holprig. Doch in diesen Wochen will das von Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) 2014 gegründete Textilbündnis ernst machen mit dem Versprechen, Schritt für Schritt soziale und ökologische Mindeststandards in der Lieferkette durchzusetzen – vom Baumwollfeld bis zum fertigen Kleidungsstück.
„Das Bündnis ist in die Umsetzungsphase eingetreten“, sagt der Leiter des Bündnissekretariats, Jürgen Janssen. Maßgeblich am Bündnis beteiligt ist auch der Tettnanger Outdoor-Ausrüster Vaude. Als „extrem komplex“, „sehr zäh“und „hochpolitisch“beschreibt Vaude-Geschäftsführerin Antje von Dewitz den Prozess: „Hohe Verbindlichkeit streben wir weiter an. Aber ein Kompromiss ist besser als nichts.“
Die 146 im Bündnis zusammengeschlossenen Modefirmen, Handelsketten, Verbände, Behörden und Hilfsorganisationen haben nach jahrelangen Diskussionen erste konkrete Maßnahmen benannt, die sie noch 2017 umsetzen wollen. Der Textildiscounter Kik etwa will unter anderem mit 50 Prozent seiner pakistanischen Lieferanten Trainings- und Qualifizierungsmaßnahmen zu den Themen Lohnsteigerungspotenziale und Vermeidung exzessiver Überstunden durchführen. Aldi Nord will unter anderem den Anteil nachhaltiger Baumwolle in den verkauften Textilien verdoppeln. Andere Mitglieder wollen etwa giftige Chemikalien bei der Produktion vermeiden.
Kritiker des Bündnisses werfen der deutschen Textilbranche „Schneckentempo“vor. Schließlich liegt der wohl wichtigste Auslöser der Initiative – das verheerende Unglück in der Textilfabrik Rana-Plaza in Bangladesch, bei dem mehr als 1100 Menschen ihr Leben verloren – schon vier Jahre zurück. „Das geht uns alles viel zu langsam“, sagt die Greenpeace-Textilexpertin Alexandra Perschau: Besser als die freiwilligen Vereinbarungen wäre eine gesetzliche Regelung. Auch die Vorsitzende des Verbraucherausschusses im Bundestag, Renate Künast (Grüne), bemängelte kürzlich, insgesamt seien die Selbstverpflichtungen „wenig ehrgeizig“. Antje von Dewitz könne die Kritik nachvollziehen; das Ziel sei jedoch eine nachhaltige Wirkung vor allem auch in der Breite: „Allein kommen wir nicht weiter. Deshalb stehe ich dahinter, alle mitzunehmen.“ Trotz der nicht ganz so hohen Standards.
Unter den 146 Bündnisteilnehmern sind Modehersteller (wie Adidas, Gerry Weber, Hugo Boss) und Handelsketten (C&A, Aldi, Lidl, Primark, H&M oder Kik), aber auch Hilfsorganisationen wie Care, Oxfam, Terre des hommes und der Bundesverband der Verbraucherzentralen. Auch Handelsverbände und Bundesministerien sind vertreten. Das ist „weltweit einmalig“, sagt Janssen. Vielfältig wie das Mitgliederspektrum sind auch die Probleme, die angegangen werden sollen: die Sozialstandards in den Fabriken der Produktionsländer stehen ebenso sagt Jürgen Janssen, Leiter des Bündnissekretariats auf der Liste wie Menschenrechte und Umweltschutz.
Doch die Breite in der Zusammensetzung und in der Thematik hat ihren Preis. Rund zwei Jahre brauchten die Mitglieder um sich auf Bündnisziele und Standards zu einigen – etwa auf eine Liste von mehr als 160 problematischen Chemikalien, die schrittweise durch unbedenkliche Substanzen ersetzt werden sollen.
Für das Jahr 2017 mussten sich alle Mitglieder mindestens jeweils sechs Ziele in den Bereichen Chemikalienund Umweltmanagement sowie Sozialstandards und existenzsichernde Löhne setzen. Hinzu kommen zwei Ziele in Bezug auf nachhaltige Naturfasern. Das Erreichen der Ziele werde am Jahresende unabhängig überprüft, betont Janssen: „Das ist kein Larifari, was da gefordert wird. Da ist schon Druck im Kessel.“Die Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften hätten sich sonst nie darauf eingelassen.
So eine Koalition ist „weltweit einmalig“,
Ab 2018 verpflichtend
In diesem Jahr ist die Veröffentlichung der Ziele und der Ergebnisse noch freiwillig. Ab 2018 sind alle Teilnehmer verpflichtet, ihre Maßnahmen zu veröffentlichen. „Wir verlangen jedes Jahr von den Mitgliedern einen Fortschritt“, sagt Janssen.
Bisher beteiligen sich erst gut 50 Prozent der Textilbranche am Bündnis – Tendenz eher rückläufig. Mit Beginn der Umsetzungsphase verließen einige Firmen das Bündnis. Eine laut von Dewitz menschliche, aber dennoch kontraproduktive Entwicklung: „Alle müssen am Ball bleiben.“Bundesentwicklungsminister Gerd Müller warnte im Juni die Branche: In der kommenden Legislaturperiode werde sich zeigen, ob der bisherige Ansatz der Freiwilligkeit Früchte trage, „oder ob wir nicht verbindliche Rahmenbedingungen brauchen“.