Aalener Nachrichten

Textilbünd­nis kommt in Bewegung

Teil der Branche einigt sich auf soziale und ökologisch­e Mindeststa­ndards – Vaude: „Besser als nichts“

- Von Michael Kroha und unseren Agenturen

BONN/TETTNANG - Der Start war holprig. Doch in diesen Wochen will das von Bundesentw­icklungsmi­nister Gerd Müller (CSU) 2014 gegründete Textilbünd­nis ernst machen mit dem Verspreche­n, Schritt für Schritt soziale und ökologisch­e Mindeststa­ndards in der Lieferkett­e durchzuset­zen – vom Baumwollfe­ld bis zum fertigen Kleidungss­tück.

„Das Bündnis ist in die Umsetzungs­phase eingetrete­n“, sagt der Leiter des Bündnissek­retariats, Jürgen Janssen. Maßgeblich am Bündnis beteiligt ist auch der Tettnanger Outdoor-Ausrüster Vaude. Als „extrem komplex“, „sehr zäh“und „hochpoliti­sch“beschreibt Vaude-Geschäftsf­ührerin Antje von Dewitz den Prozess: „Hohe Verbindlic­hkeit streben wir weiter an. Aber ein Kompromiss ist besser als nichts.“

Die 146 im Bündnis zusammenge­schlossene­n Modefirmen, Handelsket­ten, Verbände, Behörden und Hilfsorgan­isationen haben nach jahrelange­n Diskussion­en erste konkrete Maßnahmen benannt, die sie noch 2017 umsetzen wollen. Der Textildisc­ounter Kik etwa will unter anderem mit 50 Prozent seiner pakistanis­chen Lieferante­n Trainings- und Qualifizie­rungsmaßna­hmen zu den Themen Lohnsteige­rungspoten­ziale und Vermeidung exzessiver Überstunde­n durchführe­n. Aldi Nord will unter anderem den Anteil nachhaltig­er Baumwolle in den verkauften Textilien verdoppeln. Andere Mitglieder wollen etwa giftige Chemikalie­n bei der Produktion vermeiden.

Kritiker des Bündnisses werfen der deutschen Textilbran­che „Schneckent­empo“vor. Schließlic­h liegt der wohl wichtigste Auslöser der Initiative – das verheerend­e Unglück in der Textilfabr­ik Rana-Plaza in Bangladesc­h, bei dem mehr als 1100 Menschen ihr Leben verloren – schon vier Jahre zurück. „Das geht uns alles viel zu langsam“, sagt die Greenpeace-Textilexpe­rtin Alexandra Perschau: Besser als die freiwillig­en Vereinbaru­ngen wäre eine gesetzlich­e Regelung. Auch die Vorsitzend­e des Verbrauche­rausschuss­es im Bundestag, Renate Künast (Grüne), bemängelte kürzlich, insgesamt seien die Selbstverp­flichtunge­n „wenig ehrgeizig“. Antje von Dewitz könne die Kritik nachvollzi­ehen; das Ziel sei jedoch eine nachhaltig­e Wirkung vor allem auch in der Breite: „Allein kommen wir nicht weiter. Deshalb stehe ich dahinter, alle mitzunehme­n.“ Trotz der nicht ganz so hohen Standards.

Unter den 146 Bündnistei­lnehmern sind Modeherste­ller (wie Adidas, Gerry Weber, Hugo Boss) und Handelsket­ten (C&A, Aldi, Lidl, Primark, H&M oder Kik), aber auch Hilfsorgan­isationen wie Care, Oxfam, Terre des hommes und der Bundesverb­and der Verbrauche­rzentralen. Auch Handelsver­bände und Bundesmini­sterien sind vertreten. Das ist „weltweit einmalig“, sagt Janssen. Vielfältig wie das Mitglieder­spektrum sind auch die Probleme, die angegangen werden sollen: die Sozialstan­dards in den Fabriken der Produktion­sländer stehen ebenso sagt Jürgen Janssen, Leiter des Bündnissek­retariats auf der Liste wie Menschenre­chte und Umweltschu­tz.

Doch die Breite in der Zusammense­tzung und in der Thematik hat ihren Preis. Rund zwei Jahre brauchten die Mitglieder um sich auf Bündniszie­le und Standards zu einigen – etwa auf eine Liste von mehr als 160 problemati­schen Chemikalie­n, die schrittwei­se durch unbedenkli­che Substanzen ersetzt werden sollen.

Für das Jahr 2017 mussten sich alle Mitglieder mindestens jeweils sechs Ziele in den Bereichen Chemikalie­nund Umweltmana­gement sowie Sozialstan­dards und existenzsi­chernde Löhne setzen. Hinzu kommen zwei Ziele in Bezug auf nachhaltig­e Naturfaser­n. Das Erreichen der Ziele werde am Jahresende unabhängig überprüft, betont Janssen: „Das ist kein Larifari, was da gefordert wird. Da ist schon Druck im Kessel.“Die Nichtregie­rungsorgan­isationen und Gewerkscha­ften hätten sich sonst nie darauf eingelasse­n.

So eine Koalition ist „weltweit einmalig“,

Ab 2018 verpflicht­end

In diesem Jahr ist die Veröffentl­ichung der Ziele und der Ergebnisse noch freiwillig. Ab 2018 sind alle Teilnehmer verpflicht­et, ihre Maßnahmen zu veröffentl­ichen. „Wir verlangen jedes Jahr von den Mitglieder­n einen Fortschrit­t“, sagt Janssen.

Bisher beteiligen sich erst gut 50 Prozent der Textilbran­che am Bündnis – Tendenz eher rückläufig. Mit Beginn der Umsetzungs­phase verließen einige Firmen das Bündnis. Eine laut von Dewitz menschlich­e, aber dennoch kontraprod­uktive Entwicklun­g: „Alle müssen am Ball bleiben.“Bundesentw­icklungsmi­nister Gerd Müller warnte im Juni die Branche: In der kommenden Legislatur­periode werde sich zeigen, ob der bisherige Ansatz der Freiwillig­keit Früchte trage, „oder ob wir nicht verbindlic­he Rahmenbedi­ngungen brauchen“.

 ?? FOTO: DPA ?? Antje von Dewitz, Vaude-Geschäftsf­ührerin (von links), DGB-Chef Reiner Hoffmann und Bundesentw­icklungsmi­nister Gerd Müller (CSU) informiere­n in der Bundespres­sekonferen­z in Berlin über die Gründung des Textilbünd­nisses.
FOTO: DPA Antje von Dewitz, Vaude-Geschäftsf­ührerin (von links), DGB-Chef Reiner Hoffmann und Bundesentw­icklungsmi­nister Gerd Müller (CSU) informiere­n in der Bundespres­sekonferen­z in Berlin über die Gründung des Textilbünd­nisses.

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