Irrer geht immer
222 Millionen Euro beträgt die Ausstiegsklausel für Neymar – Paris wird sie zahlen
Christian Streich, wer sonst, hatte die richtigen Worte zum Irrsinn parat: „Der Gott des Geldes wird immer größer, und irgendwann verschlingt er alles“, sagte das gute Gewissen der Bundesliga (und in Personalunion Trainer des SC Freiburg) am Mittwoch. Und weiter: „Es ist mir wirklich egal, ob 220 oder 440 Millionen Euro gezahlt werden, das kann ich nicht mehr greifen. Wir sind in einem irrealen Bereich angekommen, aber der ist gerade Realität.“
Diese neue Dimension des Unfassbaren im professionellen Fußball hatte zuvor der FC Barcelona mit einer nüchternen Erklärung auf der Club-Webseite eingeläutet: „Der Spieler Neymar Jr hat bei einem Treffen in den Büros des Clubs und in Begleitung seines Vaters und Agenten seine Entscheidung mitgeteilt, den Verein zu verlassen. Angesichts dieser Bekanntgabe hat der Club auf die geltende Vertragsauflösungsklausel hingewiesen, die seit dem 1. Juli 222 Millionen Euro beträgt, und dabei betont, dass diese zur Gänze bezahlt werden muss.“
222 Millionen Euro! Ablöse! Für einen einzelnen Menschen!
Man muss davon ausgehen, dass auch die Verantwortlichen des FC Barcelona, immerhin ein Club, der die fußballerische Erweiterung der Realität zum Geschäftsmodell hat, nie damit gerechnet haben, dass irgendwann einmal irgendjemand bereit sein würde, diese Ablöseklausel zu zahlen. 222 Millionen, das klang wahrscheinlich einfach gut. Sie hätten auch 333, 444 oder eine Milliarde Euro hineinschreiben können. Der Transfermarkt mag zwar total überhitzt sein, selbst gehobene Durchschnittskicker mögen mittlerweile 20 Millionen Euro Ablöse kosten (und Superstars wie Neymar vor vier Jahren 86 Millionen), doch zumindest auf eine minimale Selbstbeschränkung des Wahnsinns konnten sich die Clubbosse doch einigen.
Bis jetzt. Denn den katarischen Besitzern von Paris Saint-Germain ist kein Preis zu obszön, um endlich aufgenommen zu werden im exklusiven Club der ganz Großen. Sie wollen richtig ernst genommen werden von den Real Madrids, FC Barcelonas, FC Bayern Münchens oder Manchester Uniteds dieser Welt. Und sie wollen die Champions League gewinnen. Dabei soll Neymar helfen. Dass der nach vier Jahren bei Barcelona mit 186 Spielen, 105 Toren und 80 Vorlagen zuletzt den Eindruck machte, das Gefühl zu haben, aus dem übergroßen Schatten von Lionel Messi treten zu müssen, half dem neureichen Club aus Paris sicherlich.
Aber auch die sonstigen Begleiterscheinungen dürften dem Angreifer – und noch mehr seinem übermächtigen Vater-Berater – gefallen haben. 30 Millionen Euro netto Gehalt per annum für fünf Jahre, das Doppelte von dem, was er in Barcelona kassiert; 40 Millionen Euro Beraterprovision für den Senior; rund 70 Millionen Euro für die Werberechte am Filius. Plus Steuern. Macht am Ende irgendetwas zwischen 600 und 800 Millionen Euro. Aber: Was kostet die Welt?
Zum Problem für Paris dürften die sogenannten Financial-Fair-PlayVorschriften der UEFA werden, die ebensolche total verrückten Transferauswüchse verhindern sollen. Die Regeln sehen unter anderem vor, dass ein Verein einen maximalen Transferverlust von 30 Millionen Euro innerhalb von drei Jahren verzeichnen darf – und auch die Einnahmen aus Sponsorenverträgen marktüblich sein müssen.
Keine Summe ist zu obszön
Um die Vorschriften zu umgehen, sucht der Club nach Schlupflöchern. Eine angeblich diskutierte Möglichkeit: Neymar könne eine Tätigkeit als Botschafter für die WM 2022 in Katar übernehmen, dafür 300 Millionen Euro erhalten – und die Ablöseklausel selbst begleichen. Ähnliches war beim Transfer von Anthony Modeste vom 1. FC Köln nach China diskutiert worden. Modeste hatte sich dem aber mit Verweis auf steuerliche Risiken verweigert – Einnahmen aus Sponsoring müssten ja auch versteuert werden.
So oder so: Die spanische Liga hat bereits angekündigt, im Fall des perfekten Wechsels eine offizielle Beschwerde bei der UEFA einzureichen. Das dürfte nicht mehr allzu lange dauern. Gestern Mittag verabschiedete sich Neymar in der Kabine von seinen Barcelona-Mannschaftskollegen. „Es war mir eine große Freude, diese Jahre mit dir verbracht zu haben, mein Freund. Ich wünsche dir viel Glück auf der neuen Etappe deines Lebens. Wir sehen uns“, schrieb Lionel Messi auf Twitter.